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Die Intelligenz der Bienen

Insektenkunde Das periodische Sterben der Honigbienen könnte damit zu tun haben, dass die moderne Bienenzucht den Drang zur Schwarmbildung unterdrückt

Bienen, als Menschen gesehen: das erste Kapital aus „Schnurrdiburr oder die Bienen“ von Wilhelm Busch (1872)

von Helmut Hoege

Komisch, je mehr über Bienen geforscht wird, desto schlechter geht es ihnen. Die Anthroposophin Eva Rosenfelder erinnerte kürzlich daran: „In weiser Voraussicht sagte Rudolf Steiner 1923, dass die Bienenzucht in achtzig oder hundert Jahren in eine große Krise geraten werde. Als Grund dafür sah er vor allem die künstlich gezüchteten Königinnen. Heute findet mit Bienen ein globaler Handel statt: Königinnen aus aller Welt werden per Briefpost verschickt und an neuen Standorten eingesetzt. Was dabei zählt, ist der Profit.“

„Es gehört zu den erstaunlichsten Aspekten am Entscheidungsprozess der Bienenschwärme, dass er ein vollkommen demokratischer Vorgang ist“Thomas S. Seeley, „Honeybee Democracy“

Ein der „Demeter-Imkerei“ verbundener Schweizer Autor, Markus Imhoff, filmte für seine Dokumentation „More Than Honey“, wie in den USA Großimker, die mit 50.000er- bis 100.000er-Völkern wirtschaften, das handhaben. Zwecks Effektivierung werden die Völker nach der ersten Bestäubungsaktion, zum Beispiel der riesigen Mandelbaum-Plantagen in Kalifornien, „gesplittet“: Die Bienenkästen kommen auf ein Fließband, werden oben maschinell abgefräst und dann macht man aus einem Volk vier, indem in vier leere Kästen jeweils ein Wabenrahmen mit Eiern, Larven, Honig und Pollen reingestellt wird. Die Bienen sind inzwischen an die Decke der Splitting-Halle geflogen. Von dort fegt man sie in Eimer, deren Inhalt dann auf die vier Kästen verteilt wird. Deckel zu und fertig sind die vier neuen Völker. Nach drei Tagen werden sie mit je einer gekauften Königinnen-Zelle bestückt. Das hessische Bieneninstitut in Kirchhain spricht dabei von einem „Kunstschwarm“ – mit dem der Imker „künstlich ein neues Bienenvolk schafft“.

Auf der Internetseite des anthroposophischen Vereins für „wesensgemäße Bienenhaltung, ‚Mellifera‘“, fassten Mitarbeiter der Lehr- und Versuchsimkerei Fischermühle diese industrielle Bienenbewirtschaftung so zusammen: „Zur künstlichen Bildung von Völkern, der Ablegerbildung, werden üblicherweise ‚Bienenmaterial‘, Brut- und Vorrats-Waben verwendet, die willkürlich aus voll entwickelten Völkern entnommen werden. Sie werden mit einer Königin aus künstlicher Zucht oder Nachschaffung in eine neue Bienenwohnung gebracht und mit Zuckerwasser gefüttert. Wie Bauteile eines technischen Gerätes werden sie zusammengesetzt. Der Imker vertraut dabei auf das Wunder der lebendigen Natur, die dem Organisationsprinzip des Bienenvolks folgend, aus den Teilen ein Ganzes macht, das heißt einen neuen Organismus bildet.“

Unterdrückter Schwarm

Aber dieses Wunder bleibt zunehmend aus. Man macht dafür Glyphosat und die Varroa­milbe verantwortlich. Die Autoren erinnern deswegen noch einmal an den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital – auch bei den Bienen: „Jede moderne Betriebsweise unterdrückt den Schwarm. Die Maßnahmen der ‚Schwarmtrieblenkung‘ und einseitige züchterische Selektion sollen ihn im Vorfeld verhindern. Trotzdem aufkommende Schwarmstimmung wird notfalls mit einem oder mehreren massiven Eingriffen abgebrochen. Die somit fehlende natürliche Vermehrung der Völker wird durch künstliche Ablegerbildung und Königinnenzucht ersetzt.“ Dabei ist „der Schwarm der eigentliche Höhepunkt der Volksentwicklung“. Nur „der Schwarmakt“ kann als „Geburt von Bienenvölkern“ gelten.

Schwesterlicher Geruch

Die Bienen erkennen sich als Schwestern am Stockgeruch, der anscheinend viel mit einem Drüsensekret der Königin zu tun hat, die normalerweise ihrer aller Mutter ist. Gesplittet sind die Bienen kein Volk mehr, ein „Staat“ sowieso nicht, sondern ein zusammengewürfelter Haufen. Deswegen fliegen sie vielleicht reihenweise aus und kommen nicht mehr zurück – ohne Volk sind sie aber auch so oder so nicht (mehr) lebensfähig. Das nennt sich dann Bienensterben: wenn zum Beispiel von 450 Völkern, die die Mandelbaumblüten in Kalifornien bestäubt haben, wie im Film dokumentiert, nur 230 übrig bleiben. In den anderen Kästen findet man nur noch eine Königin und ein paar Drohnen, die Waben sind ansonsten voll mit Eiern, Larven, Honig und Pollen.

Im Bienenstock gibt es streng genommen nur eine geschlechtliche Arbeitsteilung – zwischen der fruchtbaren „Königin“ sowie den wenigen sie befruchtenden Drohnen einerseits und den zigtausend „sterilen“ Arbeiterinnen andererseits. Während jene auf ihre Sexualfunktion reduziert sind, führen diese im Laufe ihres Lebens, das im Sommer rund fünf Wochen und im Winter fünf bis sechs Monate dauert, alle anfallenden Tätigkeiten nach und nach aus. Die weiblichen Bienen sind keine Spezialisten, sondern Generalisten. Sie verständigen sich auf den Waben im Stock tanzend, wenn es gilt, ein ergiebiges Blütenfeld abzuernten. Und wenn der Schwarm mit seiner alten Königin den Stock verlassen und sich zum Beispiel an einem Baum versammelt hat, übernehmen Sammelbienen auch die Suche nach einer neuen Unterkunft – über deren „Qualität“ sie sich auf dem Schwarm ebenfalls tanzend verständigen, und zwar um so heftiger und nervöser, je mehr die einzelne Tänzerin von der Qualität ihrer gefundenen neuen Behausung überzeugt ist. Daraufhin fliegen andere Sammelbienen noch einmal aus, um sich selbst von diesem „Supernistplatz“ zu überzeugen. Ausgehend von vielen Experimenten hat der US-Bienenforscher Thomas S. Seeley aus der Suche dieser Bienen und ihrer „kollektiven Entscheidung“ für die geeignetste Unterkunft eine auch für uns geradezu vorbildliche „Bienendemokratie“ konstruiert. Diese sollten wir uns alle zu Herzen nehmen. Der Autor praktiziert sie selbst erfolgreich als Leiter eines Forschungsinstituts . „Es gehört zu den erstaunlichsten Aspekten am Entscheidungsprozess der Bienenschwärme, dass er ein vollkommen demokratischer Vorgang ist“, heißt es dazu in seinem Buch: „Honeybee Democracy“.

Der Siegener Germanist Niels Werber hat sich in seiner „Faszinationsgeschichte ‚Ameisengesellschaften‘“ mit diesem Buch („Bienendemokratie“) beschäftigt: Seeley hatte seine Behauptung, dass der Schwarm in einer „demokratischen Debatte“ die Wahl für seine „neue Heimat“ trifft, natürlich genetisch begründet – und gleich an mehreren Stellen darauf hingewiesen, „dass die von ihm beschriebenen Verfahren der Entscheidungsfindung ‚durch das Prinzip der Selektion geprüft und optimiert‘ worden seien“. Im Bienenvolk – als Muster des derzeit angesagten „Schwarmdenkens“ – wirke die „Meisterhand der Selektion“.

Unkritische Rezeption

Hinter dieser Konstruktion steckt laut Niels Werber eine unkritische „Rezeption von ökonomischen Theorien und Metaphern“, die bei den Insektenforschern anscheinend gang und gäbe ist, wobei sie ihr damit analysiertes Tierverhalten dann auch noch ärgerlicherweise zum „Modellfall der Gesellschaftstheorie“ erklären, also dass die Sozialwissenschaftler gefälligst bei den Entomologen in die Lehre gehen sollen, wenn sie weiterhin ernst genommen werden wollen.

In Deutschland wurde das allerdings schon einmal – während der Nazizeit – durchexer­ziert, weswegen die Rezensionen von Seeleys „Bienendemokratie“ hier meist wenig schmeichelhaft ausfielen. Auch wenn man damals das „Entscheidungsverhalten des Bienenschwarms“ noch nicht mit Hilfe moderner „Algorithmen und Quoren modellierte“, wie Seeley und die meisten anderen Erforscher dieser „Superorganismen“ heute. Der US-Autor denkt dabei jedoch nicht deutsch-„völkisch“, sondern eher wie der griechische Philosoph und Arzt Alkmaion von Kroton, der die Gesundheit eines Organismus mit den Fachausdrücken der demokratischen Verfassung beschrieb.

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