Ausstellung zu 125 Jahre Hertha BSC: Was wurde aus dem Teamarzt?
Zum 125. Hertha-Geburtstag zeigt man im Ephraim-Palais „Hauptstadtfußball“. Und die Geschichte von Hermann Horwitz: Jude, Mannschaftsarzt, ermordet in Auschwitz.
Hermann Horwitz hat in der Ausstellung seine eigene Ecke bekommen. Die Erklärungstexte werden auf Klemmbrettern stehen, wie sie ein Arzt benutzen könnte. Ein liebevolles Detail, eines von vielen, die Herthas ersten Mannschaftsarzt Dr. Hermann Horwitz vorstellbar machen sollen.
Lange Zeit war Horwitz in der Geschichte von Hertha BSC nur ein Name: ab 1923 erster Mannschaftsarzt des Vereins, Jude, 1938 deshalb bei Hertha ausgeschlossen und später in Auschwitz ermordet. Viel mehr gab es nicht, nicht mal ein Bild. Jetzt hängen zwei schwarz-weiße Fotos an der Wand, eines von Horwitz als Spieler, eines als Arzt in Aktion. Außerdem ein Text, den Horwitz selbst verfasst hat, und eine Strophe im Mannschaftslied, die ihm gewidmet ist. „Es macht ein sehr rundes Bild“, sagt Michael Müller. „Man bekommt eine Vorstellung, wie dieser Mensch getickt hat.“
Michael Müller steht vor den alten Fotos in der Ecke im Ephraim-Palais. Er ist wieder zurück bei Hermann Horwitz. Müller, Hertha-Fan, hat im vergangenen Jahr zu Horwitz recherchiert, neun Monate lang fast jede Woche. Ehrenamtlich, eigeninitiativ, mit rund 15 anderen Hertha-Anhängern. „Es war ein etwas verrücktes Projekt“, sagt er.
Nach einem Gedenkstättenbesuch in Auschwitz wollten Müller und Mitstreiter mehr herausfinden: Wer war der ermordete Mannschaftsarzt? Gedenkfahrten, bei denen Fans an deportierte jüdische Vereinsmitglieder erinnern, gibt es mittlerweile bei vielen Bundesligisten. Manche Gruppen engagieren sich noch weiter, am berühmtesten vielleicht die Münchner „Schickeria“, die den ehemaligen jüdischen Bayern-Präsidenten Kurt Landauer wieder ins öffentliche Gedächtnis holte. Die Hertha-Fans haben Horwitz zurückgeholt.
Eigentlich sollte das Projekt sechs Wochen dauern, eine kleine Broschüre sollte entstehen. Am Ende wurden es ein 60-seitiges Buch und ein eigenes Kapitel für Horwitz in der Hertha-Jubiläumsausstellung „Hauptstadtfußball“ des Stadtmuseums. Auch in der restlichen Ausstellung haben Fans beigetragen, allerdings auf anderem Level. „Wir wollten die Ausstellung mit den Hertha-Fans zusammen gestalten“, sagt Kurator Sebastian Ruff. „Wir haben ganz konkret aufgerufen: Gebt uns eure Objekte. Es kamen riesige E-Mails, wo Leute ihre ganze Sammlung fotografiert haben. Es kam viel zu viel, das können wir gar nicht alles zeigen.“
Mit einer Ausstellung, einem Festakt und dem Testspiel gegen den FC Liverpool am Samstag feiert Hertha BSC diese Woche seinen 125. Geburtstag.
Gegründet wurde der Verein heute vor 125 Jahren am 25. Juli 1892, laut Wetteraufzeichnungen war es ein schöner, sonniger Sommertag.
Zwischen 1926 und 1931 erreichte Hertha BSC sechsmal in Serie das Finale um die Meisterschaft. Die Mannschaft führte Kapitän Hanne Sobek an. 1930 und 1931 feierte der Club den Titel.
Vor zehn Jahren beauftragt Hertha einen Historiker mit der Aufarbeitung der Rolle des Clubs in der NS-Zeit. Die Berliner seien „kein nationalsozialistisch infizierter Verein“, erklärt Historiker Professor Daniel Koerfer. Es habe allerdings auch keinen Widerstand gegen das Regime gegeben.
1963 gehörte Hertha BSC zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga. Im internen Rennen um einen der begehrten 16 Plätze setzte sich Hertha in Berlin gegen die Mitbewerber Tasmania 1900 und Viktoria 89 durch. Aus jeder Stadt durfte nur eine Mannschaft in der neuen Liga starten.
Die Saison 1974/75 war die bislang erfolgreichste für Hertha BSC in der Bundesliga, als zweiter hinter Meister Borussia Mönchengladbach. Von den mehrmaligen Abstiegen aus der Ersten Liga soll hier mal, anlässlich des Geburtstags, keine Rede sein. In der kommenden Saison spielt Hertha erstmals wieder seit acht Jahren in der Gruppenphase der Europa League. (dpa)
Neues auch für Fans
Aus fast hundert Zuschriften wurden Objekte aus Herthas Geschichte für die Vitrinen ausgewählt. Eine Herthanerin und ein Union-Fan haben für die Ausstellung ihre Wohnzimmer fotografieren lassen. Auf drei Etagen können Besucher in jedem Raum ein Jahrzehnt Sport- und Stadtgeschichte erleben. Wie viel kostete in den zwanziger Jahren ein Trikotsatz, wie viel ein Stadionbier? Was bedeutete die Teilung der Stadt für den Fußball? Eingefleischten Herthanern dürfte vieles bekannt vorkommen, aber es ist anschaulich, und es geht auch um das Noch-mal-Erleben. Details aus der älteren Geschichte, wie das Beispiel Hermann Horwitz und die Geschichten zu Herthas Lokalrivalen, dürften trotzdem auch für Fans mit viel Vorwissen neu und überraschend sein.
Die Person Horwitz bietet mehr Nuancen, als die forschenden Anhänger erwartet hatten. Sie entdeckten Texte von ihm über Sportmedizin und Sportmassage und sein vielfaches Engagement: Horwitz war nicht nur ehrenamtlicher Vereinsarzt, sondern auch Schiedsrichter, kümmerte sich zudem um die Jugend im Verein.
Auch mit Doping beschäftigte sich der Teamarzt, lehnte es aber schließlich ab. Und zu einer Zeit, in der das noch sehr unüblich war, entwickelte er Ideen zur Ernährung von Sportlern und stieß dabei offenbar auch auf Widerstand im Verein. „Er hat echte Pionierarbeit geleistet“, glaubt Hertha-Fanbetreuer Stefano Bazzano, der das Projekt leitete.
Hilfe von Historikerin
Oft mussten die Fans aber auch mit Enttäuschungen leben. „Man muss mit viel Energie an Spuren gehen, aus denen möglicherweise nichts wird“, so Bazzano. „Man klammert sich an irgendwas, und dann ist es nicht relevant, nicht interessant oder man kann es nicht belegen.“ Die Historikerin Juliane Röleke half den Fans dabei, Kontakte zu Archiven herzustellen und alte Dokumente zu lesen. „Ich hatte so viel Respekt vor den Dokumenten, ich habe mich kaum getraut, sie anzufassen“, erinnert sich Michael Müller. „Es war total spannend. Man findet nur ein kleines Wort, zum Beispiel, dass Horwitz geschieden war. Damit kommt die neue Erkenntnis, dass er geheiratet haben muss, also eine neue Spur.“
Nicht jede Spur führte zu einer Erkenntnis. Wann genau Horwitz ermordet wurde, konnten auch die Hertha-Fans nicht herausfinden. Irgendwann zwischen 1943 und 1945 muss es in Auschwitz gewesen sein. Einen Auswanderungsversuch unternahm er offenbar nie. „Ich stelle mir oft die Frage, warum er eigentlich in Deutschland geblieben ist“, sagt Michael Müller. „Er war als Arzt nicht mittellos. Warum ist er nicht geflohen?“
„Die Person kommt einem schon überraschend nahe“, sagt Stefano Bazzano. „Sonst gibt es oft nur Täterdokumente. Wenn man dann Sachen liest, die die Person tatsächlich geschrieben hat, wo man sich vorstellen kann, wie sie gesprochen hat, dann geht das sehr nahe.“ Statt eines kleinen Projekts öffnet Horwitz eine Tür. Einige aus der Gruppe planen jetzt, nach den Spuren weiterer jüdischer Mitglieder zu suchen. Sie ahnen, dass es da noch mehr Geschichten gibt.
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