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Senat baut mehr VeloroutenRadstreifen in der Kritik

Obwohl manche Radler die markierten Fahrspuren fürchten, baut der Senat weiter. Ängste widersprächen der Statistik, sagt Grünen-Fraktionschef Tjarks

Wenn doch alle Radwege so breit wären: Teilnehmer der jährlichen Sternfahrt auf der Köhlbrandbrücke Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Anjes Tjarks fühlt sich sicher auf den neuen Radstreifen längs der Straßen, die neuerdings viele alte Radwege ersetzen. Damit liegt der Vorsitzende der Grünen Bürgerschaftsfraktion im Trend: Studien bestätigen, dass auf der Fahrbahn geführte Radwege sicherer sind, weil man die Radler besser sieht. Tjarks fühlt also statistisch „richtig“ und wer die Velorouten fürchtet, fühlt „falsch“.

Deshalb will der Politiker den Ausbau der Velorouten, beschlossen 2016 im Bündnis für Radverkehr, kräftig vorantreiben: 50 Kilometer neue Radstrecke will der rot-grüne Senat jährlich schaffen und bis 2020 ganze 280 Kilometer Velorouten. 2016 waren es 45 Kilometer.

„Mit modernen Radwegen, in deren Umfeld sich alle verkehrskonform verhalten, wollen wir gute Radler generieren“, sagt Tjarks. Dass die schmalen, auf die Straße gequetschten Velorouten gefährlich sind, hat allerdings der jüngste Fahrrad-Klimatest des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) gezeigt: In der Befragung von 2.244 Radlern, die Schulnoten von eins bis sechs vergaben, bekam das Befahren von Radwegen und -schutzstreifen eine 4,7, die Akzeptanz im Verkehr eine 4,4, Dispute mit KFZ eine 4,9.

Doch das sind laut Tjarks, der am Mittwoch gemeinsam mit Lars Pochnicht, dem Radverkehrsexperten der SPD-Fraktion bilanzierte, Gefühlsduseleien: „Wenn man jahrzehntelang dazu erzogen wurde, auf Bürgersteigen zu fahren, muss man sich erstmal umgewöhnen“, sagt Pochnicht. Das klingt nach Volkserziehung und genau jener Bevormundung, die die CDU dem rot-grünen Senat gern vorwirft.

Die Sternfahrt

Als Demonstration versteht sich die von „Mobil ohne Auto nord e.V.“ organisierte Fahrrad-Sternfahrt am 18. Juni, die auf 16 Routen zum Hamburger Rathausmarkt führt.

Highlights werden die Überfahrt der sonst für Radler gesperrten Köhlbrandbrücke sowie die Überquerung der Norderelbe auf der dann gesperrten Autobahn sein.

Hinweise, Treffpunkte und Uhrzeiten: www.fahrradsternfahrt.info

Die fehlenden 1,50 Meter Überholabstand neben den Velorouten bestätigt dabei sogar Sabine Darjus, Vorsitzende des Hamburger Fahrlehrerverbands. Ein sicheres Befahren der Radstreifen sei oft nicht möglich, sagt sie. Auch Tjarks räumt ein. „Um den Überholabstand zu gewährleisten, müsste man den Autoverkehr in bestimmten Straßen komplett stoppen. So weit sind wir noch nicht.“

Und während Uwe Jancke, Vorstand des Bündnisses Mobil ohne Auto und Veranstalter der diesjährigen Fahrradsternfahrt, die Radwegpolitlik lobt, fordert Johanna Drescher vom ADFC: „Wir brauchen bis zu drei Meter breite Radwege, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit sowie ein höheres Budget für Radverkehr über die derzeit 30 Millionen Euro hinaus.“

Doch es hakt nicht nur am Geld. Denn obwohl laut Tjarks Fahrradstraßen „die sicherste Variante überhaupt“ sind, existieren sie bislang nur da, wo es den Autoverkehr nicht stört: im beschaulichen Harvestehuder Alstervorland sowie am ruhigen Eppendorfer Leinpfad. Um die Route um die Alster zu schließen, stünde nun die belebte am Hotel Atlantic an, wofür der Autoverkehr massiv eingeschränkt werden müsste. Das wurde erstmal verschoben.

Den Vorwurf, der Senat betreibe bloße Kosmetik, lässt Tjarks trotzdem nicht gelten: „In den Leinpfad haben wir 1,6 Millionen Euro investiert. Das kann also gar keine Kosmetik sein.“

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5 Kommentare

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  • "Studien bestätigen, dass auf der Fahrbahn geführte Radwege sicherer sind, weil man die Radler besser sieht."

    Solche. Studien. Gibt. Es. Nicht.

    Fühlt sich Herr Tjarks auch durch 'Studien' bestätigt, wonach ein höherer CO2-Gehalt in der Athmosphäre das Pflanzenwachstum stärkt und so den Hunger besiegen hilft?

     

    Die Grünen müssten sich endlich von dem weltweit nur in Kfz-Deutschland gültigen 'Sicherheits'-Dogma verabschieden, wonach größtmögliche Nähe zum Kfz-Verkehr am meisten Sicherheit bietet ('Sichtbarkeit erhöhen'), eine in der gesamten Sicherheitsbranche einmalige Theorie.

     

    1. Strukturell Abstand zum Gefährder herstellen

    2. Räumlichen Abstand zum Gefährder herstellen

    3. und 4. Persönliche Sicherheitsmassnahmen, für Gefahr sensibilisieren

     

    Das ist die Reihenfolge. Und das verlangt auch die Radverkehrssicherheit. Auf dieser Politik beruht der Erfolg der Niederlande.

     

    Die Fahrbahnführung des Radverkehrs aus 'Sicherheits'gründen ist grober Unfug.

    Sie macht den Radverkehr äußerst unsicher und hoch stressbelastet (Gefahr, ständige höchste Aufmerksamkeit, Zwang zur Vermeidung auch kleinster Fehler, Gestank, Lärm).

    Der Vergrämungseffekt der Fahrbahnführung ist so hoch, dass ganze Bevölkerungsgruppen durch ihn vom Radverkehr ausgeschlossen werden.

     

    Diese Partei-Programmatik sollten die Grünen ändern - auch wenn das

     

    1. bedeutet,die Attraktivität des Radverkehrs zu Lasten des Kfz-Gebrauchs zu steigern.

     

    Und auch wenn es

     

    2.bedeutet, dem Radverkehr eine eigene Infrastruktur zu bauen und so das Infrastrukturmonopol der Kfz-Industrie In Frage zu stellen.

     

    Der Schutz der Kfz-Industrie ist nicht Alles, liebe Grüne.

    • @Vorstadt-Strizzi:

      Radfahr- und Schutzstreifen auf der Straße sind in der Tat sicherer. Die meisten Unfälle zwischen Rad- und Autofahrern geschehen beim Abbiegen des Kfz, weil die Radfahrer übersehen wurde, z.B. weil parkende Fahrzeuge, Stromkästen, Werbeflächen etc. die Sicht beeinträchtigen. Das fällt weg, wenn man auf der Straße fährt. Und in den meisten Fällen ist der Autofahrer der Hauptverantwortliche für den Unfall. Nichtsdestotrotz gibt es auch Radfahrer, die durch ihr Verhalten Unfälle verursachen, z.B. weil sie auf der verkehrten Seite fahre. Das fällt bei den Streifen auf der Fahrbahn weg.

       

      Aber klar, das subjektive Sicherheitsempfinden ist oftmals ein anderes und an Veränderungen müssen sich Leute erst gewöhnen. Vielleicht wäre es da ganz sinnvoll, wenn man eine kleine physische Barriere auf den Streifen legt, damit sich die Radfahrer "abgegrenzt" fühlen. Ist in anderen Bereichen ja nicht anders; es gibt nicht wenige Leute, die den ÖPNV meiden, weil sie Angst haben, Opfer von Straf- und Gewalttaten zu werden. Dass es in Bahnen, Bussen und Haltestellen zehnmal seltener zu solchen Vorkommnissen kommt als in anderen Bereichen der Stadt, nimmt niemandem die Ängste, der Bilder von Straftaten in den Medien sieht, denn in diesen Bereichen hängen Kameras und in anderen wenig bis nie.

      • @Verkehrsfritze:

        Nun, wie kommt es, dass in den Ländern, die eine gute geschützte radinfrastruktur haben, dass dort der Radverkehr so überaus sicher ist?

         

        Je mehr getrennt, desto sicherer.

        Niederlande, am meisten getrennt - am sichersten.

        Dann Dänemark, dann Deutschland.

        In den Ländern, wo es kaum gar keine getrennte Radinfra gibt, dort leben Radfahrer am gefährlichsten - obwohl sie doch auf der Fahrbahn so sichtbar und zumeist sogar in Papageien-Lycra unterwegs sind.

         

        Sichtbarkeit und Gesehen werden sind 2 verschiedene Dinge.

        Je näher der Fahrbahn, desto mehr konkurriert der Radler in der Sehverarbeitung mit Kfz. Da Kfz im Gegensatz zum Radler eine Gefahr für den Autofahrer darstellen, fokussiert er auf Kfz bzw ist das 'Mustersuchprogramm' im Gehirn auf das Muster 'Kfz' eingestellt.

        Deshalb nützt die Sichtbarkeit dem Radler auf der fahrbahn im Zweifel nichts nichts - er wird übersehen.

        Je höher die Geschwindigkeit des Kfz-Fahrers, die die Sehreize erhöht und die Auflösung herabsetzt, desto eher.

         

        Zu den Abbioegeunfällen:

        Aus der von der aus der KFZ-Lobby finanzierten UDV (Unfallforschung der Versicherer, campaignt gg Radwege) 6/2013 erstellten Studie "Abbiegeunfälle Radfahrer vs Kfz/LKW":

         

        “5.6 Präferierte Radführungsformen

        Für die untersuchten Radführungsformen [Hochbord, Radstreifen, Mischverkehr] war kein Unterschied im objektiven Risiko (Konfliktrate) nachweisbar."

         

        Sichtbarkeit im Verkehr https://radverkehrhamburg.wordpress.com/sichtbarkeit-im-verkehr/

        • @Vorstadt-Strizzi:

          Eine Gleichsetzung von Städten ist auch keine empirische Methode, um Aussagen über die Verkehrssicherheit zu treffen. Hierfür müsste man eine Straße umbauen und über mehrere Jahre die Entwicklung beobachten sowie entsprechende Faktoren (insb. Verkehrsaufkommen) gewichten, um die Zahl zu liefern. Das tat die UDV so wenig wie die BASt. Sicherlich sind planfreie Verkehrswege erst einmal sicherer. Aus dem selben Grund passieren pro Kilometer ja auch auf Autobahnen weniger Unfälle als bspw. auf Land- und Stadtstraßen. Das ist bloß nicht überall städtebaulich möglich. Mit den schmalen, schwer erkennbaren Streifen, wie sie in Hamburg über Jahrzehnte parallel zum Fußweg angelegt wurden, haben die Radverkehrsanlagen in den beiden genannten Ländern auch nicht viel zu tun. Mal abgesehen davon, dass man auch dort die Radfahrstreifen gut kennt und nutzt, wo es sinnvoll ist. Beispiel Kopenhagen: http://ulzburger-nachrichten.de/?p=23114

          • @Verkehrsfritze:

            1. Eine Gleichsetzung von was auch immer ist nie eine empirische Methode.

            Im Gegensatz zu einem Vergleich.

            2. In allen Städten wurden in der UDV-Studie unterschiedliche Führungen verglichen.

            Ergebnis: Siehe oben.

             

            Planfreie Knoten (verschiedene Niveaus, s. Autobahnkreuze), falls Sie die meinen, sind in der Stadt fast nie zu realisieren.

             

            Und nein, auch wenn diese Agitation sehr beliebt ist, die "schmalen, schwer erkennbaren Streifen," sind keine Referenzobjekte für eine inklusive, vor dem MIV geschützte Radinfrastruktur.

             

            Mikael Colville-Andersen von copenhagenize im green-city magazin:

             

            "Sollte ein Planer in einer dänischen Stadt tatsächlich vorschlagen, Fahrräder auf der falschen Seite geparkter Autos fahren zu lassen – also zwischen der Fahrertür und dem rasenden Verkehr –, würden wir ihn auslachen. Und das solltet ihr in Deutschland auch tun. Lacht sie aus: diese faulen Politiker, diese ignoranten Verkehrsplaner und diese testosterongesteuerten Hardcoreradler, die meinen, dass Radwege auf die Straße gehören. Denn ihre Dummheit ist gefährlich!" https://www.greencity-magazin.de/die-stadt-muss-radikaler-werden/

             

            Dem ist nichts hinzuzufügen.