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Kommentar Syrien-GeberkonferenzKein Wiederaufbau mit Assad

Wer Syrien finanziert, stützt das Regime. Die Botschaft aus Brüssel muss lauten: Der Wiederaufbau beginnt erst, wenn keine Bomben mehr fallen.

Aleppo in Trümmern, nach einem Luftangriff durch die syrische Armee 2016 Foto: dpa

Syrien wiederaufzubauen klingt nach einer super Idee – „Syriens Zukunft und die der Region unterstützen“ heißt die Geberkonferenz am Dienstag und Mittwoch in Brüssel. Dann könnten wir das Land schon bald zum sicheren Herkunftsstaat erklären und die 500.000 nach Deutschland geflüchteten Syrer guten Gewissens nach Hause schicken. Nebenbei gäbe es ein paar lukrative Aufträge für deutsche Firmen und Entwicklungshilfeorganisationen hätten ihren Fuß in der Tür.

Präsident Assad hat das längst begriffen und in einem Interview kürzlich konkretisiert: „Liebe Europäer, die Syrer brauchen euer Geld nicht in Europa, sondern in Syrien! Wenn ihr mein Land wieder aufbaut, nehme ich die Geflüchteten zurück.“ Mehr win-win geht nicht.

Wer die humanitäre Arbeit in Syrien kennt, weiß, was das praktisch bedeutet. Geholfen wird denen, die zu Assad stehen oder mindestens so tun oder den Mund halten. Wer gegen seine Herrschaft aufbegehrt, wird so lange ausgehungert und bombardiert bis er aufgibt und der eigenen Vertreibung zustimmt. Im Wochenrhythmus fahren die Busse nach Idlib in die letzte große Rebellen-Enklave – darin entkräftete, gebrochene Menschen aus Stadtteilen und Orten, die jahrelang oppositionell verwaltet waren und dafür kollektiv bestraft wurden.

Aus Angst vor Verhaftung und Folter verlassen sie ihre Wohnungen, die dann von Assads Milizionären und Irans Söldnern verteilt werden. Politische Säuberung ist das, gepaart mit konfessioneller Neuordnung. Wollen wir Assads Schergen wirklich Wasser und Strom besorgen? Nein. Aber dürfen wir Ost-Aleppo in Ruinen liegen lassen?

Syrien aufbauen, ohne das Regime zu stützen?

Das Dilemma ist klar: Wie können wir Syrien wieder aufbauen ohne das Regime zu rehabilitieren? Die bittere Antwort lautet: Gar nicht. In einem Land, in dem der Präsident sämtliche staatlichen Institutionen in den Dienst des eigenen Machterhalts gestellt hat, führt am Regime kein Weg vorbei. Es gibt keine Technokraten der zweiten oder dritten Ebene, mit denen man direkt zusammenarbeiten könnte und keine Banken, Fonds oder Organisationen, über die Gelder unabhängig verwaltet und nach Bedarf ausgegeben werden könnten.

Jeder Euro, den wir in bester Absicht einem Ministerium, einer Handelskammer oder einer Wasserbehörde geben, stabilisiert Assad und seine „Massenvernichtung von Zivilbevölkerung“ (UN-Untersuchungskommission). Führende Vertreter dieses Systems sind deshalb in Spanien wegen Staatsterrorismus angeklagt.

Jeder Euro, den wir in bester Absicht einem Ministerium oder einer Wasserbehörde geben, stabilisiert Assad

So lange sich das nicht ändert, darf Europa kein Geld nach Damaskus überweisen. Keine Sorge, den unter Assad lebenden Syrern geht es deshalb immer noch besser als allen anderen. Sie werden zuverlässig von den UN versorgt, deren Hilfe das Regime geschickt instrumentalisiert. Aber beim Wiederaufbau ist Schluss. Denn wer in Daraya bei Damaskus oder al-Waer in Homs Häuser repariert, während deren rechtmäßige Besitzer in Idlib mit Giftgas angegriffen werden, macht sich schuldig.

Die Botschaft aus Brüssel muss lauten: Der Wiederaufbau Syriens beginnt erst, wenn keine Bomben mehr fallen und ein politischer Übergang auf dem Weg ist. Bis dahin gibt es anderes zu tun: Syriens Geflüchtete brauchen rechtliche Sicherheit, Bildung, Jobs und psychologische Betreuung. Und Syriens zivilgesellschaftliche Gruppen – aufgerieben zwischen staatlichem und dschihadistischem Terror – sollten wir stärken, schützen und miteinbeziehen. „Wir existieren!“, rufen sie den Konferenzteilnehmern mit einer gleichnamigen Initiative zu, ihre Forderungen zu erhören, lohnt sich.

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6 Kommentare

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  • Die Europäer sind genauso wie die USA, die Türkei und die Golf-Monarchien moralisch verpflichtet, das Land wieder aufzubauen, das sie jahrelang mit Waffen und Söldnern vollgepumpt und in die Katastrophe getrieben haben.

     

    Stattdessen wird hier vorgeschlagen, die syrische Zivilbevölkerung als Geisel zu nehmen, um den mißglückten "Regime-Change" doch noch irgendwie durchzusetzen.

    • @jhwh:

      Diese einfältige Propaganda zieht nicht. WER das Land mit Waffen vollpumpte, WER sich jeder UN-Resolution entgegenstellte aus imperialistischen Motiven, war Russland, das nebenbei noch gerne Zivilisten und Krankenhäuser massakrierte unter dem Vorwand, den IS zu bekämpfen.

      • @Berrybell:

        Erinnerungslücken ?

         

        Als Russland 2015 in den Syrienkrieg eingriff, lief der Film schon seit über vier Jahren. Die USA hatten z.B. schon schweres Kriegsgerät aus Libyen über die Türkei an die "Rebellen" verschifft und die Türkei hatte ihre Grenzen weit für Jihadisten aller Länder geöffnet, die ihren Sold aus Katar und Saudi-Arabien bezogen.

         

        Und bevor Sie mit dem nächsten Märchen aus tausendundeiner "heute"-Sendung kommen: Die Flüchtlingswelle nach Europa hatte zu diesem Zeitpunkt auch schon eingesetzt.

  • Übernimmt die Taz nicht ganz einfach wieder einmal etwas noch gar nicht Bewiesenes? Es sieht leider sehr danach aus. Und offenbar ist lernen doch sehr viel schwerer als gedacht, vor allem dann, wenn der Tatbestand ideologisch überfrachtet ist. Vielleicht helfen die Bilder aus dem Irak und aus Libyen um zu begreifen, was jetzt in Syrien ebenso falsch laufen könnte.

  • Gestern sah ich das Video einer italienischen Reporterin über die Evakuierung von "Rebellen-Kämpfern" aus Daraya, einer Vorstadt von Homs. Frau Helbing spricht von "gebrochenen, entkräfteten Menschen", die in die Evakuierungsbusse steigen. Das Video zeigt dagegen dagegen hunderte von jungen, entschlossenenen, bärtigen Männern, die mit "Allahu Akbar"-Rufen und ihren persönlichen Waffen nach Idlib evakuiert werden um dort ihren Kampf fortzusetzen. Will heißen: Es gibt immer zwei Narrative und im Krieg wird von beiden Seiten gelogen. Woher Frau Helbing wissen will, dass "iranische Södner" in Homs die Wohnungen von Vertriebenen an Unterstützer des Regimes verteilen, darf man ja wohl mal fragen. Und ob die "rechtmäßigen Besitzer" dieser Häuser gegenwärtig vom Regime in Idlib von Assads Schergen mit Giftgas angegriffen wurden, sollte man der Untersuchungskommission der UN überlassen. Und was die humanitäre Hilfe betrifft: Der größte Teil der Bevölkerung von Ost-Aleppo ist nach dem Sieg der Regierungstruppen in Aleppo geblieben: entweder in Flüchtlingslagern in West-Aleppo oder in ihren zerstörten Stadtteilen. Internationale Hilfe für diese Menschen gibt es bis heute praktisch nicht - mit Ausnahme der Hilfe durch russische Hilfsorganisationen. Aber Frau Helbing findet's wohl richtig: Solche Hilfe nützt ja nur dem syrischen Regime. Fazit: Wer aus politischen Gründen hunderttausenden von extrem hilfsbedürftigen Zivilisten Hilfe verweigert, der kann mir mal den Buckel runterrutschen.

  • "Syrien wiederaufzubauen klingt nach einer super Idee."

    Wieso? Weil "die" Syrer unschuldig in einen Konflikt geraten sind? Die Syrer müssen ihre Angelegenheiten selbst regeln.

     

    "Denn wer in Daraya bei Damaskus oder al-Waer in Homs Häuser repariert, während deren rechtmäßige Besitzer in Idlib mit Giftgas angegriffen werden, macht sich schuldig."

    Nein, wer kampfwillig in Idlib sitzt ist Teil des Problems und nicht der Lösung. Wenn die EU helfen will, soll sie die von ihnen zumindest moralisch geförderten und unterstützten Menschenrechtlerrebellen aufnehmen, damit der Rest der Syrer ohne Menschenrechtlerrebellen in Frieden leben kann.

     

    Die Menschenrechtlerrebellen in Idlib sind ein Problem, dass gelöst werden muss. Angesichts der militärischen Optionen des Assad-Regimes wäre eine Evakuierung zu den europäischen und türkischen Förderern der Menschenrechtlerrebellen sicher die bessere Lösung.

     

    Vermutlich wollen die Europäer die Menschenrechtlerrebellen in Europa aber gar nicht haben.