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Kommentar Ruf nach RäumungFlora muss bleiben

Jean-Philipp Baeck
Kommentar von Jean-Philipp Baeck

Der Ruf nach dem Dichtmachen des autonomen Zentrums im Hamburger Schanzenviertel ist ein populistischer Reflex.

Wo sich Hamburgs Polizei bestens auskennt: die Rote Flora im Schanzenviertel Foto: dpa

D ie Räumung des autonomen Zentrums Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel wegen der G20-Randale vom Freitag zu fordern, ist ein populistischer Reflex. Die deutschen, italienischen, französischen und spanischen Autonomen und die vielen alkoholisierten Männer wurden von den Floristen nicht dirigiert.

Das linke Zentrum aber ist genau der Ort für die Debatten, die nun in der Linken gefordert werden. Das hat Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt am Wochenende bewiesen. Er war ansprechbar und dialogbereit: Noch Freitagnacht distanzierte er sich vor laufenden Kameras von der Gewalt. Am Sonntag stellte er sich aufgebrachten Anwohnern. Am Mittwoch erneut eine Pressemitteilung: „Emanzipatorische Politik bedeutet für uns nicht, Unbeteiligte in Angst und Schrecken zu versetzen“, schreibt das Flora-Plenum und kündigt eine „selbstkritische Aufarbeitung“ an. Der in die Jahre gekommene Flora-Anwalt Andreas Beuth hat frühere Aussagen korrigiert, spricht von „politischer Mitverantwortung“, „sinnentleerter Gewalt“ und davon, dass die Flora den Opfern helfen werde, etwa mit einem Soli-Konzert.

Schon früher hat sich die Flora von Randale in der Schanze distanziert. In seiner jüngeren Geschichte war das linke Zentrum ein Ort, wo linke Positionen und Selbstverständnisse reflektiert und kritisiert werden konnten. Zuletzt, als auf einer Buchvorstellung die teils autoritären Sprechverbote in der queerfeministischen Szene kritisiert wurden. An den Tagen des Gipfelprotests flatterte ein großes Transparent vom Dach des Zentrums: „Gegen jeden Antisemitismus.“ Das war eine richtige Ansage auch an Teile des linken G20-Protests, die Hass auf jüdische Banker und Spekulanten mit Kapitalismuskritik verwechseln.

Gleichzeitig wurde die „Welcome to Hell“-Demo, für die die Flora-Aktivisten tatsächlich verantwortlich sind, am Donnerstag von der Polizei brutal aufgelöst, die eine lebensgefährliche Panik an den Mauern der Elb-Promenade in Kauf nahm. Noch am gleichen Abend prügelten Polizeitrupps wahllos auf friedliche Versammlungen und am Boden liegende Menschen ein.

Es gibt wohl wenige linke Orte, über die die Polizei so gut Bescheid weiß, wie über die Rote Flora: Jahrelang sind hier rechtswidrig verdeckte Ermittlerinnen den Aktivisten buchstäblich bis ins Bett gefolgt. Heraus kam dabei kein einziger Vorwurf. Dafür, nun die ganze Schuld auf das autonome Zentrum zu schieben, gibt es keine Grundlage. Der Reflex und die voreilige Schuldzuweisung verhindern vielmehr jegliche Analyse dessen, was passiert ist, und woher die Wut kommt, die sich am Freitag entladen hat.

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Jean-Philipp Baeck
Investigativreporter
stv. Ressortleiter Reportage & Recherche. /// Zuvor: Produktentwickler der taz im Netz, Chef vom Dienst der taz nord in Hamburg, Redakteur und Volontär der taz in Bremen. /// Seit 2011 Journalist bei der taz, mehrere Jahre zudem auch beim Norddeutschen Rundfunk NDR. /// Soziologe und Kulturwissenschaftler, Studium in Bremen und Melbourne. /// Herausgeber von "Rechte Egoshooter - Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat", Ch. Links Verlag 2020, mit Andreas Speit /// Rainer-Reichert-Preis zum Tag der Pressefreiheit 2024 /// Threema-ID: UWSDA226 /// PGP Fingerprint: 3045 4A0E 6B81 226A A64E 0790 36BF 9C3A 6EC6 5D1F
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9 Kommentare

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  • Was hat die Rote Flora mit der Randale bei dem G 20 treffen zu tun? Da wäre mit Jurisprudenz überhaupt nicht zu begründen. Das würde eher nach heimzahlen aussehen. Dabei wer ist/sind der/die Schuldige(n)?

     

    Erstens muss es nach Ursachen geforscht werden, warum es zur Gewalt kam? Weswegen sind einige Menschen in Hamburg unzufrieden? Gibt es Themen, die hinter Gewalt stecken wie HARTZ IV, Mieten, Arbeitsverhältnisse usw.?

     

    Zweitens muss es (künftig) eine umfassende Aufklärung geben, warum G 20 Gipfel und speziell auf dem Deutschen Boden wichtig ist und das selbst für Kritiker des Gipfels.

  • Also dass im Fernsehen dauernd alte Serien und Film wiederholt werden, ist ja bakannt. Jetzt wird die Folge: Nach der Demo die Hafenstraße muss geräumt werden als billiges Remake wiederholt. Damals hatte die SPD wenigstens noch einen 'von' als Bürgermeister - nu isses nur ein Scholz - wie langweilig.....

  • Also dass im Fernsehen dauernd alte Serien und Film wiederholt werden, ist ja bakannt. Jetzt wird die Folge: Nach der Demo die Hafenstraße muss geräumt werden als billiges Remake wiederholt. Damals hatte die SPD wenigstens noch einen 'von' als Bürgermeister - nu isses nur ein Scholz - wei langweilig.....

  • Die Geschehnisse um G20 sind ein willkommenes Ablenkungsmanöver im Wahlkampf von CDU und SPD. Wenn es um milliardenschwere Rüstungsgeschäfte - auch mit Menschenrechts verachtenden Staaten wie Saudi-Arabien - geht, ist man längst nicht so zimperlich . Deutsche Waffen deutsches Geld Morden bekanntlich mit in aller Welt . Aber hierbei handelt es sich wohl um saubere Gewalt ? Die Regierungsparteien können sich ihren verfluchten Zynismus wirklich sparen , denn sie sind schließlich die Repräsentanten der weltweiten Rüstungs Kartelle . Gegen diesen white-collar crime ist der schwarze Block wirklich nur ein Kindergarten.

  • Ach wie großzügig, Unbeteiligte in Angst und Schrecken zu versetzen wäre keine emanzipatorische Politik. Welch feine Differenzierung! Also Steinplatten, Eisenkugeln oder Molotowcocktails auf Polizisten hinunterzuwerfen ist dann wohl ein emanzipatorischer Akt, da Polizisten keine Unbeteiligten sind? Also geht es noch?

    • @vulkansturm:

      Hören Sie auf Bullenlügen zu verbreiten. Danke...

  • Flora bleibt. Punkt.

    Massel tov.

  • Sehr guter Kommentar.

    Ich bin erstaunt darüber wie wenig darauf eingegangen wird, dass die Rote Flora schon so lange besteht und dass es selbstverständlich gut nachbarschaftliche Beziehungen zu den anderen Anwohnern der Umgebung gibt. Beziehungen, die ausschließen die Straßen, Läden und Autos in der Nachbarschaft zu demolieren. Niemand weiß, wer sich alles unter der Vermummung versteckt hat, aber reflexartig wird das Zetrum für alles verantwortlich gemacht.

  • Sehr guter Kommentar.

    Ich bin echt erstaunt über die SPD. Die Hafenstraßen Thematik ist ja nun gut 30 Jahre her, aber die HH Sozis haben sich irgendwie nicht geändert. Immer feste druff. Halt die CSU des Nordens in der ach so weltoffenenen Stadt.Habe heute die Bügerschaftsdebatte angeschaut und bin entsetzt über die Undifferenziertheit und die Lobhudelei auf die Polizei und ihr Eskalationskonzept aller Parteien. Lediglich die LINKE hat es geschafft die Begleiterscheinungen von G20 breiter zu betrachten.