heute in Bremen: „Ich hatte keinen Bezug“
Lesung Autor Florian Schmitz berichtet, wie ein syrischer Freund ihn in Bremen integrierte
36, lebt in Thessaloniki und Berlin. Seit 2014 arbeitet er als freier Autor für den Hörfunk. Auf eudyssee.net bloggt er über Griechenland.
taz: Herr Schmitz, welchen Blick hatten Sie auf Deutschland, bevor Sie Ihren syrischen Freund Soumar kennengelernt haben?
Florian Schmidt: Mein Blick auf Deutschland war ein sehr persönlicher und kein besonders positiver. Das lag vor allem an der schwierigen Arbeitssituation. Als freier Autor in Berlin ist es nicht leicht, einen Job zu finden. Das hat dazu geführt, dass ich mich nicht gewollt gefühlt habe. Ich musste einfach raus.
Wieso hat sich das geändert?
Zum einen war es die Freundschaft zu Soumar. Durch die Gespräche mit ihm habe ich angefangen, mich selbst zu hinterfragen und zu merken, welche Privilegien ich als Deutscher habe. Der zweite Grund war, dass ich nach Griechenland gezogen bin. In Deutschland definiert man sich als Berliner, Bremer oder Münchener. Durch das Leben im Ausland fühlte ich mich mehr als Deutscher. Das ist ein Prozess, den man erst realisiert, wenn man selber irgendwo fremd war.
Was ist das erstaunlichste, was Sie von Ihrem syrischen Freund über Deutschland gelernt haben?
Das war der Fußball. Ich war ein absoluter Antifußballer. In meinem elitären Denken habe ich Fußballfans immer als „biertrinkende Prolls“ abgetan. Soumar hat mir dann aber gezeigt, was für ein Netzwerk hinter den Fußballfans steckt und wie gut die Bremer Fans ihn und andere Flüchtlinge aufgenommen und eine Gemeinschaft geboten haben. Obwohl viele meiner Freunde zum Fußball gegangen sind, habe ich nie gesehen, was eigentlich dahintersteckt.
Wie kam es dazu, dass ein Syrer Sie in Bremen integriert hat?
Wir haben uns in Griechenland kennengelernt, wo Soumar als Flüchtling ankam. Als er in Deutschland war, habe ich oft mit ihm via Skype gesprochen. Er hat mir von Sachen in Deutschland erzählt, die ich nicht kannte. Irgendwann habe ich ihn dann in Bremen besucht und wir haben Dinge unternommen, die ich ohne ihn niemals gemacht hätte. Wie zum Fußball zu gehen. Ich hatte vorher keinen Bezug zu Bremen. Soumar hat ihn mir gegeben. So funktioniert Integration in der Praxis.
Sie sagen, dass es für Integration keiner Leitkultur bedarf. Was braucht es dann?
Integration benötigt vor allem Räume für eine Begegnung. Es braucht keinen 10-Punkte-Plan, der einem zeigt, was deutsch ist. Es braucht Aktionen und Räume, um sich kennenzulernen, um naive Fragen an den anderen stellen zu können und sich dann immer wieder selbstkritisch zu hinterfragen, Integration ist ein beidseitiger Prozess.
Interview Maximilian Schmidt
Lesung aus dem Buch: „Erzähl mir von Deutschland, Soumar“, 20 Uhr, Zollkantine Bremen, mit anschließender Diskussion
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