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Kommentar Stichwahl in FrankreichDen Albtraum verhindern

Kommentar von Laurent Joffrin

Auch wenn es gute Gründe gibt, an Macrons politischem Programm zu zweifeln: In der Stichwahl gibt es zu ihm keine Alternative.

Der Gegenspieler von Le Pen in der französischen Präsidentschaftswahl: Emmanuel Macron Foto: dpa

E s ist die Aufgabe des Journalismus, Alarm zu schlagen. Daher meine beunruhigte Äußerung. Vorneweg und ganz ehrlich gesagt: Emmanuel Macron hat einen unglaublich symbolischen Fauxpas begangen, als er sich nach dem Sieg im ersten Wahlgang schon als zukünftiger Präsident präsentierte. Das hat Zweifel aufkommen lassen. Nicht an der Notwendigkeit, für Macron zu stimmen. Jenen Wählern, die in ihm nicht die Erfüllung all ihrer Wünsche sehen, sei erneut gesagt: Es geht darum, einen Albtraum zu verhindern.

Da ist kein Raum für Zweifel. Das sehen sowohl die Gewerkschaft CGT, die so wenig auf einer Linie mit ihm ist wie irgend möglich, als auch der Linkspolitiker Jean-Pierre Chevènement, der weder für eine proeuropäische Politik noch für den Sozialliberalismus etwas übrig hat.

Tatsächlich stellt sich aber diese eine Frage: Wird Macron, der teuflisch begabt, aber ein Neuling, der selbstsicher, aber auch in gewisser Weise narzisstisch ist – wird dieser Mann die Stimme nicht nur der gesetzten Lifestyle-Linken, der sogenannten Bobos, und der digitalen Boheme, sondern der ganzen Republik sein?

Man wird standhalten müssen, den Schock aushalten, angesichts der fremdenfeindlichen Kandidatin mit ihrem mechanischen Lachen, mit ihrer eisenharten Rhetorik, angesichts dieser selbsternannten Volksrepräsentantin, die sich gegen die Eliten zu stellen behauptet. Wir werden uns nicht lächerlich machen und Empfehlungen aussprechen. Aber die Erwartungen eines Bürgers sind hier zu formulieren.

Laurent Joffrin

64, ist Chefredakteur der Tageszeitung Libération, sein aktuelles Sachbuch „Le réveil français“ (Ed Stock, 2015) ist ein Plädoyer für mehr Optimismus in Frankreich.

Die Wahlarithmetik ist unerbittlich. Daher ist Folgendes zu erwarten: Mit seinen 24 Prozent im ersten Wahlgang hätte ein zukünftiger Präsident Macron eine nichtmacronsche Mehrheit hinter sich. Wie will er die überzeugen, wenn er nicht das Verbindende in den Vordergrund stellt; und nicht jenes, was trennt?

Kooperation mit „Libération“

Die taz und die französische Tageszeitung Libération machen journalistisch gemeinsame Sache. Wir arbeiten erst zur Wahl in Frankreich und dann zur ­Bundestagswahl zusammen. Dieser Beitrag ist Teil der Kooperation.

Volkes Stimme zuhören, moralisch sein, das soziale Gleichgewicht respektieren, den Sozialstaat hochhalten, unablässig an einem neuen Europa arbeiten; jenseits dieser Minimalzusicherungen verspricht Macron furchtbare Enttäuschungen.

Sein Sieg bleibt das wahrscheinlichste Szenario. Aber noch einmal: Es macht einen großen Unterschied, ob Marine Le Pen bei 35 Prozent oder bei 45 Prozent landet. Es ist der Unterschied zwischen einem geschlagenen und einem siegreichen Front National. Zwischen einer beruhigten und einer bedrohten Republik.

Übersetzung aus dem Französischen: Frédéric Valin

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19 Kommentare

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  • Die neoliberalen "eliten" (macron) haben diesen ganzen alptraum der letzten 20 jahre ja erst kreiiert. - Wer ist der wahre feind? Diese asozialen antidemokratischen finanzgläubigen. Oder deren produkt. Es ist exakt wie in den 30ern, als die soz-demokraten sogar für hindenburg stimmten.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @martin becker:

      Genau. Und die Kommunisten bekämpften gemeinsam mit den Nazis die Weimarer Republik. Wer hat uns verraten ?

      • 2G
        2097 (Profil gelöscht)
        @60440 (Profil gelöscht):

        Die wirtschaftsliberalen, konservativen und klerikalen Parteien haben dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt, immerhin nicht die Sozialdemokraten und die Kommunisten waren da schon im KZ! Wer hat also die Demokratie abgeschafft? Es waren die Vorgängerparteien von CDU/CSU/FDP und NPD!

      • @60440 (Profil gelöscht):

        Sozialdemokraten. Die SPD stimmte für die Kriegsanleihen die Deutschland den 1. Weltkrieg ermöglichte. Die Arbeiterbewegung spaltete sich.

         

        Ohne ersten Weltkrieg hätten wir vielleicht heute noch einen Kaiser - was solls.

         

        Diese asozialen Finanz- und Wachstumsgläubigen veursachen heute Probleme über die man ohne Denkverbote diskutieren muss. Da Sie schon die Probleme nicht sehen - es geht uns besser als jemals zuvor - können Sie das naturgemäß nicht nachvollziehen.

  • Qui - Qui - d'ac-o-dac - ;)) &

     

    Bonne chance & Masel tov.

    Punkt.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Solange er andersdenkende Wähler beleidigt und erniedrigt, indem er an deren Intelligenz zweifelt und den von Produktionsauslagerungen bedrohten Arbeitern nichts zu bieten hat als eventuell ein Job als Pizzaliferant, schafft er es vielleicht sogar die Stichwahl nicht zu gewinnen. Bisher überzeugt er nur die Leute, die ihn gewählt haben und das reicht nicht. Der rechte Rand bröselt auch schon in Richtung MLP ab siehe die Unterstützung von Dupont-Aignan für MLP. Laurent Joffrin von Panik erfasst, gibt sich jetzt einen kritischen Anstrich gegenüber Macron,damit die Wähler von Mélenchon, den richtigen Wahlzettel in die Urne stecken, hat aber vorher zu den bedingungslosen Unterstützern von Macron und den härtesten Widersachern von Mélenchon gehört: Kein Wunder Libération gehört dem Hause Rothschild. Desweiteren Macron hat seine hundert Tage als Hollandes Wirstchaftsminister schon hinter sich, da weiss jeder, was kommt.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @82236 (Profil gelöscht):

      Mal wieder nen bisschen jüdische Weltverschwörung ?

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Nu soll der Mann mal gewählt werden, mit möglichst großem Abstand zu den Faschisten. Dann können wir alle aufatmen. Dem Mann sollten mal 100 Tage gegeben werden, dann kann geschaut werden, wie er sich schlägt.

    Schlimmer als unter Hollande wirds kaum werden (ja, Macron war zeitweilig dabei, ich weiss).

  • Ich verstehe die Unzufriedenheit nicht.

     

    Schauen Sie sich die anderen zur Wahl stehenden Kandidaten an. Macron war der (natürlich nur relativ gesehen) beste Kandidat von Anfang an.

     

    Vielmehr ist zu fragen welche Politiker überhaupt nach oben gespült werden und zur Wahl stehen. Und selbst wenn ein optimaler Kandidat vorhanden wäre: Was könnte der innerhalb der Parteienlandschaft mit hunderten anderen Profiteuren und Günstlingen und letztlich auch in der Verwaltung umsetzen?

     

    Nein, die Hoffnung auf Hoffnungsträger greift ohnehin zu kurz. Was wir benötigen sind Faktenschaffungen von der Basis aus.

     

    Themen wie Gleichgeschlechtliche Partnerschaften, EEG, Vollzeitkindergärten.... das sind doch Themen die alle von unten kamen. Die Politik ist doch immer nur hinterhergeeiert und hat das dann aufgepumpt.

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    Vorsicht!

     

    Hinter Macron steckt eine sog. Verschwörung von George Soros und den "einflussreichen Kreisen". Meint jedenfalls der allseits geschätzte Albrecht Müller: http://www.nachdenkseiten.de/?p=38012

    • @74450 (Profil gelöscht):

      Albrecht Müller hielt sich sonst mit derlei Vermutungen sorgsam zurück. aber kann man zB den Raketen-Aufstieg von Macron noch anders erklären? - aber vielleicht täuscht sich Hr. Müller und die oberen 1% kämpfen mit allen ihnen zu Verfügung stehenden Mitteln und Mittelchen nur für dich, mich, für Demokratie, Frauenrechte, halt für das Gute in der Welt, oder sie halten sich dezent zurück und lassen die "kleinen" ihre Demokratie leben – Spaß muss sein

    • @74450 (Profil gelöscht):

      Albrecht Müller spricht eben unbequeme Wahrheiten an.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @74450 (Profil gelöscht):

      Boah ey, nicht schlecht, diese einflussreichen Kreise.

      Hollande von Wiederantreten abgehalten, Fillon abgesägt und bei der Stange gehalten, die Linke sich zersplittern lassen und den Wunderkandidaten aus der Taufe / Mitte gehoben.

      So viel Umsicht und Plan muss belohnt werden !

      • 3G
        3053 (Profil gelöscht)
        @60440 (Profil gelöscht):

        Word

  • Macron ist alles andere als ein Neuling. Sollte er gewinnen und auch nur ansatzweise das durchzudrücken versuchen, was er vor der Wahl verkündet hat, werden ihn die Franzosen aus dem Amt streiken.

    • @Iannis:

      Ob Macrons Wirtschaftspolitik erfolgreich sein wird? Man kann die Wirtschaftspolitik verschiedener Laender vergleichen, ganz einfach. Da gibt es erfolgreichere und weniger erfolgreiche.

  • Auch das Weiterwurschteln der "Elite" (zu der Macron gehört!) des - reformunfähigen und - unwilligen - Frankreich könnte zu einer Explosion der frz. Ökonomie und damit zu einem Albtraum nicht vorstellbaren Ausmaßes führen.

  • Nein es macht keinen Unterschied, wie hoch LePen verliert. Aber seit Trump wissen wir, dass ein Sieg von LePen zwar nicht wahrscheinlich aber dennoch möglich ist.

    Macron ist ein gefährlicher Populist. Aber er ist klar das kleinere Übel im Vergleich mit LePen. Niemand muss den Französ_innen sagen, wen sie wählen sollen. Aber Wahlkampf ist, für die bessere Entscheidung zu werben.

    Wer also aufruft Macron nur deshalb zu wählen, dass er mit 70% statt 50+x% gewinnt, schreckt eher davon ab, ihn zu wählen. Macron hat 70% nicht verdient - aber Frankreich hat verdient, vor LePen geschützt zu werden.