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Kommentar Türkei-BundeswehrabzugDas Hin und Her um Incirlik

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Die Bundeswehr droht, ihre Soldaten aus Incirlik abzuziehen. Welchen Sinn ergibt es jetzt noch, die Türkei als Pseudopartner in der Nato zu halten?

Die Bundeswehr macht einen Abflug aus Incirlik Foto: dpa

E twas anderes, als Konsequenzen zu ziehen, bleibt der Bundesregierung schon lange nicht mehr übrig. Am Montag hat sie das endlich auch selbst erkannt. Nach fast einem Jahr Streit über eine Selbstverständlichkeit wie das Besuchsrecht für deutsche Abgeordnete gibt es zum Abzug der Bundeswehr aus Incirlik keine Alternative mehr. Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Welchen Sinn es jetzt noch ergibt, die Türkei als Pseudopartner in der Nato zu halten.

Dabei geht es noch nicht mal um den Niedergang von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der Türkei nach dem Putschversuch im vergangenen Jahr. Im Nordatlantikvertrag beschwören die Nato-Mitglieder zwar „Demokratie, Freiheit der Person und Herrschaft des Rechts“. Bei der Wahl der Partner waren diese Punkte aber noch nie ein Ausschlusskriterium. Schon die Militärdiktatur der 1980er Jahre führte nicht zum Rauswurf; wichtiger war es der Allianz, den Verbündeten an der Schwelle zum Nahen Osten nicht zu verlieren.

Im Jahr 2017 kann die Nato aus der Partnerschaft aber nicht mal mehr geostrategisch einen Nutzen ziehen. Auch die Vorstellung, über gemeinsame Strukturen innenpolitisch Einfluss zu nehmen, ist eine Illusion geworden.

Die Hoffnung, Ankara zumindest sicherheitspolitisch einhegen zu können, hat sich zerschlagen – das zeigen die türkischen Alleingänge gegen Kurden im eigenen Land, in Syrien und im Irak. Und die Erwartung, durch die Partnerschaft mit der Türkei unkompliziert Zugang zu Militärstützpunkten an der Grenze zum Nahen Osten zu erlangen, geht nun auch nicht mehr auf – das zeigt das Hin und Her um Incirlik.

Bleibt nur noch ein Argument dafür, die Türkei in der Nato zu halten: Die Aussicht darauf, in einer Zeit nach Erdoğan wieder an die alte Zusammenarbeit anknüpfen zu können. Absehbar ist das aber ganz und gar nicht. Und das Prinzip Hoffnung ist für ein gemeinsames Verteidigungsbündnis zu wenig.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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6 Kommentare

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  • Exporte der deutschen Rüstungsindustrie in die Türkei war gestern, Deutschland baut bald seine Panzer direkt in der Türkei um den exportdefizit gegenüber frankreich zu glätten.

    Die Basis Incirlik wird doch seit 2001 von den USA mit Atomwaffen besetzt um der Terror in der EU aufrecht zu erhalten oder? Wo ist nun der Unterschied zwischen Ramstein in der BRD und Incerlik in der Türkei? Wer verweigert Wem den Zugang zu den Atomwaffenlager der USA auf sämtlichen basen auf diesen blauen Planeten?

    Ist Jordanien jetzt wirklich die alternative für die deutschen Tornados?

  • Die Türkei hat eine wichtige geostrategische Lage und ist daher für die NATO wichtig. So einfach ist das. Ob jetzt ein paar furchtbar wichtige Abgeordnete keinen Wahlkampf mit heroischen Bildern machen können, interessiert keinen Militärstrategen. Ein Austritt der Türkei aus der NATO wäre eine Katastrophe und würde die politische Situation in der Region auf Jahrzehnte destabilisieren.

    • @Frank Stippel:

      So einfach ist es - glaube ich nicht - wenn die Türkei die kurdische YPG angreift, obwohl dort US-amerikanische Soldaten und Söldner mitkämpfen, dann wird das schon zu einem echten Problem und das erfordert eine echte Lösung. Außerdem reduziert Erdogan den Nutzen, denn die geopolitische Lage des Landes bringt erheblich.

  • Ob die Türkei in der Nato bleibt oder nicht. Darüber hat Deutschland keinen Einfluss. Die Nato wird sich hüten, die Türkei auszuschließen, eine Annäherung an Russland wäre die Folge. Geographisch verfügt die Türkei über ein -aus militärischer Sicht- Sahnehäubchen. Das ist der Nato viel wichtiger als westliche Werte, die auf Papier geschrieben stehen. Incirlik ist aber kein Natostützpunkt. Selbst die USA muss anfragen, ob sie die Basis nutzen kann usw. Für Erdogan hat das auch innenpolitische Gründe: wenn er Deutschland brüskiert kann er sich bei seinen Anhängern als starker Mann profilieren.

  • Es gibt schon noch Argumente für die Türkei - die liegen alle in einem Bereich, der eigentlich nicht mehr für so ein enges Bündnis taugt, wie es die NATO eigentlich sein soll. Aber die Probleme spitzen sich schon in einer Weise zu, die viele Fragen aufwirft, die aber dank Merkel wohl kaum zum Ende geführt werden. Letztlich wird die Türkei wohl so wie Pakistan unter Musharraf - unberechenbar, irgendwie gefährlich und doch auf eine verdrehte Art nützlich. Fragt sich nur, ob Erdogan auf Dauer solche Spiele wirklich inszenieren kann? Seine Schwäche wird immer deutlicher und die Frage, was nach ihm oder ohn ihn passiert, ist vielleicht sein bestes Argument.

  • @Taz: vor wenigen Tagen wurde (leise) darüber berichtet das unser Wirtschaftsministerium (nicht vergessen: SPD geführt!) und Rheinmetal fleißig an neuen Waffenexporten zu unserem geliebten Bosporusdiktator arbeiten... zeigt die Bundesregierung hier auch mal Haltung und stoppt das Vorhaben? Nein? Dann bitte mal groß darüber berichten!