piwik no script img

Dresdner sollen taktisch wählen

Angeblich gibt es Absprachen zwischen CDU und FDP, um der Union die Überhangmandate zu sichern. Zu einem Patt im Bundestag käme es nur, wenn fast alle der 219.000 nachwahlberechtigten Dresdner am 2. Oktober SPD wählten

DRESDEN taz ■ „Wer SPD will, muss CDU wählen“, titelte Anfang der Woche eine Dresdner Tageszeitung. Gemeint ist ein Paradoxon des deutschen Wahlrechtes, das so genannte negative Stimmgewicht: Bekäme die Union bei der Nachwahl in Dresden mehr als 40.000 Zweitstimmen, würde ihr Zweitstimmenanteil landesweit so weit steigen, dass eines ihrer 3 sächsischen Überhangmandate entfiele.

Dieser Effekt hat nach Agenturberichten zu einer Absprache zwischen den Bundesgeschäftsstellen von CDU und FDP geführt. Die CDU will sich demnach nur noch um das Direktmandat ihres Kandidaten Andreas Lämmel bemühen, während die FDP massiv auf Zweitstimmen setzt. Nur 23.800 der 219.000 Wahlberechtigten im Wahlkreis Dresden I müssten sich so verhalten, dann gewänne die FDP ein weiteres Bundestagsmandat zu Lasten von Rot-Grün hinzu.

Man unterstreiche damit den fortgesetzten Willen zu einem schwarz-gelben Regierungsprojekt, sagte der sächsische FDP-Landesgeschäftsführer Torsten Herbst. Er bestätigte eine bevorstehende massive Zweitstimmenkampagne, vorrangig über Plakatwerbung und Postwurfsendungen. Kommenden Donnerstag wird Bundesparteichef Guido Westerwelle in Dresden erwartet. „Ich glaube an intelligente Wähler“, meinte Herbst, von Journalisten nach seinen Erwartungen an ein taktisches Wahlverhalten befragt. Auf diese Weise kämen auch zwei Sachsen zusätzlich nach Berlin.

Michael Kretschmer, Generalsekretär der sächsischen Union, bestritt gegenüber der taz allerdings eine förmliche Wahlkampfabsprache. Man werde sich nicht zurücknehmen und „weiterhin um alle Stimmen kämpfen“. Die CDU hatte allerdings seit Bekanntwerden der Nachwahl-Notwendigkeit stets den Gewinn des Direktmandates favorisiert.

Kanzlerkandidatin Angela Merkel, die gestern zum Mittelstandskongress der CDU in Dresden weilte, werde in der kommende Woche nochmals kurzfristig im Wahlkampf auftreten.

Auch beim Landesverband der SPD in Sachsen standen bis gestern eventuelle Dresdner Termine von Spitzenvertretern der Partei noch nicht fest. Sprecherin Christiane Künzel bekräftigte nur allgemein die Absicht, sowohl um Erst- als auch Zweitstimmen zu kämpfen. Ebenso wie die Linkspartei-Konkurrentin Katja Kipping ist SPD-Kandidatin Marlies Volkmer aber bereits am 18. September über die Landesliste in den Bundestag eingezogen. Sprecherin Künzel bezeichnete Modellrechnungen als „sehr theoretisch“, nach denen die SPD doch noch ein Patt der Sitze im Bundestag erzielen könnte. Eine solche Möglichkeit war von Experten und Journalisten errechnet worden, falls nahezu alle der 219.000 Wahlberechtigten für die SPD votieren.

Die Linkspartei erwartet am Mittwoch einen Großauftritt von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine auf dem Dresdner Schlossplatz. Ob sich die Dresdner allerdings noch zu taktischem Wahlverhalten bewegen lassen, erscheint fraglich. Eine ungewöhnlich hohe Zahl hat sich längst entschieden. Mehr als 41.000 Wahlberechtigte, das ist fast jeder Fünfte, haben bereits Briefwahlunterlagen angefordert. MICHAEL BARTSCH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen