Punkband Tics: Nächste Misere in zwei Minuten
Unruhige Zeiten brauchen eruptive Musik: In ihrem Debütalbum kippt die Kölner Band Tics eine Lawine von Lärm über Schlagworte und Phrasen.
Ganz egal ob es um globales politisches Geschehen geht oder den ganz banalen Alltag: Permanent begegnen uns unterschiedliche Statements, prasseln jedes für sich genommen kurz und heftig auf uns ein und verflüchtigen sich ebenso schnell wieder, wie sie aufgetaucht sind. Für sich genommen sind solche Momentaufnahmen bestenfalls in der Lage, kurze Reaktionen hervorzurufen, ihr tiefergehender Zusammenhang jedoch bleibt oft verschlossen. Es scheint, als seien wir von immer wiederkehrenden hohlen Phrasen umgeben, die es schwer machen, zu differenzierten Positionen zu gelangen.
Das ist auch der erste Eindruck, der sich in der eruptiven Musik von Tics widerspiegelt. Die Kölner Post-Punk-/Post-Hardcore-Band setzt genau das um, was „Tics“ als körperliches Symptom kennzeichnet: Kurze und unwillkürliche, teilweise komplexe Kontraktionen. „Unsere Musik soll schnell sein, schnell entstehen, wie Eindrücke, auf die man reflexhaft reagiert“, beschreibt Gitarrist Michael ihre Absicht. Gemeinsam mit Schlagzeuger Jens und Bassist Manni macht er bereits seit 13 Jahren Punksound.
Offiziell gegründet haben sich die Tics aber erst vor eineinhalb Jahren, als Sänger Matthias zur Band stieß und bereits komponierte Songs mit Gesang und Samples bestückte. Das Debütalbum der Band, das ebenfalls „Tics“ heißt, ist nun beim Label Beau Travail erschienen. Es ist eine kleine Offenbarung, auf der viele lose Enden aus 40 Jahren Punk auf großartige Weise zusammenfinden.
In den Songtexten wird eher die Großwetterlage angesprochen: Antisemiten, Rassisten und Homophobe kriegen von der Band kurz und heftig Haue. Genauso machen Tics Front gegen Religionswahn und besorgte BürgerInnen – um am Ende bei „Knowledge is a cultural force [. . .] Species appropriate, oh yeah“ zu landen, präsentiert von einer Computerstimme.
Dem amtierenden US-Präsidenten Donald Trump widmet die Band einen eigenen Song, „Punch him in his face“. „Das Trump-Sample auf dem Album ist übrigens noch vor seiner Kandidatur entstanden. Auf einer Wahlkampfveranstaltung sagte er diesen Satz: „‚Punch him in his face!‘, an dem sich für uns in diesem Song die Brutalisierung der Art und Weise, wie vor allem in der Politik miteinander geredet wird, manifestiert“, erklärt Michael.
Irre schnell, gut laut und leicht vergrätzt
Tics liegt nicht nur das Aufzeigen solcher spezifischer Tendenzen am Herzen, generell sind sie mit den Verhältnissen unzufrieden: „Es scheint uns, als sei das, was uns gerade in der Öffentlichkeit von Politik vermittelt wird, wie ein Marktplatz unterschiedlicher Statements, die nicht aufgelöst werden. Auch unser eigenes Alltagsreden ist ticshaft geworden: Es ist eine Kakofonie von Stimmen“, erklärt Michael. Eben diese Vielstimmigkeit ist es, die die Tics versuchen sowohl gesanglich als auch instrumental hörbar zu machen.
Das Quartett wirft seinen ZuhörerInnen mit unheimlichem Wumms eine verwirrende Vielfalt an Themen vor die Füße – alles ist irre schnell, gut laut, leicht vergrätzt und zuweilen mit Funky- und Psychedelic-Elementen angereichert. Wobei Funk und Psychedelik im Zeitalter von ADHS und Social-Media-Overkill stärker wirken. Unterstützt durch mehrere Gesangsstimmen, Saxofon, Klavier und Keyboards – beigesteuert von Freunden –, erzeugen Tics eine plattmachende Lawine aus Krach.
Der Sound der Band erinnert an legendäre kalifornische Bands wie Minutemen oder auch 100 Flowers, solchen Bands also, die Punk nie linientreu interpretiert haben; an den Stellen, wo der psychedelische Flair überwiegt, dringt auch der Einfluss früher britischer Post-Punk-Bands wie Pop Group oder Gang of Four durch. „Das Konglomerat reflexhafter Eindrücke in unserem Sound hat weder Anfang noch Ende. Er ist und bleibt unfertig – und somit auch durchgängig offen für Einflüsse verschiedener Stilrichtungen“, erklären die Bandmitglieder, „es ist, als würden wir permanent in den Wald hineinrufen“.
Eine Konstante, die sich durch das ganze Album zieht, ist die Kürze der Songs. Keiner länger als zwei Minuten. „Kürze ist Konsens. Wir wollen schnell zu schnellen Ergebnissen kommen“, sagt Matthias.
Kakofonie von Stimmen
Gemeinsam ist allen Tics-Songs auch der momenthafte Charakter. Kurz und heftig angerissen, bleibt als einzig mögliche Reaktion beim Zuhören nur ein kurzer Reflex – bevor es direkt weitergeht in die nächste Misere. Womit wir wieder bei der „Kakofonie von Stimmen“ wären: „Bewährte Möglichkeiten, sich zu äußern, scheinen gerade nicht mehr zu existieren. Ich habe den Eindruck, dass Komponenten wie ‚Ich‘ und ‚Gegenüber‘ zunehmend verschwimmen. Aufgrund dessen ist es kaum bis gar nicht mehr möglich, sich umfassender zu positionieren“, konstatiert Michael. „Wo Positionierung stattfindet, geschieht das nur mit Schlagworten, mit einschüchternder Wortgewalt und verwirrenden Widersprüchen. Es wird einfach immer weitergequasselt, aber nie aufgelöst.“
Matthias beschreibt eine weitere Dimension dieser Problematik: „Heutzutage ist es schlimmer, als Antisemit bezeichnet zu werden, als antisemitische Reden zu schwingen. Es geht also nur noch um die Person statt um das, was sie sagt. Das, was früher einmal Relevanz hatte, scheint nun komplett ausgehöhlt zu sein.“ Diese nüchterne, vielleicht auch niederschmetternde Bilanz der Umstände, in denen wir uns wenige Monate vor der Bundestagswahl befinden, scheint auf die Band keinerlei lähmende Wirkung zu haben.
Tics: „Tics“ (Beau Travail/X-Mist)
Im September gehen Tics auf Tour.
Im Gegenteil, sie finden darin durchaus kreatives Potenzial, ja sogar musikalisch beflügelndes Material. „Für unsere eigene Arbeitsweise ist diese Atmosphäre sehr befreiend: Wir selbst können eben nur auf einzelne Situationen reflexhaft reagieren. Wir improvisieren auch live“, erklärt Michael, „wobei wir uns darüber bewusst sind, dass eine solche musikalische Offenheit ab einem gewissen Punkt auch eine Reduktion bedeuten kann.“
Spannend wird es dann, wenn noch weitere Stimmen die Band unterstützen: „Wenn viele Leute ihre Reaktionen zusammenlegen, dann wird es mitunter auf merkwürdige Art und Weise urplötzlich sehr konkret! Irgendetwas passiert dann mit uns“, bemerkt Matthias.
Am Ende scheint also das laute Konglomerat verschiedener Stimmen, das vor allem die Unmöglichkeit einer tiefgründigen Positionierung thematisiert, genau das hervorzubringen: Tics vertreten als eine Punk-Position. Und zwar eine äußerst differenzierte.
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