: Am anderen Ende der Leitung
MEDIEN Das Radio für Kinder Radijojo will Grundschülern die Grundlagen des Journalismus beibringen. Außerdem macht es interkulturelle Begegnungen möglich: Für die vorerst letzte Sendung wurden Kinder im Sudan via Skype interviewt
■ Radijojo ist ein gemeinnütziges Mitmachradio für Kinder. 2001 gründete Geschäftsführer Thomas Röhlinger das Webradio als Gegenprogramm zu kommerziellen Kinderradios. Radijojo ist werbefrei und engagiert sich in medienpädagogischen Projekten an Berliner Schulen und zusammen mit Kinderradioprojekten aus aller Welt zu den Themen internationale Friedensarbeit, Kinderrechte und interkultureller Austausch.
■ Die Finanzierung läuft projektbezogen und ist daher häufig ein Problem. Die etwa 15 Radijojo-Mitarbeiter arbeiten oft ehrenamtlich. Röhlinger will die GmbH daher in eine mit Bundesmitteln geförderte Stiftung überführen: das World Childrens Media Network. Bisher waren die Förderanträge aber erfolglos.
■ Der Workshop zu den Millenniumszielen, der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert wurde, war vorerst der letzte – die Anträge zur Finanzierung für 2013 laufen noch. Zudem stehen Gelder für einige größere Radijojo-Projekte auf der Kippe, etwa für das transatlantische Projekt „Across the Ocean“, das Kinderradios aus den USA und Deutschland vernetzen soll.
■ Zu hören ist das von der Unesco ausgezeichnete Radio auf www.radijojo.de. Einzelne Sendungen laufen zudem auf nichtkommerziellen Partnersendern deutschlandweit. (akl)
VON ANNA KLÖPPER
Auf dem Laptop von Nicole Wilden läutet das Skype-Telefon. Plötzlich sind 15 eben noch mittagsmüde Grundschüler hellwach: „Wer nimmt ab?“, ruft Wilden. Leichtes Chaos bricht aus, dann findet endlich jemand den richtigen Knopf. Vom anderen Ende der Internetleitung schauen vier neugierige Kinderaugenpaare aus dem Südsudan in das Klassenzimmer der Hannah-Höch-Schule in Reinickendorf.
Die Skype-Konferenz mit einem Kinderradio aus dem Südsudan war der Höhepunkt eines einwöchigen Projekts, das das Berliner Kindermitmachradio Radijojo mit Grundschülern aus dem Märkischen Viertel veranstaltete: Die Kinder haben Rohmaterial für eine 30-minütige Radiosendung zu den sogenannten Millenniumszielen der Vereinten Nationen (UN) zusammengetragen.
Die Millenniumsziele sind eine von 189 Regierungschefs verabschiedete Agenda, die auf der UN-Hauptversammlung im Jahr 2000 beschlossen wurde – und die nichts Geringeres will, als die Welt bis 2015 ein wenig besser zu machen. So sollen die Kindersterblichkeit verringert, für den freien Zugang zu Bildung gestritten und Armut und Hunger bekämpft werden. Alles ganz unverbindlich, und eine Agenda für die Zeit nach 2015 gibt es sicherheitshalber auch schon.
Internationale Zusammenarbeit, voneinander lernen, die Rechte von Kindern thematisieren – darum geht es auch Radijojo bei den Workshops, die das nichtkommerzielle Webradio regelmäßig an den Schulen der Stadt anbietet. „Wir wollen den Kindern zum einen die technischen Grundlagen des Radiomachens beibringen: Wie bereite ich ein Interview vor, wie baut man eine Sendung“, sagt Projektleiterin Nicole Wilden. „Zum anderen geht es uns darum, die Begegnung mit anderen Kulturen erfahrbar zu machen – wie eben am Beispiel der zunächst sehr abstrakt erscheinenden Millenniumsziele.“ Globales Lernen heiße das im Lehrplan, sagt Wilden. „Aber viel zu oft wird im Unterricht nur über fremde Kulturen gesprochen statt mit ihnen.“
Allerdings ist miteinander zu sprechen manchmal auch mühevoller, als bloß übereinander zu reden. Die elfjährige Celine, die vorhin noch unbedingt fragen wollte, ob es in Afrika wirklich so große Müllberge gibt, wie sie auf Fotos gesehen hat, wagt genauso wenig wie ihre MitschülerInnen, den Südsudanesen die erste der vorbereiteten Interviewfragen zu stellen: Ob sie alle zur Schule gehen? Was sie von den Millenniumszielen wissen? Die Kinder aus dem Südsudan sprechen nur Englisch, die Verbindung ist schlecht. Ein schüchternes „How are you?“ in Richtung Zentralafrika macht den Anfang.
Nicole Wilden bringt das Gespräch schließlich in Gang und übersetzt für die Kinder. Ein Mädchen will wissen, warum nicht alle Kinder im Südsudan zur Schule gehen. Aus Afrika kommt die Antwort, das liege am Geld – und bei den Mädchen auch daran, dass sie früh verheiratet würden, mit 13 oder 14 Jahren. Nachdenkliche Stille. 13 oder 14 ist gar nicht so weit weg für die Fünft- und Sechstklässlerinnen im Raum. Plötzlich werden schwere Themen, die eben noch als Fragen und Thesen auf ein Flipchart gebannt waren – der Zugang zu Bildung, Zwangsheirat, Armut –, ganz real und bekommen die Stimme eines 13-jährigen Jungen aus dem Südsudan. Sogar der Sechstklässler Gregory, der vorhin noch erzählte, er sei bloß hier, weil er keinen normalen Unterricht mitmachen will, hört zu.
Was die Kinder an diesem Workshop aber genauso reizt, ist die Technik, mit der sie hier umgehen dürfen. Oneel, Celine, Lina und Lenny drängen sich um den Laptop und lassen sich von Nicole Wilden das Schnittprogramm erklären. Angestrengt überlegen sie, wie sie aus dem Material ihrer Straßenumfrage zu den Millenniumszielen, für die sie ein paar Tage zuvor durch die Nachbarschaft gezogen sind („Millenniums-was?!“), einen Beitrag für die geplante Sendung zusammenschneiden können. Konzentriert lädt die zehnjährige Lorena derweil Fotos vom Workshop auf die Radijojo-Website hoch.
Sogar die Musik zur Sendung haben die Kinder selbst aufgenommen: „Meistens wird das nichts mit der Musik, die Kinder kennen keine Lieder mehr“, klagt Nicole Wilden noch. Die Schüler der Hannah-Höch-Schule schmettern als Antwort einstimmig „Freude schöner Götterfunken“ aus Beethovens Neunter Sinfonie ins Aufnahmegerät, auswendig, erst bei der letzten Strophe wird der Chor dünner, aber da fangen einige schon wieder von vorn an: „Alle Menschen werden Brüder …“
Bis es so weit ist, haben die Vereinten Nationen wohl noch einiges zu tun – und Radijojo auch. Mitte Dezember, sagt Nicole Wilden, soll der dann von Radijojo-Redakteuren fertig geschnittene Beitrag im Livestream und zudem als Podcast auf der Website laufen.
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