piwik no script img

Kein Trost für Srebrenica-Opfer

Niederlande Der Staat ist für den Tod von 350 Bosniern verantwortlich und muss dafür eine Entschädigung zahlen. Das hat ein Berufungsgericht in Den Haag entschieden

Eine Frau betet auf dem Friedhof von Potocari für die Srebrenica-Opfer Foto: Dado Ruvic/reuters

Von Erich Rathfelder

SPLIT taz | Mehr als 20 Jahre nach den Massakern an 8.000 Männern im bosnischen Srebrenica hat ein Berufungsgericht in Den Haag den niederländischen Staat für den Tod von 350 Opfern mitverantwortlich gemacht und erklärt, der niederländische Staat habe damals „illegal gehandelt“. Doch stellte das Berufungsgericht gleichzeitig nur eine „begrenzte Verantwortung“ der niederländischen UN-Blauhelme für die von Serben verübten Kriegsverbrechen fest. Immerhin muss der Staat den Opferfamilien nun eine Teil­entschädigung zahlen.

Am 11. Juli 1995 hatten serbische Einheiten die UN-Schutzzone Srebrenica überrannt. Die niederländischen UN-Blauhelme hatten die Schutzzone den Serben unter Anführung von General Ratko Mladićkampflos übergeben. Anschließend hatten die serbischen Einheiten rund 8.000 bosnische Männer und Jungen ermordet.

Der serbische General Ratko Mladićprostete damals dem niederländischen Kommandanten Thomas Karremans zu. Dass Mladićam selben Tag erklärte, jetzt sei es Zeit, Rache an den „Türken“ wegen der verlorenen Schlacht von Kosovo Polje im Jahre 1389 zu nehmen, entlastet die Niederländer nicht. Die würdelose Servilität Karremans gegenüber Mladićhatte weitgehende Konsequenzen.

Weil die niederländischen Soldaten die Männer, die um den Schutz der UN-Soldaten ersuchten, fortschickten, seien sie ihrer Chance aufs Überleben beraubt worden, sagte die Vorsitzende Richterin Gepke Dulek am Dienstag. Die Opfer hatten zum Teil vorher für die Niederländer gearbeitet. Sie waren auf das Gelände der UN-Truppen geflohen und hatten sich unter die 5.000 Frauen und Kinder gemischt, die hier Schutz fanden.

Die würdelose Servi­lität Karremans gegenüber Mladićhatte Konsequenzen

Obwohl die Schüsse der Erschießungskommandos schon zu hören waren, die damit begonnen hatten, alle männlichen Zivilisten aus Srebrenica zu töten, übergaben die Niederländer diese 350 Menschen dem sicheren Tod. In dem ersten Gerichtsverfahren 2014 hatten Angehörige der Opfer von damals teilweise Recht bekommen. Das Zivilgericht machte 2014 die Niederlande haftbar für den Tod der Männer. Es war der erste Schuldspruch gegen den Heimatstaat einer UN-Truppe für Kriegsverbrechen einer dritten Partei. Die Soldaten hätten die Menschen zu Unrecht vom Gelände gewiesen. „Man kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass diese Männer am Leben geblieben wären, wenn das Dutchbat ihnen gestattet hätte, auf dem Militärgelände zu bleiben,“ hieß es auch in der damaligen Urteilsbegründung. Dagegen hatte die niederländische Regierung Berufung eingelegt.

Die niederländischen UN-Truppen hätten gegen die serbische Übermacht gar nichts tun können, argumentierte der Staat. Außerdem stand die Truppe nach niederländischer Auffassung unter der Befehlsgewalt der Vereinten Nationen. Auch die Angehörigen der Opfer, die „Mütter von Srebrenica“, hatten Berufung eingelegt. Sie sind der Ansicht, dass die niederländischen Truppen für weitaus mehr Opfer haftbar gemacht werden müssten. Die überlebenden Opfer des Genozids und die Angehörigen der Ermordeten von Srebrenica werden die Haltung der niederländischen UN-Soldaten ohnehin nie vergessen. Die Niederländer repräsentieren in ihren Augen das Versagen der internationalen Gemeinschaft insgesamt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen