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Ukrainischer SchriftstellerPolitisch wider Willen

Wo Juri Andruchowytsch auch ist, der Krieg in seinem Land holt ihn immer wieder ein. Er ist ein scharfer Kritiker der Politik des Kreml.

Untergründig, charmant, polyglott: Juri Andruchowytsch Foto: imago/CTK Photo

„Wenn wir das nächste Mal eine dem Westen zugewandte Regierung haben, dann sollten wir vielleicht noch mal über den Status des Donbass und der Krim nachdenken“, sagte Juri Andruchowytsch über den Ostteil der Ukraine und die 2014 von Russland annektierte Halbinsel. „Die Menschen dort orientieren sich eben eher an Moskau.“

Diese beiden Sätze stammen aus einem Interview, das der Autor und Übersetzer Andruchowytsch 2010 in der Ukraine gegeben hat – also vor Beginn des Euromaidan Ende 2013, der Krimkrise und dem Krieg im Osten des Landes. Das Interview holt ihn bis heute ein, denn es liest sich, als sei Andrucho­wytsch ein Vaterlandsverräter.

Der Dichter sitzt an einem Tisch am Fenster im Café Vetter in der Marburger Oberstadt und sieht ins Tal auf die Lahn. Er ist wegen einer Lesung für drei Tage in der hessischen Kleinstadt. „Ich bin missverstanden worden“, sagt er. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich erklären muss. Ein Teil der Ukrainer wolle keine stärkere Westbindung ­Kiews. Aber Probleme, die daraus folgten, müssten innerukrainisch gelöst werden, er sei keineswegs ein Befürworter einer russischen Einmischung, sagt er.

Ganz im Gegenteil, er ist ein scharfer Kritiker der Politik des Kreml. 2005 war er zuletzt in Russland, er fühlt sich nicht mehr wohl dort, die autoritäre Politik Wladimir Putins schreckt ihn ab. 2014, mit der Annexion der Krim, kam der Bruch mit ehemaligen Weggefährten. „Dass einige russische Intellektuelle Dankesbriefe an Putin wegen der ‚Rückführung russischer Erde‘ schreiben, nehme ich ihnen übel“, sagt Andruchowytsch.

Dabei ist ihm Russland wichtig, vor allem kulturell. 1989 kam er dank eines Stipen­diums als Nationaldichter aus der Ukrainischen SSR nach Moskau. Zwei Jahre später schloss er seine Studien dort ab, vierzig Tage vor dem proklamierten Ende der Sowjetunion. Die 90er Jahre in Russland unter Boris Jelzin waren eine chaotische Zeit, geprägt von den Verwerfungen der Markttransformation. Kulturell war sie für das ukrainisch-russische Verhältnis jedoch eine Blüte.

Darauf angesprochen, lächelt er still

Andruchowytsch las mit Vertretern des Moskauer Konzeptualismus, einer Verbindung von Konzeptkunst und Soz Art. Dazu gehörten in der Untergrundzeit der 70er und 80er Jahre gestählte Größen wie der Essayist Lew Rubinstein. 1999 stellten russische Freunde von Andruchowytsch in Moskau das Festival „Der südliche Akzent“ auf die Beine. Gewidmet war es der Ukraine und der Literatur des Landes.

Der Titel schmeichelt Andruchowytsch bis heute. Darauf angesprochen, lächelt er still. Eine schöne Vorstellung: die Ukrainer als südländische Ostslawen mit Lebensart, Witz und Verve. Sie haben sich gut verstanden damals, 1999: Das seien die letzten Minuten der russischen Demokratie gewesen, sagt der Dichter heute.

Verve hat Juri Andruchowytsch. Er ist untergründig, charmant, polyglott und schreibt Geschichten, von denen man nicht weiß, ob sie aus einem wilden ­Leben oder einer Bul­ga­kow’schen Traumreise gegriffen sind: ein osteuropäischer Intellektueller, wie er im Westen zumeist fehlt, bis er importiert und an Ecken und Kanten abgeschliffen wird.

Im Gespräch wechselt Andruchowytsch ständig zwischen Deutsch und Polnisch, während er hastig in seiner Tasse rührt. „Entschuldigen Sie, aber ich habe diese Espresso-Sucht“, sagt er nur. Ukrainisch ist seine Erstsprache. Anders als behauptet wird, hat er keines seiner Werke auf Russisch verfasst. Er schreibt seit jeher auf Ukrainisch. Russisch und Englisch spricht er auch, und wer weiß, wie viele Sprachen noch.

Perfezki ist ein Halunke

Er verhehlt nicht, dass er einmal gern so gewesen wäre wie seine Romanfigur Perfezki. In „Perversion“ irrlichtert Stanislaus Perfezki durch etliche europäische Städte der frühen 90er. Er ist überall zugleich, spricht in tausend Zungen, schlägt sich durch verqualmte Bars. Es gibt kein Instrument, das er nicht spielen, und keine Hure, die er nicht lieben kann – ob im Berliner Westen oder in Venedig.

Perfezki ist ein Halunke und ein Poet, ein echter Tausendsassa, der auf dieselbe mysteriöse Art verschwindet, wie er gekommen ist. „Ich wünschte, ich würde so viele Instrumente beherrschen“, sagt Andrucho­wytsch. Er ist seit 35 Jahren verheiratet, die Kinder sind aus dem Haus, der Sohn lebt in Warschau, die Tochter, Sofia Andruchowytsch, ist ihrerseits Autorin, eine der bekanntesten und erfolgreichsten in der Ukraine.

Keines seiner Werke hat er auf Russisch verfasst. Er schreibt seit jeher auf Ukrainisch.

Juri Andruchowytsch lebt nicht in Kiew, wo sich das intellektuelle Leben des Landes konzentriert, sondern in Iwano-Frankiwsk in der Westukraine, die schon oft ihre staatliche Zugehörigkeit wechselte: Polen, Österreicher und die Sowjetunion, sie alle haben sie genommen und wieder hergeben müssen. Als Andruchowytsch dort 1960 geboren wurde, hieß seine Stadt Stanislaw, davor Stanisławów. Seit drei Generation lebt seine Familie dort, er ist verwachsen mit der Region Galizien, die so bekannt ist für ihre literarische Tradition.

Ein galizischer Dichter sei er indes nicht, stellt er klar. Damit würde er sich selbst „provinzialisieren“. Aber natürlich setzt sich Andruchowytsch, ganz der literarische Landvermesser, mit Galizien auseinander. Er hat eine Gesamtausgabe des aus Drohobycz stammenden deutschsprachigen Schriftstellers Bruno Schulz ins Ukrainische übersetzt. Auch Joseph Roth und dessen „Radetzkymarsch“ ist er zugeneigt.

Kein Platz mehr frei

Seine großen literarischen Vorbilder sind jedoch andere, etwa der Seelendeuter Nikolai Gogol, auf Ukrainisch „Hohol“. Der Slawist George Shevelov machte in einem Essay drei Einflüsse Andruchoytschs aus: E. T. A. Hoffmann, Heinrich Heine und eben Nikolai Gogol.

„Ho-Hei-Ho“ nannte der Slawist diese Trias – eine Anspielung auf die von Andruchowytsch 1985 gegründete Performance-Gruppe „Bu-Ba-Bu“. Dass er mit den großen Toten der Weltliteratur verglichen wird, muss ihn freuen. Er lässt es sich nicht ­anmerken. Oder ist er es gewohnt?

In Marburg wird Andrucho­wytsch als „wichtigster Vertreter der ukrainischen Literatur“ vorgestellt. Er steigt auf die Bühne im Café Vetter, schwarzes Jacket, weinrotes T-Shirt, und tippt gegen das Mikro. Spätestens jetzt schauen auch die letzten Wochenendgäste von ihren Frühstückstellern auf.

Vor der Bühne ist kein Platz mehr frei, viele Ukrainer sind aus Frankfurt oder Köln angereist, um Andrucho­wytsch dabei zuzuhören, wie er aus „Kleines Lexikon intimer Städte“ liest, seinem neuesten auf Deutsch erschienenen Buch. Wieder Städte, persönliche Eindrücke und Erlebnisse. Er kann wunderbar von Lwiw oder Berlin erzählen, von Straßen, Menschen und Gewohnheiten, er zitiert andere Autoren und deren Werke.

Zuletzt erschienen

Juri Andrucho­wytsch: „Kleines Lexikon intimer Städte“ (Insel Verlag).

Über den Krieg in der Ukraine sagt Andruchowytsch auf der Bühne aber nichts. Auch persönlich spricht er nur nach anfänglichem Widerwillen darüber. Ähnlich wie von russischen Freunden ist er enttäuscht von einigen deutschen Journalisten, die ihn in Gesprächen zuvörderst nach Faschisten in den Reihen der Maidan-Aktivisten fragten. Dass nicht alle Aufständischen lautere Absichten hatten, weiß Andruchowytsch. Aber mit Blick auf die Tatsache, dass sein Land im Krieg ist, ist ihm das eine Fußnote. Mehr Solidarität hätte er sich aus Deutschland gewünscht, sagt er.

Die große Politik, die Krim, das Schicksal der Ukraine: Diese Themen holen Andruchowytsch dieser Tage ein. Nach seiner Lesung in Marburg tritt ein Mann aus dem Publikum mit seiner Frau an ihn heran. Wladimir Schemtschugow hat keine Hände mehr, nur zwei Prothesen. Er kämpfte im Osten der Ukraine, wurde gefangen genommen, saß in einem Gefängnis der Separatisten.

Andruchowytsch erzählt er seine Geschichte. Der Schriftsteller ist bewegt, dass sich der Mann für ihn den Weg nach Marburg gemacht hat. „Wie könnte ich da unpolitisch sein?“, fragt er. Regelmäßig äußert sich Andruchowytsch zum Krieg in der Ukraine. Wer ihn erlebt, merkt jedoch, lieber wäre es ihm, er müsste es nicht tun.

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1 Kommentar

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  • Ich hoffe jetzt mal da war kein unterbewusster Kulturimperialismus im Spiel, aber Bruno Schulz war kein deutschsprachiger, sondern ein polnisch-jüdischer Schriftsteller. Der SS-Mann der ihn erschossen hat, war aber bestimmt deutschsprachig.