Subtiler Protest bei der WM 1978 in Argentinien: Die Politik des Pfostens
Über Ball und die Welt
von Martin Krauss
Das ist auch Fußballgeschichte: Bei der WM 1978 in Argentinien fand sich auf den Torpfosten weit unten eine schwarzes Band, vielleicht 20 Zentimeter breit. Die schwarze Farbe an den weißen Pfosten war als politisches Zeichen gedacht. Eine Form der Erinnerung an die von der Militärjunta Verschleppten, Gefolterten, Ermordeten. Das hat der schottische Blogger David Forrest jüngst herausgefunden.
Ein Protest, den fast 40 Jahre keiner bemerkt hat? Das soll sinnvoll sein? Ja, ist es. Besser, wenn es viele ähnliche, vermeintlich kleine Protestformen gegeben hätte. Ein Mosaik des Widerstands, Teil rebellischen Alltags.
Was an der Politisierung der Torpfosten verstört – und letztlich dafür sorgte, dass es niemand bemerkte –, ist bloß, dass es eine vereinzelte Aktion blieb. Doch das kann man den Verantwortlichen nicht vorwerfen. Einer von ihnen ist Ezequiel Valentini. Forrest fand den früheren Stadionarbeiter in Buenos Aires. „Die Arbeiter, die Spieler, jeder hatte das gleiche Problem“, schildert er die damalige Situation: „Wie können wir unser Bestes geben, obwohl wir wissen, dass es die Generäle sind, die davon profitieren?“
Vor dem Problem standen viele Argentinier, auch die Spieler, auch der als Linker geltende Nationaltrainer César Luis Menotti. „Wir diskutierten darüber, ob wir eine Botschaft in den Rasen ritzen oder eine Botschaft an die Werbetafeln schreiben“, erzählt Valentini. „Irgendetwas halt, das die Fernsehkameras einfangen würden.“ Auch das wurde diskutiert: „Jeder einzelne Spieler von jedem WM-Team sollte öffentlich ein schwarzes Band tragen, um an die Toten zu erinnern.“ Doch gerade die ausländischen Spieler, die am risikoärmsten ihre Solidarität hätten bekunden können, scheuten sich. Von Berti Vogts etwa, damals Kapitän der DFB-Elf, sind eine Reihe ignoranter Äußerungen übermittelt.
Die Torpfosten mussten erst mal die Generäle passieren. „Natürlich haben die gefragt, wofür die schwarzen Bänder sind“, erzählt Valentini. „Wir haben ihnen gesagt, das sei Tradition. Die hatten von Fußball keine Ahnung. Wir haben vor aller Welt unserer Toten gedacht.“
Zu Recht ist Valentini darauf stolz. Diese Art des Widerstands kann besonders subversiv wirken: Sie bedient eine Sprache, die nur die Unterdrückten verstehen; sie stellt eine enorm wichtige Möglichkeit der Selbstvergewisserung dar – in Zeiten dauernder Bedrohung; sie kann subtil Botschaften transportieren, die nachhaltig wirken, weil sie erst zu dechiffrieren sind.
Bei den Olympischen Spielen 1968, beim berühmten Bild der Siegerehrung des 200-Meter-Laufs der Männer mit Tommie Smith und John Carlos, ist ja mehr zu sehen als nur die gereckten Fäuste: Beider Blick ist gesenkt, um die US-Flagge zu meiden; sie kamen ohne Schuhe auf schwarzen Strümpfen, um auf Armut in den Südstaaten hinzuweisen; Perlenketten um ihre Hälse sollten zeigen, dass Menschen umgebracht wurden, ohne dass jemand für sie betete; Carlos hatte die Trainingsjacke offen, um „die Schichtarbeiter, die ‚Blue-Collar-People‘, die Underdogs zu repräsentieren“; und beide Sportler trugen Buttons von ihrem „Olympic Project for Human Rights“, der Bewegung der schwarzen US-Sportler. Eine ausgetüftelte Choreografie also. Sehr dazu angetan, die Wirkung der in Mexikos Himmel gereckten Fäuste zu verstärken.
Und letztlich ist die Frage, ob ein Protest wirkungsvoll ist, immer nachgeordnet. Ob er gelingt, weiß man vorher nicht. Hauptsache, er findet statt. Das ist wie bei einem Torschuss. Natürlich kann er abgefangen werden, aber erst zu schießen, wenn der Ball garantiert reingeht – hat so einen Unfug jemals schon jemand gefordert?
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