Städtepartnerschaft gegen Antisemitismus: Austausch wider den Boykott
Gegen Antisemitismus hilft gegenseitiger Austausch. Bremens Partnerschaft mit dem israelischen Haifa trägt auf vielen Ebenen seit 30 Jahren dazu bei
„Inzwischen gibt’s ein Netz vielfältiger Projekte und Aktivitäten“, sagt Andrea Frohmader, die in der Senatskanzlei die Städtepartnerschaften koordiniert. „Die Zusammenarbeit mit Haifa ist stark von Senat und Bürgerschaft getragen. Gleichzeitig sind die zivilgesellschaftlichen Akteure sehr wichtig.“ So organisiert die Deutsch-Israelische Gesellschaft seit 2005 jährlich Bürgerreisen nach Haifa. Dazu kommen Projekte der Jüdischen Gemeinde und Kooperationen zwischen den Hochschulen sowie Schüleraustausche an drei Gymnasien.
„Zwischen Bremen und Haifa gibt es viel Fachaustausch“, sagt Frohmader, „die Themen reichen von der Revitalisierung alter Hafenbrachen über Müllentsorgung bis hin zu Start-Up-Unternehmen.“ Israel ließe sich nicht auf den Nahostkonflikt reduzieren. Aus diesem Grund soll an den jährlichen Israel-Tagen das Land nicht nur als politischer Hotspot, sondern auch als Ort interessanter technologischer, wirtschaftlicher und kultureller Entwicklungen präsentiert werden.
Doch dagegen regten sich in der Vergangenheit Proteste. „Antisemitismus gehört in Deutschland zum Alltag“, sagt Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bremen. „Entsprechend werden auch die Projekte und Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Städtepartnerschaft angefeindet.“
Gegen das geschlossene Weltbild
Antisemitismus ist mehr als ein schlichtes Vorurteil, sondern ein kognitiv und emotional zusammengesetztes Weltbild, betonte der Antisemitismusforscher Samuel Salzborn im Interview mit dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus. Doch so lange ein antisemitisches Weltbild noch nicht geschlossen ist, müsse man es erschüttern und revidieren. Gerade bei jungen Menschen sei aufklärerische Bildungsarbeit enorm wichtig.
Neben Schüleraustauschen und der Hochschulkooperation richten sich deswegen viele Angebote der Städtepartnerschaft wie das Fußballturnier „One-Nation-Cup“ explizit an Jugendliche. Daneben ermöglichen Stipendien Künstlern aus den Partnerstädten mehrmonatige Arbeitsaufenthalte mit Ausstellung in Bremen. Auch ein großes Graffiti an der Kleinen Weser ist durch eine Haifaer Sprayergruppe entstanden, als Israel 2013 Partnerland des Festivals „jazzahead!“ war.
Elvira Noa, Jüdische Gemeinde
In Haifa fördert ein 1976 gegründeter Kulturfonds junge Künstler und Kulturprojekte. Die vom israelischen Erziehungs- und Kunstministerium sowie den Städten Bremen und Haifa getragene Stiftung bildete die Basis für die spätere Städtepartnerschaft.
„In Haifa leben Juden und Araber vergleichsweise gut zusammen“, sagt die Bremer Künstlerin Elianna Renner. Trotz Konflikten gebe es im Alltag mehr Begegnung, Austausch und Rücksichtnahme als anderswo in Israel. Dies zeige sich etwa an städtisch geförderten Kunstprojekten. Dort gehe es immer auch um die Einbindung von Muslimen, ebenso der äthiopischen oder russischstämmigen Juden, der arabischen Christen und der Drusen. In Bremen sei dies viel seltener der Fall: „Hier ist man weit weniger sensibilisiert für die türkische, kurdische oder russische Bevölkerung, die räumlich stärker separiert ist.“
Die guten Menschen von „Haimen“
Renner, deren Mutter in den 1950ern mit ihrer Familie von Rumänien nach Haifa emigriert ist, arbeitet aktuell an einem sozio-geographischen Kunstprojekt zu den Partnerstädten. Dessen Titel „Haimen“ kombiniert nicht nur die beiden Städtenamen, sondern verweist auf das hebräische Wort „Chai“ für „Leben“ sowie das jiddische „heymisch“. So soll durch das Projekt etwas kosmopolitisch Neues entstehen: im gegenseitigen Austausch stehende Bürger von Haimen, die sich in der fiktiv-realen Stadt zu Hause fühlen.
Haifas Multikulturalität ist auch Felix Meyer im Gedächtnis geblieben. Der Bremer Politikwissenschaftsstudent verbrachte dort ein Auslandsemester. Haifa reizte ihn vor allem wegen seines Studienschwerpunktes Internationale Beziehungen sowie der guten Möglichkeit, dort Arabisch zu lernen, das zweite Amtssprache in Israel ist.
„Durch den Aufenthalt hat sich meine Perspektive auf Israel verändert“, sagt Meyer. Die Begegnungen mit vielen verschiedenen Menschen hätten ihn viel gelehrt. So sei ihm in Israel sein familiärer Hintergrund als Täternachfahre stärker bewusst geworden. Zudem begann er, eigene Stereotypen zu reflektieren: „In Deutschland wird leider sehr häufig selektiv und einseitig über Israel berichtet. Die Berichterstattung folgt dann einem simplen Schema: Hier die aggressiven israelischen ‚Täter‘, dort die unschuldigen, passiv gemachten palästinensischen ‚Opfer‘.“ Außerdem gerate oft aus dem Blick, dass Israel seit der Staatsgründung kontinuierlich in seiner Sicherheit bedroht ist.
Die prekäre Sicherheitslage wurde dem 27-Jährigen besonders in seiner damaligen Unterkunft anschaulich: ein Bunkerzimmer auf dem Campus, gebaut zum Schutz vor Hisbollah-Raketen. Dennoch hatte er den Eindruck, dass der Konflikt mit den Palästinensern das Leben in Israel nicht gänzlich überformt: „Es gibt es auch ein ‚normales Leben‘. Mit vielen schönen Seiten, gerade in hedonistischen Städten wie Tel Aviv oder Haifa. Aber auch mit alltäglichen Herausforderungen wie teurem Wohnraum.“
Für Noa von der Jüdischen Gemeinde ist die Bedeutung guter Beziehungen zwischen deutschen und israelischen Städten enorm. Zwar würden große Teile der Bremer Bevölkerung von den Projekten der Partnerschaft gar nicht erreicht. Doch kontinuierlicher Austausch und ein freundschaftliches Verhältnis „mag und darf man sich gar nicht wegdenken“, sagt Noa, „dies sollte ein Klima begünstigen, in dem israelfeindliche Boykottbestrebungen und Antisemitismus auf Widerspruch stoßen. Jüdisches Leben ist im Deutschland nach der Shoah, wenn das überhaupt möglich ist, noch immer nicht Normalität.“
Der Autor ist aktiv im Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Bremen
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