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LGBTI*-Medien und PolitikOhne Blasen geht es nicht

Haben sexuelle Minderheiten in ihren „Filter Bubbles“ schuld, dass Donald Trump in den USA Präsident werden konnte? Klarstellungen.

Prinzip Seifenblase: Fliegende LGBTI*-Blasen sind hübscher und besser als geplatzte Foto: dpa

Mark Lilla, Ideenhistoriker an der New Yorker Columbia University, kritisierte in der New York Times unmittelbar nach Donald Trumps Wahlkampfsieg die Demokraten. Sie, die lieber Hillary Clinton wollten, seien eine Mixtur aus Minderheiten, die kommunikativ nur um sich selbst kreisten. Sie hätten das große Ganze, das Gemeinwohl des Landes, aus den Augen verloren.

Gemeint war vor allem, was Sexuelles thematisierte, vornehmlich durch LGBTI*-Szenen. Diskurspromis wie ­Slavoj Žižek und hierzulande etwa der Sozialpsychologe Harald Welzer äußerten sich ähnlich: Identitätspolitik sei fatal dafür verantwortlich, einen erratischen Menschen wie Trump an der Macht ermöglicht zu ­haben.

Dem Kampf der Demokraten ums Weiße Haus habe der mobilisierende Fokus gefehlt: Die weiße, abgehängte Arbeiterklasse, arbeits- und perspektivlos, Opfer der Globalisierung, anfällig für die giftig-falschen Verheißungen des Populisten Trump. Linke müssten raus aus ihren „bubbles“, aus den „Blasen“, in denen es nur um Selbstbestätigung gehe.

An dieser Kritik war manches richtig (nein, die sexuellen und identitären Fragen sind wirklich nicht die alles entscheidenden Punkte), aber eben auch vieles falsch.

Die Blase schützt

Benno Ohnesorg liegt blutend auf dem Boden, Friederike Hausmann beugt sich über ihn
50 Jahre gegen den Strom

2. Juni 1967: Ein Schuss tötet den Demonstranten Benno Ohnesorg. Dieses Datum markiert den Beginn einer bis heute geführten Debatte über Gegenöffentlichkeit, über die Medien, über Wahrheit und Lüge, oder, wie man heute formulieren würde, über Fake News und alternative Fakten, über Verschwörungstheorien, bürgerliche Zeitungen und alternative (auch rechte) Blätter, über die „Wahrheit“ und die Deutungshoheit gesellschaftlicher Entwicklungen. Nachdenken über 50 Jahre Gegenöffentlichkeit: taz.gegen den stromDie Sonderausgabe taz.gegen den strom – jetzt im taz Shop und auf www.taz.de/gegenoeffentlichkeit

Der an der Stanford University lehrende Germanist Adrian Daub sagte: „In der ‚Blase‘ der eigenen Szene zu sitzen, ja, überhaupt in ihr Platz nehmen zu können, ist die Voraussetzung, um an gesellschaftlicher Kommunikation teilhaben zu können.“ Schwule, Lesben und Trans* bräuchten diese „Bubble“ als „Schutzraum“ – das gleiche gilt natürlich auch für nichtweiße Bürger*innen.

In der Tat haben sich Lesben und Schwule und Trans* erst mit dem Internet die Foren geschaffen, in denen sie, mit Ausschlüssen von homo- und transphoben Menschen, untereinander debattieren können. Denn die Dinge, die sie zu erörtern haben, handeln wirklich von Selbstverständigung.

Aber das klingt viel zu neutral. In diesen „Blasen“ geht es um alles, was Heterosexuelle nicht betrifft. Schwule, Lesben und Trans* leben anders, nehmen die Welt aus einer anderen Perspektive wahr, haben anderen Sex, andere Vorstellungen von der Zukunft, grundsätzlich andere.

Wie war es vor dem Internetzeitalter, als Publizität noch an immensen finanziellen Einsätzen hing, es keine Blogs und sozialen Netzwerke gab?

Vor der Blase

Ende der sechziger Jahre waren schwule oder lesbische Stimmen und solche von Trans* Objekte des Mitleids, wenn überhaupt, und des Defizitären. Aber meist wurde über Nicht­heterosexuelles gar nicht gesprochen, es war – und ist bis heute – ein Themenfeld, das „übersehen“, „überhört“, „übergangen“ und also beschwiegen wurde und wird.

Medien schwuler Männer in Deutschland waren Illustrierte wie Du & Ich, später die schwulenbewegte Magnus oder die Siegessäule, noch später das seriösere Magazin Männer – aber bis auf die anzeigenfinanzierte Siegessäule und andere Stadtmagazine für queere Zielgruppen sind sie alle eingegangen. Jedoch: Mit der L-mag haben wenigstens lesbische Leser*innen ein modernes Magazin für und durch Lesben.

Jan Feddersen

Jahrgang 1957, hat Soziologie studiert und ist seit 1996 Redakteur bei der taz. Aktuell betreut er taz.meinland, das taz.lab und diese Sonderausgabe. Spezialgebiete: Diskriminierung

Anders als etwa in den USA mit The Advocate, gibt es in Deutschland kein ansatzweise schwules Forum aktuell-journalistischer Art auf Papier mehr. Der amerikanischen Publikation würde es obendrein nie einfallen, den Kampf um Bürger*innenrechte („Ehe für alle“) als unwichtig zu diffamieren, was hierzulande immer der Fall war – man bevorzugte eher das Lebensstilige am Homosexuellen. Immerhin: queer.de ist online eine politische und journalistische Newsseite der LGBTI*-Szenen.

Insofern: Kritik an „bubbles“ wie von Mark Lilla heißt auch immer, die Wirklichkeiten von Minderheiten im Mainstream aufgehen lassen zu wollen. Und der ist weiß, hetero und überwiegend männlich. Wirklich noch Fragen?

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7 Kommentare

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  • @ "Wo ist die Pointe?" - Danke. Genau!

     

    Daß es daran fehlen würde - hab ich -

    Erwartet/Befürchtet! Das ja.

    Mark Lilla&Cie. "Raus aus den Bubbles" - bei/wg Präsi-Wahl - (Nothing else!!)!!

    Modelt JAFJAF in steinalter Manier um in - "Ohne Blasen geht es nicht!"

     

    Niemand hat dem widersprochen!

    Aber - Generation Gummibärchen & exK-Grüppler-Blasie - Nix dazugelernt - Legt der Autor des - doch doch - Langen&desBreiten dar - aber Hallo!

    Wie notwendig gerade Blasen sexuell sind. "Jau. Gebongt. But - So what!"

    kurz - Thema verfehlt! & - Däh!

    Ergo - Keine Pointe!

    Da mähtste nix.

    Normal.

  • Ohne Blase geht es nicht? Da hat er recht, der gute Jan Feddersen. Zumindest wird das Urinieren wirklich schwer ganz ohne dieses Ding.







    Ob Filter-“bubbles“ nötig sind, entscheidet nicht die Biologie. Darüber entscheiden – in trautem Einvernehmen – die sogenannte Gesellschaft und der Einzelne. Sind beide überzeugt, es bräuchte die besagte Blase nicht, ist sie verzichtbar. Sonst nicht.







    Die Chancen stehen 3 : 1, dass sie gebraucht wird, unsre Filterblase. Entweder, weil „die Gesellschaft“ LGBTI*-Leute lieber nicht wahrnehmen möchte UND diese sich auch lieber unsichtbar machen in ihrer Blase. Oder weil entweder „die Gesellschaft“ ODER „die LGBTI*-Szene“ sich lieber ausschließlich mit sich selber befasst und den vermeintlich „Anderen“ nicht wahrnehmen möchte.







    So weit, so mathematisch. Rein logisch gilt das alles nicht. Rein logisch gibt es nämlich weder „die Gesellschaft“ noch gibt es „die LGBTI*-Szene“. Es gibt nur einzelne Personen, die miteinander können oder sogar müssen – oder auch nicht.







    Und schließlich gibt es da noch eine emotionale Ebene. Für einen Menschen, der/die/das sich fürchte (entweder davor, wahrgenommen zu werden, oder davor, etwas wahr zu nehmen), ist es natürlich schön, wenn er/sie/es sich in eine „bubble“ verziehen kann. Es ist auch gut gegen die Aggression. Nur: Wer seine Blase aus Furcht nicht verlässt, der wird die Furcht womöglich niemals los. In sofern kann die Blase auch Gefängnis sein – und sollte besser weg.

     

     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an unsere Netiquette und vermeiden sie Unterstellungen.

    Die Moderation







     

    • @mowgli:

      Das Bild mit der Blase als Schutz kommt auch nicht wirklich hin.

       

      Die Filter-Blase ist, um im Bild zu bleiben, von innen verspiegelt, aber nicht von außen. Sprich wer drin ist, kann nicht rausschauen, ist aber eigentlich um so ausgelieferter, kann von außen gesehen werden.

       

      Diese Vermischung (Verwechslung?) von Filter Bubble und Schutzraum, die der Artikel vornimmt, habe ich bereits in meinem längeren Kommentar angeschnitten, siehe unten... Ich finds jedenfalls sehr verwunderlich und es ist mir bisher auch nicht begegnet, dass jemand diese beiden Konzepte miteinander in Verbindung bringt oder gar gleichsetzt. (was natürlich an meiner eigenen Filter-Bubble liegen könnte ;) )

    • @mowgli:

      Man könnte den Titel allerdings auch anders verstehen (wobei der Rest des Artikels dann nicht mehr wirklich passt), und zwar als "Filter-Blasen sind nicht vermeidbar" (statt "Filter-Blasen sind notwendig/wünschenswert").

       

      So gedeutet könnte die Aussage stimmen. Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht...

  • Während ich denke, dass alles so stimmt, was in diesem Artikel steht, finde ich doch geht er ein wenig am Thema vorbei. Er scheint mir zu verkennen, worum es bei der Warnung vor Filterbubbles / Echokammern geht.

     

    Gewiss ist es wichtig, dass es Schutzräume gibt und (mehr davon) geben sollte.

     

    Aber es bleibt wichtig, immer auch über den Tellerrand schauen zu können, nicht irgendwann der Illusion zu erliegen, die eigenen Meinungen und Ansichten wären die Mehrheitsmeinung, nur weil man selbst nichts anderem mehr begegnet.

     

    Und natürlich gilt das (mindestens) genauso für rechte Stammtische und äquivalente Kommentarspalten, wo die eigenen xenophoben und neophoben Ansichten schnell zum "Volkswillen" deklariert werden. Auch diese Filterbubbles haben bei der Wahl von Trump einen großen Einfluss gehabt, vermutlich größer als denen der linken. Und aus meiner Sicht gehört das auch zu der ganzen Kritik an / Warnung vor diesen Filterbubbles dazu.

     

    Übrigens möchte ich noch am Rande kurz hinzufügen, dass Filterbubbles nicht erst durch die Technik (soziale Medien, etc.) entstanden sind, und auch kein rein soziales Phänomen sind, soweit ich es sehe, sondern aufsetzt auf schon im Einzelnen angelegte grundlegende psychologische Mechanismen: Wer gerade hungig ist, dem fallen Restaurants besonders auf. Steht bei einem selbst oder im engeren Umfeld eine Geburt an, sieht man überall Kinderwagen. Usw.

    Durch soziale Gruppenbildung und durch technische Algorithmen wird dies nur noch verstärkt.

  • Wo ist die Pointe?

  • Ist es denn so schwer einzusehen, dass irgendwelche Szenen mit irgendwelche sexuellen Präferenzen überhaupt keinen Einfluss auf die Ausgang der Wahl hatten?