: Die Überzeugten überzeugt
FRANKREICH Wer kann noch Wähler umstimmen? Die KandidatInnen lieferten sich einen letzten Schlagabtausch ohne neue Argumente. Warum Macron am Ende besser ankam
aus Paris RUDOLF BALMER
Drei Tage vor der Stichwahl am Sonntag dürften sich die meisten Franzosen entschieden haben. Die Fernsehdebatte am Mittwochabend war vielleicht die letzte Chance der beiden Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron und Marine Le Pen, die noch unschlüssigen Stimmberechtigten für sich zu gewinnen. Eine Wende brachte diese Auseinandersetzung aber sicher nicht. Die 16,5 Millionen Zuschauer, die sich von dieser letzten Wahldebatte noch Argumente für ihre Entscheidung erhofft hatten, konnten sich aufgrund des heftigen Verlaufs eher ein Bild des persönlichen Stils und Charakters der beiden Anwärter auf die Nachfolge von Hollande machen. In einer Umfrage im Anschluss an die TV-Debatte fanden 63 Prozent der Befragten Macron überzeugender, 34 Prozent Le Pen.
Das war auch die Einschätzung der allermeisten Medienkommentare am Tag danach. Ebenso einhellig wird unterstrichen, wie ungewöhnlich „brutal“ diese Auseinandersetzung verlaufen sei. Die Schuld daran wird hauptsächlich der Rechtspopulistin Marine Le Pen angelastet, die eine Konfrontation ohne Bandagen gesucht habe, um so eigene Schwächen in ihrem Programm und ihrer Argumentation zu vertuschen. Diese wurden vor allem bei Wirtschaftsfragen und im Speziellen ihrer Forderung nach einem Austritt aus dem Euro deutlich. Thierry Solère von der konservativen Partei Les Républicains meinte ironisch: „Tolle Leistung von Marine Le Pen. Mit ihrer Würdelosigkeit hat sie noch den letzten Unschlüssigen Lust gemacht, für Macron zu stimmen.“ Wegen dieser Strategie der Provokation wird Le Pen von der Zeitung Le Monde der „Diskussionsverweigerung“ bezichtigt. Beim Fact-checking listet Le Monde nicht weniger als „19 Lügen“ Le Pens auf. Wie Donald Trump in den USA haben sie mit ihrer Aggressivität die sachliche Auseinandersetzung vermieden.
Le Pen eröffnete die Debatte mit einem Frontalangriff. Ihre ersten Sätze schallten wie eine Ohrfeige: „Monsieur Macron, Sie sind der Kandidat der ungezügelten Globalisierung, der Uberisierung, der Verarmung der Kommunen, des Kriegs jeder gegen jeden.“ Als Bankier, der er einmal war und geblieben sei, verkörpere er die Finanzwelt, den Ultraliberalismus. Er werde im Hintergrund „von Hollande gesteuert“, behauptete die Rechtspopulistin, die ihrem Gegner die Bilanz des derzeitigen Präsidenten während des zweieinhalbstündigen Schlagabtauschs als Beweis für seine Unfähigkeit anlasten wollte.
Macron reagierte zunächst gelassen und fast amüsiert auf diese wütende Tirade. Das sei nicht gerade ein Zeichen von „Finesse“, meinte er. Dann ließ er sich aber bald auf diesen von Le Pen gewählten Kampfplatz der Polemik ziehen, weil er ihre oft sehr ungenauen oder offensichtlich falschen Behauptungen berichtigen wollte. Damit gelang es ihm zwar, die Rolle des sachkundiger wirkenden Kandidaten zu übernehmen. „Madame Le Pen, ich bitte Sie …“, begann er seine Entgegnungen. Sie war nicht gekommen, um über ihr Programm und die Zukunft Frankreichs zu diskutieren, sondern eine Konfrontation zu provozieren oder wenigstens ihren Gegner aus der Fassung zu bringen. Das gelang ihr nur sehr teilweise und nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Schließlich aber bezeichnete Macron seine Gegnerin entrüstet als „Hohepriesterin der Lüge“ und sagte, sie sei die Erbin der extremen Rechten, die seit Jahrzehnten „Hass verbreitet“ und „von der Wut der Zukurzgekommenen lebt“. In seinem Bemühen, Le Pens Behauptungen zu widerlegen, wirkte er belehrend oder gar arrogant, als er ihr mehrfach vorhielt, sie erzähle „lauter Dummheiten“.
Eine echte politische Diskussion war schlicht nicht möglich mit dieser aufbrausenden Kandidatin. Das machte es den Zuschauern mithin unmöglich, die Programme der beiden Finalisten der Präsidentenwahl zu vergleichen. Ein Journalist und eine Journalistin, deren Aufgabe es gewesen wäre, dieses „Gespräch“ zu leiten, waren völlig überfordert. Sie wagten kaum einzugreifen, wenigstens Fragen zu stellen, geschweige denn, im chaotisch endenden Hickhack zur Ordnung zu rufen oder notfalls das Mikrofon abzustellen. Manchmal hing die Fortsetzung an einem Faden. Als Macron die laufenden Ermittlungen der Justiz gegen den Front National wegen Scheinbeschäftigung von Mitarbeitern der Parteizentrale erwähnte, die für ihre Scheinbeschäftigung als Assistenten vom EU-Parlament bezahlt wurden, wollte Le Pen den Verdacht erwecken, Macron habe ein Offshore-Konto auf den Bahamas. Er hat inzwischen deswegen Klage wegen Verleumdung eingereicht.
Ex-US-Präsident Barack Obama hat kurz vor der Wahl in Frankreich Emmanuel Macron unterstützt. „Er hat sich für liberale Werte eingesetzt“, sagte Obama in einer Videobotschaft, die Macrons Team veröffentlichte. „Er spricht die Hoffnungen der Menschen an, nicht ihre Ängste“, erklärte Obama, der sich nicht in viele Wahlen einbringen wolle, wie er sagte. „Aber die französische Wahl ist sehr wichtig für die Zukunft Frankreichs und die Werte, die uns so wichtig sind.“ Obama beendete seine Botschaft mit den Ausrufen „En Marche!“ („Auf dem Weg!“, der Name von Macrons Bewegung) und „Vive la France!“ (dpa)
Sie hatte als Strategie gewählt, ihren Gegner so brutal wie nur möglich zu verunglimpfen, um ihn so zu destabilisieren oder einzuschüchtern. Das gelang ihr nicht. Macron wiederum verbrachte den Abend damit, seine Gegnerin zu korrigieren und ihr zu sagen, sie erzähle „Dummheiten“. Vor allem in der Diskussion über den Euro geriet die FN-Chefin in größte Schwierigkeiten. Sie war schlicht außerstande zu erklären, ob und wie sie aus der Währungsgemeinschaft austreten wolle und in welcher Form zuerst zum Euro eine parallel nationale Währung weiterführen würde. In der Frage der Sicherheit und der Bekämpfung des Terrorismus versuchte sie im Gegenzug, Macron in Verlegenheit zu bringen, indem sie ihm eine Wahlunterstützung durch Islamisten anlastete. Vor allem wollte sie ihn aber als „Hollande-Baby“ lächerlich machen.
Als 2002 der konservative Präsident Jacques Chirac in der Stichwahl Jean-Marie Le Pen gegenüberstand, hatte er eine Debatte abgelehnt. Jetzt rechtfertigte Macron seine Teilnahme an der Debatte mit der heutigen FN-Chefin so: „Man muss mit dem Front National diskutieren, selbst wenn man dabei ein wenig beschmutzt wird.“ Er konnte in dieser Kontroverse seinen Status als Favorit bestätigen. Le Pen hatte nichts zu verlieren – ist aber im Fernsehexamen ziemlich deutlich durchgefallen.
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