Kunstausflug nach Eberswalde: Und alle machen sie Fotos
Eine leerstehende Papierfabrik in Eberswalde und eine Gruppe Künstlerinnen: Wie sich Kunst und Vergangenheit begegnen.
Es war einmal ein Teppich aus Moos, auf dem standen drei Throne aus Porzellan. Drei weiße Birkenstämme wuchsen daraus. Und ein Drache lag davor, um den Geist des Waldes, der in den Stämmen gefangen war, zu bewachen.
Die Schuppen des Drachen sind aus Küchenpapier, die Throne sind Toilettenschüsseln, das Moos wächst in der Halle der ehemaligen Papierfabrik Wolfswinkel in Eberswalde, weil die Fenster zerschlagen sind und es durch das Dach regnet. Was mir als märchenhafte Szene erscheint, ist von der Künstlerin Tina Zimmermann und heißt „Das geht mir am Arsch vorbei“.
Der Titel ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es ihr in ihrer Installation tatsächlich um Klopapier geht, um den Holzverbrauch dazu, deswegen stehen die Birkenstämme plakativ in den Kloschüsseln. Aber wehren kann man sich beim Hinsehen nicht dagegen, das Ensemble im schrägen Lichteinfall doch sehr romantisch zu finden.
Papier und Regen
Ja, das Moos. Ach, die Ruinenlust. Draußen vor den großen Hallen der Papierfabrik stehen die Künstlerinnen Susanne Ahner und Claudia Busching um ein Stehtischchen am Imbisszelt und lachen. Über sich selbst. Sie gehören zur Gruppe Endmoräne, die die Kunst hierhergebracht hat. Hätten sie, angesichts der Moosteppiche innen, doch drauf kommen können, dass es durch die Dächer regnet und Papier, das naheliegende Thema, kein geeigneter Werkstoff ist.
Schließlich ziehen sie seit 25 Jahren jeden Sommer aufs Neue zu einem der verfallenen Orte aus, die in Berlins Umland einfach kein Ende zu nehmen scheinen. Als sie sich für die Papierfabrik entschieden, standen noch Bäume dicht darum, die jetzt gefällt in einer Halle liegen. Kein Strom, kein Wasseranschluss, kein Fensterglas mehr. Nur Betonsockel und Stufen lassen ahnen, wo einst Maschinen standen und Produktionsstraßen liefen. Und überall sind nicht zu betretende Bereiche.
Die Künstlerinnen haben das Beste daraus gemacht, Wege markiert und begrenzt durch die im 19. und im frühen 20. Jahrhundert entstandenen Hallen. Gitter wurden mit eingeflochtenen Ästen verstärkt. Ihre Kunst dockt an das Vorgefundene an.
Keiner weiß, wer die Wände bemalt hat
Nur die Farbe zeigt an, dass die Rohre über den Sockeln neu sind und eine Skulptur von Anna Borgmann. In Materialstapeln haben sie einzelne Dinge in Karton verpackt, aus der nützlichen Ordnung macht so Patrizia Pisani ein ästhetisches Erleben. Tief im Bauch der Architektur, dort, wo man sie nicht betreten darf, flattern Papiervögel von Dorothea Neumann, beobachtet von den Geistern und großen Gesichtern, die auf die Wände gemalt sind.
Von wem die vielen Wandbilder stammen, das weiß man nicht. Auch nicht, wer die Fenster zerschlagen und vieles hier zerstört hat seit der Stilllegung der Papierfabrik 1990. Jetzt, anlässlich der Öffnung der Hallen für die Ausstellung, kommen Besucher aus Eberswalde, Ingenieure, die hier Jahrzehnte gearbeitet und ihr Herzblut gelassen haben. Sie erzählen von der 1. Demontage der Fabrik 1945 durch die Sowjets. Der Abbau der Maschinen 1994 scheint wie ein Echo dieser ersten Niederlage.
„Weiße Schatten. Wege durch die verlassene Papierfabrik Wolfswinkel“, 15. und 16. Juli, 13–18 Uhr.
Hans Jörg Rafalski: „Erosion“. Im eigenen Verlag papierwerken 2016, 29 Euro
In der Ausstellung hat Hans Jörg Rafalski einen Büchertisch. „Ich wurde von den Künstlerinnen gebeten, Fragen zu beantworten“, sagt er bescheiden. Sein schön gestaltetes Buch „Erosion. Spuren der Industriekultur im Finowtal“ ist eine Trauerklage. Er erzählt in acht Kapiteln von den Elementen, wie Wasser, Holz, Papier, Eisen, und von den Fabriken längs des Finowkanals.
Banknoten und Aktien
Die ersten deutschen Papiermaschinen standen hier schon vor 183 Jahren, Banknoten und Aktien vieler deutscher Staaten wurden im 19. Jahrhundert auf Papier aus Eberswalde und Spechtshausen gedruckt, erzählt Rafalski. Mehrmals wurde die Fabrik im Wolfswinkel mit der modernsten Technik ausgerüstet, auch noch in den Jahren der DDR. Was den Autor erbittert, ist nicht allein der Verfall dieser Zeugnisse einer langen Industriekultur, sondern auch, dass niemand sich um ihre Geschichte kümmert, sie erhält, neu interpretiert und sich an eine Transformation heranmacht.
In der Ausstellung „Weiße Schatten“, nur noch das Wochenende 15./16. Juli geöffnet, begegnen sich jetzt die kunstinteressierten Ausflügler aus Berlin und die Besucher aus Eberswalde, die nun doch ganz viele Erinnerungen mitbringen. Alle fotografieren. Die Bilder, die die Künstlerinnen gebaut haben, sind meist ja nur sparsame Andeutungen einer Umwandlung oder die Sammlung von Überresten. Bei Susanne Ahner hängen Papierabfallfetzen in einer Kammer, Ilka Raupach hat die Scherben zerbrochener Fenster zu einem Block gefügt. Diese Kunst lässt dem Ort seine Unwirklichkeit, sein Aus-der-Zeit-gefallen-Sein.
Warum machen die Künstlerinnen das? Jedes Jahr einen Ort suchen, den Etat besorgen, sich um Genehmigungen kümmern und um Sicherheitsauflagen, oft die meiste Arbeit, um dann 14 Tage in Monteursunterkünften zu wohnen, gemeinsam vor Ort zu räumen, ihre Kunst zu bauen, zu sehen, was im Regen davonfließt, und eine neue, kurzfristig zu realisierende Idee zu suchen. Abenteuerlust? Ruinenromantik? Hunger nach großen Räumen? Interesse an der Geschichte?
Es ist wohl von allem etwas, aber auch die Lust, hier der Zeit auf den Zahn zu fühlen, in die Verlangsamung einzutauchen. Von dort aus, wo alles stillsteht, verändert sich der Blick auf die Beschleunigungen ringsum. Plötzlich gleitet man zwischen den Zeiten, und das ist es wohl, was so anziehend ist.
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