piwik no script img

Bremer Mehrheit für Rot-Grün schrumpftDie Opposition wird größer

Susanne Wendland ist aus den Grünen und der Fraktion ausgetreten. Nun hat die Regierung in der Bürgerschaft nur noch einen Sitz Mehrheit.

Unter Gänseblümchen: So präsentiert sich Susanne Wendland auf Facebook Foto: Marco Walther

Bremen taz | Rot-grün hat im Landtag jetzt nur noch einen Sitz Mehrheit: Die grüne Sozialpolitikerin Susanne Wendland hat Partei und Fraktion am Montag verlassen. Sie will ihr Mandat behalten und als Parteilose weiter der Bürgerschaft angehören. Den Grünen macht sie heftige Vorwürfe. Deren Fraktionsvorsitzende Maike Schaefer sagte daraufhin: „Dieser Austritt ist für uns persönlich kein Verlust.“

Die 40-jährige, in Thüringen geborene Politikwissenschaftlerin spricht in ihrer Austrittserklärung von einem „tiefen Vertrauensverlust“ und wirft der Partei vor, „im Kampf um den Machterhalt“ die grünen Grundsätze „zu verraten“: Immer mehr Angst bestimme das politische Handeln. Die Entscheidung habe sie „viel Kraft und Zeit“ gekostet.

In der Vergangenheit ist Wendland vor allem durch ihren Widerstand gegen eine geschlossene Unterbringung für straffällige Flüchtlingsjugendliche aufgefallen. SPD und Grüne hatten diese – auf Drängen der Sozialdemokraten – im Koalitionsvertrag gemeinsam beschlossen. Mittlerweile ist das Projekt aber vom Tisch: Wendlands Position hat sich am Ende durchgesetzt. Ihre abweichende Meinung dazu sei innerhalb der Grünen-Fraktion „nicht respektiert“ worden, sagt Wendland nun: „Mein Mandat konnte ich bei Gewissensfragen nicht immer frei ausüben“.

Diesen Vorwurf könne sie „wirklich nicht nachvollziehen“, entgegnet Schaefer, die statt dessen von „viel Wertschätzung“ für Wendlands Widerstand gegen ein geschlossenes Heim spricht. Das Projekt war innerhalb der Grünen von Anfang an umstritten, Partei und Fraktion fühlten sich aber an den Koalitionsvertrag gebunden – auch dann noch, als ExpertInnen bei einer Anhörung die geschlossene Unterbringung mehrheitlich ablehnten.

Streitpunkte Überwachung und Offshore-Terminal

Schaefer war „überrascht“ von Wendlands Rückzug und ist „menschlich enttäuscht“, wie sie der taz sagte. Wendland habe sich bereits seit 13 Monaten ohne nähere Angaben nicht mehr für die Fraktion engagiert und sich auch an keinen Debatten beteiligt, etwa zum grünen Votum für mehr staatliche Überwachung im öffentlichen Raum, das Wendland nun kritisiert. An Plätzen wie der Domsheide oder dem Marktplatz ergebe eine dauerhafte Videoüberwachung „wegen der vielen Menschen Sinn“, sagte Fraktionvize Björn Fecker im März bei der Vorstellung eines neuen Positionspapiers der Grünen – auch wenn Kameras keine Straftaten verhindern könnten.

Auch das ihrer Meinung nach „unsinnige“ Offshore-Terminal Bremen (OTB), das rot-grün in Bremerhaven plant, führt Wendland als Grund für ihren Austritt an – ein „fadenscheiniger“ Grund, wie Schaefer findet: Gerade die Grünen-Fraktion dränge immer wieder darauf, den OTB angesichts der veränderten Rahmenbedingungen abermals „sorgfältig zu prüfen“. Zuletzt hatte das Oberverwaltungsgericht den Baustopp für den OTB bestätigt: Eine „Klatsche“ für rot-grün, sagt Wendland: „Richter haben entschieden und nicht die Politik“.

Die Grünen verlieren immer mehr ihre linken Wurzeln

Susanne Wendland (parteilos)

Die Grünen verlören immer mehr „ihre linken Wurzeln“ und ihren „progressiven Kampfgeist“, resümiert Wendland. Auch in Bremen bewegten sich die Grünen „in einem kuscheligen Raum des Machterhalts“ und hätten sich „dem Mainstream angepasst“. In die Linkspartei eintreten will sie derzeit aber nicht.

Bei den Grünen war sie aber schon länger nicht mehr wohl gelitten: Aus der Fraktion gab es wiederholt Kritik an Wendlands fehlendem Arbeitseifer. Auch sei sie „keine Teamplayerin“, hieß es immer wieder. Auf der Liste für die letzte Bürgerschaftswahl durfte sie deswegen auch nur auf Platz 31 kandidieren – ins Parlament zog sie ein, weil sie über 2.000 Personenstimmen bekam.

Fürs rot-grüne Regieren erwartet Schaefer keine negativen Konsequenzen: „Mehrheit ist Mehrheit“. Und es gebe bei SPD und Grünen auch „keine weiteren Wackelkandidaten“, bei denen ein Austritt aus Partei und Fraktion zu befürchten sei.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Couragierte Frau.

    Das Taumeln der Nordwest-Grünen ist - neben der Hinwendung zu CDU & Kubicki in SH - ein weiteres Zeichen für ein Umdenken linker Grünen-Wähler in der Wahlkabine.

    Die Grünen stehen kurz vor ihrem Mauerfall.

  • Mir scheint, die Frau Wendland war die einzige Teamplayerin dieser Grünenfraktion. Die FDPrisierung der Grünen macht diese Partei langsam für viele nicht mehr wählbar

  • Der Entschluss von Frau Wendland ist zu begrüßen. Auch die Grünen werden, wie die SPD lernen müssen, dass irgendwann das Maß für "weiter so" übervoll ist.

     

    Bleibt nur noch zu hoffen, dass der Erbhof der SPD genauso zerbröckelt, wie es in NRW der Fall war. Irgendwann müssen die BremerInnen doch einmal genug von den Seilschaften haben und einen Neubeginn wagen möchten, denn:

     

    "Etwas Besseres als ewige Verschuldung werden wir überall finden".