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Vor dem Hamburger Gipfel: großes Abc der Erwartungen

WAS WOLLEN DIE DA? Sie sind die wirtschaftlich einflussreichsten Staaten und Regionen – und so unterschiedlich wie nur was. Hier ein Überblick über die G-20-Mitglieder, zusammengestellt von den Korrespondent*innen der taz

Arbeiter beim Bau einer chemischen Fabrik in China. Was bringt ihnen der G-20-Gipfel? Foto: Patty Chen

Argentinien

Wenn Argentiniens Präsident Mauricio Macri über den G-20-Gipfel spricht, dann geht es immer um Logistik und Sicherheit. 2018 wird der Gipfel in Buenos Aires stattfinden. Diesen G-20-Gipfel organisatorisch und, angesichts der zunehmenden Terrorakte, sicher zu stemmen, ist dem Konservativen auf dem Präsidentensessel weit wichtiger als die Themen, die dabei verhandelt werden könnten.

Diesen Eindruck wird auch Angela Merkel bei ihren Kurzbesuch in Buenos Aires am 8. Juni gewonnen haben. Während die Kanzlerin von der thematischen Übergabe des G-20-Staffelstabs sprach, sinnierte der Präsident über die gewaltige Herausforderung.

Bewegung oder Kritiken unter den gut organisierten sozialen Organisationen in Argentinien hat das ferne Ereignis in Hamburg noch keine ausgelöst. Einen Vorgeschmack darauf, was im kommenden Jahr zu erwarten ist, wird der Dezember geben. Dann findet in Buenos Aires das Ministertreffen der Welthandelsorganisation WTO statt. Das dürfte der Probelauf für die Regierung und die kritische Bewegung vor dem G-20-Gipfel im kommenden Jahr werden. Jürgen Vogt

Australien

„Die australische Regierung sieht sich dem Ziel des Freihandels verpflichtet. Denn er bietet die größten Möglichkeiten für Wachstum“, so der australische Handelsminister Steve Ciobo jüngst gegenüber der taz. Bereits im Jahr 2014, als Australien das Präsidium der G 20 innehatte, einigten sich die Staatschefs der Mitgliederländer in Brisbane darauf, das globale Bruttoinlandsprodukt bis 2018 um mindestens 2 Prozent anzuheben. Damit sollten „Millionen neuer Arbeitsplätze“ geschaffen werden, wie es damals hieß.

In Hamburg dürfte die australische Regierung darauf drängen, den 2014 verabschiedeten „Brisbane Action Plan“ weiter zu verfolgen. Im Vordergrund: der Ausbau der globalen Infrastruktur. Weltweites Wachstum schaffe Arbeitsplätze und mache „die globale Wirtschaft widerstandsfähiger“, so das australische Außenministerium in einer Stellungnahme vor dem G-20-Gipfel.

Kritiker werfen Australien allerdings vor, kein glaubwürdiger Ratgeber für den Rest der Welt zu sein. Die Regierung versäume unter dem Einfluss der Kohlelobby den Ausbau eines der zukunftsträchtigsten Wirtschaftszweige überhaupt – der Sonnen- und Windindustrien. Damit würde nicht zuletzt die Schaffung hunderttausender neuer Arbeitsplätze verhindert. Australien ist einer der weltgrößten Pro-Kopf-Emittenten von Klimagasen.

Urs Wälterlin

Brasilien

Im Gegensatz zu früher ist der G-20-Gipfel in Brasilien heute kein Thema mehr. Vor neun Jahren stand das größte Land Lateinamerikas Pate, als die G-20-Gipfel zu einem Stelldichein für Staatsoberhäupter aufgewertet wurden. Unter dem damaligen Präsidenten Lula da Silva wurde das Land zum Global Player und forderte an der Seite von Indien mehr Mitspracherecht auf der Weltbühne.

Der umstrittene Präsident Michel Temer wollte mit dem Gipfel in Hamburg sein durch Korruptionsskandale angeschlagenes Image aufpolieren. Doch dann musste er kurzfristig seine Reise absagen, da die Generalstaatsanwaltschaft nun gegen ihn Klage eingereicht hat. „Unter Temer hat Brasilien jede internationale Relevanz eingebüßt“, sagt der Ökonom Adhemar Mineiro von der NGO-Plattform Rebrip. Statt Inhalte zu vertreten, wollte Temer das Forum nutzen, um den Ruf eines internationalen Parias zu überwinden. Offiziell setzt Brasiliens G-20-Botschafter auf den Schulterschluss mit den Europäern: „Wir plädieren für eine Stärkung multilateraler Handelsabkommen und die Festigung des Pariser Klimavertrags.“ Andreas Behn

China

Nicht nur die USA, sondern auch Frankreich, Italien, die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds kritisieren die immensen Exportüberschüsse der Deutschen und der Chinesen gegenüber dem Rest der Welt. Diese gewaltigen Überschüsse brächten das Welthandelsgefüge durcheinander und sorgten für ein erhebliches Ungleichgewicht, weil sie dazu beitragen, dass andere Staaten sich hoch verschulden, um ihre eigenen Importe zu finanzieren.

Um so mehr wollen Chinas Politiker gemeinsam mit der Bundesregierung den G-20-Gipfel dazu nutzen, für mehr Freihandel zu werben und sich als Alternative zu US-Präsident Trumps Isolationismus darzustellen. Ausgerechnet der kommunistische Staats- und Parteichef Xi Jinping wird jetzt auch nicht müde zu betonen, wie wichtig Zollabbau und offene Grenzen für den Warenverkehr seien. Dabei geht es in China selbst alles andere als freiwirtschaftlich ab. Felix Lee

Deutschland

Die Bundesregierung will beim G-20-Gipfel darauf drängen, dass sich die teilnehmenden Staaten zu freiem Handel bekennen. Zudem soll die Abschlusserklärung ein Zeichen dafür setzen, dass der Rest der Welt auch nach dem angekündigten Ausstieg der USA am Pariser Klimaabkommen festhält. Gegenüber US-Präsident Donald Trump will Berlin dafür werben, dass ein Umstieg auf erneuerbare Energien auch unabhängig von Klimaerwägungen sinnvoll ist – als „zentrale Grundlage für Wirtschaftswachstum und Wohlstand“, wie es im deutschen G-20-Programm heißt. Ansonsten wird dort ein „starkes, nachhaltiges, ausgewogenes und inklusives Wachstum“ zum „übergreifenden Ziel der G 20“ erklärt.

Deutlich wichtiger als die eigentlichen Beschlüsse dürfte aus Sicht von Angela Merkel vermutlich das Ereignis als solches sein: Die Kanzlerin will sich noch einmal als erfahrene Politikerin präsentieren, die die Mächtigen aus aller Welt empfängt – und die in Zeiten von Trump und Brexit vielerorts als neue „Führerin der freien Welt“ gesehen wird. Wenige Monate vor der Bundestagswahl ist diese Botschaft für Merkel unbezahlbar. Malte Kreutzfeldt

Frankreich

Mit dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron will Frankreich – wie schon zuvor beim Nato-Gipfel und beim G-7-Treffen – auch im Rahmen der zwanzig größten Wirtschaftsmächte mit einer neuen Selbstsicherheit auftreten, dank einer verstärkten Partnerschaft mit Deutschland.

Es geht nicht nur um Macrons Selbstinszenierung mit Slogans wie „France is back!“. Sein taktisches Ziel ist es, eine diplomatische Einheitsfront gegen den isolationistischen Kurs von US-Präsident Trump zu bilden, der das Klima-Ankommen ablehnt und auch weitere multilaterale Regulierungen infrage stellen will. Die Pariser Klimaverträge zu respektieren und sie umzusetzen gehört zu den Prioritäten der französischen Außenpolitik. Schon beim Finanzministertreffen Mitte März war aber auch deutlich geworden, dass die US-Regierung versucht, jede Kritik an einer protektionistischen Handelspolitik in den G-20-Erklärungen zu verhindern. Die deutsche Bundesregierung kann auch für ihre Absicht, die Investitionen in Afrika zu fördern, auf die französische Unterstützung zählen.

Rudolf Balmer

Großbritannien

Der G-20-Gipfel kann dem Bildungswesen in den ärmsten Ländern der Welt zum Erfolg verhelfen oder es zum Scheitern verdammen. Davon ist der britische Bildungsausschuss unter Vorsitz von Expremierminister Gordon Brown überzeugt. Der Anteil an Hilfsgeldern für Bildung ist binnen sechs Jahren stetig gefallen – von 10 Prozent auf 6,9 Prozent. Das ist in etwa genauso viel, wie für die Verbesserung der Transportwege ausgegeben wird.

Browns Ausschuss schätzt, dass der Bildungsetat von derzeit 1,2 Billionen Dollar schrittweise auf 3 Billionen erhöht werden muss, um bis 2030 jedem Kind der Welt – das sind dann 1,2 Milliarden – eine Grund- und Oberschulbildung angedeihen zu lassen. Dafür müsse der Gipfel sorgen.

Der zweite Punkt, der in Großbritannien diskutiert wird, sind die „Armutskrankheiten“ wie Aids, TBC, Diarrhoe und Malaria. Eine Gruppe von zehn britischen Gesundheitsorganisationen verlangt, der Bekämpfung von „Armutskrankheiten“ wie TBC und Malaria auf dem Gipfel Priorität einzuräumen, weil sich andernfalls die Armut verschärfen würde. Ralf Sotscheck

Indien

Spätestens seit dem Amtsantritt von Premierminister Narendra Modi 2014 hat Indien den Ehrgeiz, international eine größere Rolle zu spielen. Nun beobachtet man hier mit Interesse, was in Hamburg auf dem G-20-Gipfel verhandelt wird. So groß ist die Anteilnahme, dass der Indian Express kürzlich sogar eine Reportage über die Proteste an der „Roten Flora“ und das Hamburger Schanzenviertel veröffentlichte.

Bei den Deutsch-Indischen Regierungsverhandlungen, die Ende Mai in Delhi zu Ende gingen, begrüßte Modi den Schwerpunkt der deutschen G-20-Präsidentschaft auf Resilienz, Nachhaltigkeit und gemeinsame Verantwortung – und auf freien Handel.

Vizefinanzminister Jayant Narlikar hob kürzlich weitere Themen hervor, bei denen Indien und Deutschland an einem Strang ziehen, so zum Beispiel bei den Steuern. Diese sollten „dort gezahlt werden, wo sie verdient werden“, so Narlikar. Allerdings warnte er auch vor „zu hohen Erwartungen“ im Klimabereich, vor allem für „kleine und mittlere Unternehmen“. Indien will das Klimathema nicht auf G-20-Ebene diskutieren, weil es glaubt, dadurch die formale Architektur des Paris-Abkommens zu schwächen. Indische Politiker haben zudem die Bildung einer G-20-Arbeitsgruppe zum Terrorismus angeregt. Britta Petersen

Indonesien

Als größte mehrheitlich muslimische Nation der Welt, drittgrößte Demokratie, Nummer vier unter den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt und als Volkswirtschaft mit einem ansehnlichen Wirtschaftswachstum ist Indonesien ein Schwergewicht unter den Schwellenländern. Für die ehrgeizigen wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele von Präsident Joko Widodo ist Indonesien auf einen freien Welthandel angewiesen. Handel sei „sehr wichtig“ für das Wachstum vieler aufstrebender Märkte und habe „in den vergangenen 50 Jahren auch zum Abbau von Armut beitragen“, sagte Finanzministerin Sri Mulyani Indrawati im März 2017 nach dem Treffen der G-20-Finanzminister in Baden-Baden. Die bisherigen G-20-Gipfel haben die indonesische Öffentlichkeit relativ wenig interessiert, bis auf einige politische Analysten und Akademiker. Als Stimme der Entwicklungsländer sollte Indonesien in Hamburg hinterfragen, wie die G-20-Länder mit „Armut, undemokratischen Gesellschaften, verfallender Infrastruktur und Umweltproblemen umgehen“, fordert der politische Analyst Andreas Harsono gegenüber der taz. Andere Beobachter erhoffen sich angesichts eines wachsenden radikalen Islamismus in Indonesien eine gemeinsame Strategie der G-20-Politiker gegen den Terrorismus. Michael Lenz

Italien

Noch ist der anstehende G-20-Gipfel kein Thema für die Öffentlichkeit, kein Thema auch für politische Debatten. Nur Fachzirkel diskutieren bisher, unter ihnen an prominenter Stelle das Mailänder Istituto per gli Studi di Politica Intrernazionale (ISPI), Italiens führendes Institut für Internationale Politik.

Für dessen Vizepräsidenten Franco Bruni geht es in Hamburg vorrangig darum, eine gute Atmosphäre zwischen den Teilnehmern zu schaffen und einen Bruch zwischen den USA und den anderen G-20-Staaten zu vermeiden. Jedoch, schränkt Bruni ein, sei und bleibe Donald Trump unberechenbar.

Im Mittelpunkt des Gipfels stehen nach Brunis Ansicht die Klimapolitik und der Welthandel. Zudem habe Italien ein besonderes Interesse am Gipfelthema Afrika, schon wegen der Migrationsströme übers Mittelmeer. Hier bedürfe es eines kollektiven Einsatzes nicht nur Europas, sondern auch zum Beispiel Chinas, „das ja in Afrika sehr präsent ist“, wie Bruni bilanziert, „und sich halb Afrika zusammenkauft“.

Und schließlich sei zu wünschen, dass auch die Finanzmarktstabilität wieder mehr Aufmerksamkeit erfährt, “denn hier sitzen wir auf einer Zeitbombe“.Michael Braun

Japan

Premierminister Shinzo Abe sieht das G-20-Treffen als Signalgeber für den Freihandel. Zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel möchte er in Hamburg den Abschluss des Freihandelsvertrags zwischen Japan und der EU verkünden. Eine Einigung zum G-20-Gipfel soll eine starke Botschaft gegen den Protektionismus von US-Präsident Donald Trump senden.

Abe will Hamburg auch für Top-Gespräche am Rande nutzen. Ganz oben auf seiner Liste steht ein Treffen mit Chinas Präsident Xi Jinping. Seit der Annäherung zwischen Trump und Xi fühlt sich Japan unter Druck, ebenfalls die Nähe zu China zu suchen. Daher hat Abe die Beteiligung Japans an Chinas neuer Seidenstraße und Japans Mitgliedschaft an der von China initiierten Asien-Infrastrukturbank AIIB ins Spiel gebracht. Ein Thema des erhofften Treffens soll der Umgang mit Nordkorea sein. Darüber will Abe auch mit Südkoreas neuem Präsidenten Moon Jae In sprechen. Bisher kennt man sich persönlich nicht. Abes dritter Gesprächspartner soll Wladimir Putin sein. Dabei geht es dem Japaner um die gemeinsame Wirtschaftsentwicklung der umstrittenen Kurilen-Inseln.

Japanische NGOs werden in Hamburg nicht erwartet. Martin Fritz

Kanada

Für Kanada ist der G-20-Gipfel ein Balanceakt. Einerseits möchte die Regierung von Justin Trudeau ihre Unabhängigkeit von US-Präsident Donald Trump beweisen. Andererseits hat sie kein Interesse daran, den mächtigen Nachbarn aus dem Süden zu sehr in die Isolation zu treiben. Zu eng sind die wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Bande der beiden nordamerikanischen Länder. Kein Zweifel besteht, dass die Kanadier mit der derzeitigen US-Politik wenig anfangen können und beim Gipfel in vielen Fragen an der Seite ihrer westeuropäischen Verbündeten stehen werden. Trudeau befürwortet den Klimapakt von Paris, aus dem Trump austreten will. Er wirbt für den Freihandel, dem Trump skeptisch gegenüber steht. Trotzdem wird Trudeau versuchen müssen, beim G-20-Gipfel Brücken zum US-Präsidenten zu bauen. Kanada wickelt rund zwei Drittel seines Außenhandels mit den USA ab und ist trotz der politischen Entfremdung auf ein funktionierendes Verhältnis angewiesen. Tatsächlich setzt der Austritt der Amerikaner aus dem Paris-Vertrag die Kanadier mächtig unter Druck, da die kanadische Industrie nun massive Wettbewerbsnachteile gegenüber der US-Konkurrenz befürchten muss.

Jörg Michel

Mexiko

Offene Märkte, freier Handel und mehr Klimaschutz – angesichts der Drohungen des dominanten Nachbarn im Norden lässt die mexikanische Regierung keinen Zweifel daran, welche Ziele es auf dem G-20-Treffen in Hamburg zu verteidigen gilt. Immer wieder hat Donald Trump die Wiedereinführungen von Zöllen für mexikanische Importe gefordert, um, wie er glaubt, die heimische Industrie zu schützen.

In vielen Fabriken mexikanischer und internationaler Firmen werden Kleider, Elektrogeräte und Autos für den US-Markt hergestellt. Hier treffen sich europäische und mexikanische Interessen für den G-20-Gipfel. Noch vor Trumps protektionistischen Ankündigungen bauten in Mexiko etwa deutsche Firmen wie BMW, Mercedes-Benz und Audi neue Werke, die Autos sollen auch auf US-Highways rollen. Kritiker verweisen auf die Folgen von Freihandelsabkommen, die das Land auch mit der EU abgeschlossen hat: auf den Ausverkauf der Rohstoffe, die skrupellose Ausbeutung von Arbeitskräften und die gewaltsamen Konflikte, die durch Megaprojekte internationaler Investoren geschürt werden. Wolf-Dieter Vogel

Russland

Seit dem Rauswurf Moskaus 2014 aus der Gruppe der entwickelten Industriestaaten G 8 übernahm die G 20 dessen Bedeutung für Russland. Im Nachhinein stellte der Kreml fest: die G 8 sei ohnehin ein Klub selbstzufriedener Patriarchen. Dennoch ist gerade die Kombination „alter und neuer Eliten in der G 20 für Russland nützlich“, meint Sergej Karaganow, Dekan der Fakultät für Weltwirtschaft an der Moskauer Hochschule für Ökonomie. Zurzeit sei eine Politisierung der Weltwirtschaft zu beobachten: „Ökonomie wird als Waffe eingesetzt. Russland liegt daran, dass diese Tendenz aufgehalten wird“, meint Karaganow. Die USA und „in geringerem Maße auch Europa“ würden sich gegen den Erfolg neuer Märkte dank Globalisierung wehren. Aber auch untereinander rufe die Verzahnung zwischen Russland und der EU im Energiebereich in den USA Einspruch hervor, so Karaganow. Die G 20 verfüge über mehr Einflussmöglichkeiten als der UN-Sicherheitsrat oder die klubähnliche Gruppe der G 7, meint der Dekan der Moskauer Eliteuniversität. In Hamburg wird auch ein erstes Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin erwartet. Klaus-Helge Donath

Saudi-Arabien

Im Zentrum des G-20-Gipfels steht für Saudi-Arabien ein geplantes Treffen zwischen dem saudischen König Salman und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Erstmals seit dem Ausbruch der diplomatischen politischen Krise rund um das Golfemirat Katar werden hier zwei Pole im regionalen Streit aufeinandertreffen. Saudi-Arabien führt die Blockade gegen Katar an, begleitet von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Ägypten. Erdoğan und die Türkei gehören zusammen mit dem Iran zu der regionalen Achse, die Katar unterstützt. Auch die saudische Agenda 2030, eng verbunden mit dem gerade letzte Woche neu ernannten Kronprinzen Mohammed bin Salman , ist für die Saudis ein wichtiges Thema auf dem G-20-Gipfel. Darin geht es vor allem darum, Saudi-Arabien unabhängiger vom Öl zu machen und möglicherweise in Zukunft auch mehr auf erneuerbare Energien zu setzen – mit wichtigen Implikationen für den Klimaschutz.

Karim El-Gawhary

Südafrika

Südafrika fordert eine stärkere Kooperation mit den G-20-Staaten und mehr Verantwortung gegenüber Afrikas Agenda 2063. „Es gibt keinen Zweifel, dass Afrika eine aktivere Rolle spielen soll. Dabei geht es um die Festsetzung von weltweiten Standards und Programmen“, sagt Südafrikas Institut für Internationale Angelegenheiten (SAIIA). Afrikas Zusammenarbeit mit den G-20-Ländern sei derzeit auf wenige Initiativen und einen Beobachterstatus für die Afrikanische Union und Nepad (Neue Partnerschaft für Afrika) reduziert.

Südafrika ist das einzige afrikanische G-20-Mitglied. Die Rolle der AU müsse klarer bestimmt werden, damit die Teilnahme afrikanischer Vertreter bei G-20-Verhandlungen verstärkt werde. Auch solle ein permanenter Sitz der AU-Kommission in der G 20 bedacht werden. Afrika solle die G-20-Agenda stärker in Richtung Handelsbeziehungen, Finanzmärkte, Entwicklung und Sicherheitspolitik beeinflussen.

Martina Schwikowski

Südkorea

Für den südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In wird das G-20-Treffen in Hamburg eine erste Bewährungsprobe auf internationalem Parkett: Am 10. Mai wurde der linksgerichtete Politiker zum Staatsoberhaupt gewählt, doch aufgrund zäher Anhörungen der Nationalversammlung konnte er erst am 18. Juni den Außenministerposten besetzen. Das Ministerium wird mit Kang Young Hwa zum ersten Mal von einer Frau geleitet. Auch wenn sich die Regierung noch bedeckt zeigt über ihre Agenda in Hamburg, dürfte ihr ein Gespräch zwischen dem 64-jährigen Moon und seinem japanischen Amtskollegen Shinzo Abe am Rande des Gipfels besonders wichtig sein. Dabei geht es einerseits um den alten Zwist über den Umgang Japans mit der Geschichte der Zwangsprostitution koreanischer Frauen während der japanischen Kolonialzeit: Moons linke Wähler erwarten, dass er ein umstrittenes Abkommen seiner Vorgängerregierung neu aushandelt. Moon hat deutlich gemacht, dass der Streit nicht den Ausbau des noch bescheidenen Handelsvolumens der beiden Nachbarstaaten lähmen dürfe. Vor allem aber wird es ein Drahtseilakt für den koreanischen Präsidenten, ein Gleichgewicht zwischen den Interessen Chinas und der USA zu finden. Moon steht für eine Annäherung ans Reich der Mitte, kann die US-Verbündeten, die knapp 30.000 Soldaten auf südkoreanischem Boden stationiert haben, aber nicht allzu sehr verprellen. Fabian Kretschmer

Türkei

Bis auf kurze Meldungen, dass Erdoğan zu dem Gipfel reisen wird, gibt es im Vorfeld von offizieller Seite – ebenso wie in den Kommentaren der großen Medien – zu möglichen inhaltlichen Debatten kaum Stellungnahmen. Einen Tag vor dem Gipfel wird EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn in Ankara erwartet. Man erhofft sich davon eine weitere Normalisierung der Beziehungen. Verglichen damit ist der G-20-Gipfel für Ankara eher ein zeremonielles Treffen: Man ist stolz, dabei zu sein, erwartet aber nichts Besonderes. In der Flüchtlingsfrage sieht die Türkei sich ja als eines der wenigen Länder, die ihre Pflicht erfüllen und mehr Solidarität von den anderen G-20-Ländern erwarten. Über Klimawandel wird in Ankara noch so gut wie gar nicht gesprochen.

Tatsächlich ist Erdoğan im G-20-Club ziemlich isoliert. Seine Hoffnung, engere Beziehungen zu Wladimir Putin knüpfen zu können, haben sich nicht erfüllt. Auch Trump ist für Erdoğan eine Enttäuschung. Als Ergebnis seines Besuchs in Washington ist vor allem der Streit darüber geblieben, dass seine Leibwächter kurdische Demonstranten verprügelten. Hamburgs Polizeichef hat bereits gewarnt, die Leibwächter der anreisenden Staatschefs müssten sich zurückhalten, was ziemlich eindeutig auf die Türken gemünzt war. Jürgen Gottschlich

USA

Eine Debatte über den G-20-Gipfel sucht frau in den USA vergeblich. Sowohl die Linke als auch die Regierung der größten Volkswirtschaft der G 20 haben andere Sorgen. Und wenn die US-Medien sich – bislang vor allem in Kurzmeldungen – überhaupt mit dem Gipfel befassen, dann geht es vor allem um das erste Treffen von Präsident Donald Trump mit seinem russischen Amtskollegen und um den Streit über die Bekämpfung des Klimawandels.

Schon im März, bei einem Finanzministertreffen der G 20, haben die USA verhindert, dass die Klimapolitik in der gemeinsamen Erklärung überhaupt erwähnt wurde. Die Hoffnungen von KlimaschützerInnen in den USA richten sich jetzt auf die deutsche Bundeskanzlerin und auf andere europäische PolitikerInnen, damit sie das Pariser Abkommen gegen den Widerstand von Washington retten.Fast alle linken AktivistInnen in den USA – Gewerkschaften inklusive – haben das Thema außen vor gelassen. Wenn sie sich mit Handelsfragen befassen, konzentrieren sie sich auf die vom Präsidenten angestrebte Neuverhandlung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta.

Auch die US-Regierung behandelt den G-20-Gipfel nicht als Priorität. Im Vorfeld seiner zwei Tage in Hamburg hat Trump einen zusätzlichen Stopp in Warschau eingeplant, wo er Präsident Andrzej Duda treffen wird. In einem Versuch, Europa in US-Alliierte und „altes Europa“ zu spalten, der an die Taktik der George-W.-Bush-Regierung vor dem Irakkrieg erinnert, befördert jetzt die Trump-Regierung Polen zu „einem von unseren nächsten europäischen Verbündeten“. „Die Beziehungen zwischen den USA und Europa sind so schlecht, wie sie seit Jahrzehnten nicht waren“, stellt der Ökonom und Vizedirektor des Washingtoner Thinktanks Center for Economic Policy, Mark Weisbrot, fest. Er nennt Trumps Reise nach Hamburg einen Versuch der „Schadensbegrenzung angesichts der Entfremdung des wichtigsten Alliierten der USA“.

Dorothea Hahn

Zu guter Letzt: die EU

Die Europäische Union will den G-20-Gipfel nutzen, um Donald Trump weiter zu isolieren – und sich als Vorreiterin für Klimaschutz und Freihandel zu präsentieren. Alle EU-Staaten stünden weiter zum Pariser Klimaschutzabkommen, heißt es in der EU-Kommission in Brüssel. Wenn die USA ausscheren, sei auch ein Bekenntnis der 19 anderen G-20-Mitglieder zu „Paris“ denkbar – G 19 statt G 20! Zudem will die EU den – auch in Europa umstrittenen – Kurs für noch mehr Freihandel forcieren. Kommissionschef Jean-Claude Juncker schickt sogar noch einen Unterhändler nach Tokio, um vor dem G-20-Treffen ein neues Abkommen mit Japan fertig zu stellen. Ende Juni wollte Juncker zudem an einem Vorbereitungsgespräch zum G-20-Gipfel im Berliner Kanzleramt teilnehmen – ein Zeichen, wie wichtig ihm dieses Treffen in Hamburg ist. Eric Bonse

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