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Familienpolitik im WahlkampfHeiraten für Steuer und Krankenkasse

Die Parteien tun sich schwer mit dem Abschaffen des Ehegattensplittings. Viele Paare mit ungleichen Einkommen profitieren davon.

Genau so altbacken sind Eheschließungen: Reenactment von 1475 Foto: dpa

Als Birgit Lehmann und Torben Schulze vor zwei Jahren geheiratet haben, waren sie schon seit 15 Jahren ein Paar. Die Sachbearbeiterin und der Germanist lebten zusammen in einem Haushalt und hatten drei gemeinsame Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren.

Sie waren glücklich so, wie es war: kein Trauschein und trotzdem eine Familie. Als Torben Schulze aber ein Zusatzstudium begann, hatten sie ein Problem: Er bekam kein Bafög mehr, weil er schon einmal studiert hatte. Darauf, dass sie eine Zeitlang ausschließlich vom Gehalt der Mutter leben sollte, hatte sich die fünfköpfige Familie eingestellt. Dass der mit fast 40 Jahren „alte“ Student für seine Krankenversicherung jetzt zwischen 180 und 400 Euro zahlen sollte, so wie die Krankenkasse das vage berechnet hatte, daran hatten sie nicht gedacht.

Was tun? Das Familienbudget war ohnehin schon mehr als knapp – Lehmann verdient rund 28.000 Euro im Jahr. So kamen sie auf die Idee zu heiraten. Eine Ehe wird vom Staat gefördert, ideell und finanziell. Anders als unverheiratete Paare mit Kindern, Alleinerziehende und Singles genießen Verheiratete zahlreiche Privilegien: Auskunftsansprüche im Krankenhaus, Renten- und Erbrechtsansprüche im Todesfall eines Partners, Zugewinnansprüche. Vor allem aber profitieren Eheleute vom Ehegattensplitting, insbesondere sogenannte Einverdienerehen mit einem hohen Einkommen. Meist ist dann der Mann derjenige, der das Haushaltseinkommen verdient, die Frau versorgt den Haushalt. SpitzenverdienerInnen sparen so bis zu 15.000 Euro im Jahr.

Birgit Lehmann und Torben Schulze, die ihren richtigen Namen wegen ihrer Kinder nicht in der Zeitung lesen wollen, haben ihren Hochzeitstag schlicht gehalten: rein ins Standesamt, ja sagen, Ringe tauschen. „Der Tag war uns nicht wichtig“, sagt Lehmann: „Wir lehnen die Ehe eigentlich ab, wir leben nicht anders zusammen, nur weil wir jetzt einen Trauschein haben.“ Aber aufgrund von Schulzes Studium und des finanziellen Engpasses sei ihnen nichts anderes übrig geblieben.

Topthema im Wahlkampf

Das Ehegattensplitting belohnt das Paar nicht nur mit der kostenfreien Familienversicherung, sondern auch mit einem Steuerbonus von rund 2.000 Euro im Jahr. „Das ist gut für uns, klar“, sagt Lehmann: „Aber als Linke finden wir, dass das Zusammenleben mit Kindern finanziell gefördert werden soll und nicht das staatlich abgesegnete Zusammenleben zweier Erwachsener“, sagt Lehmann.

Das finden auch die meisten Parteien. Zumindest haben sie jetzt „die Familie“ als eines der wichtigsten Wahlkampfthemen ausgemacht. Mit vielen Ideen soll Familien das Leben erleichtern werden: mit kostenlosen Kitas, mehr Geld für Familien, Steuererleichterungen für GeringverdienerInnen, sozialem Wohnungsbau. Klassiker bei SPD, Grünen, Linkspartei.

Die Streichung des Ehegattensplitting erbrächte bis zu 15 Milliarden Euro

Die Union denkt an ein „Baukindergeld“ für jene, die in der eigenen Immobilie wohnen wollen, und an kostenlose Erstausstattungen fürs Baby. Selbst die FDP hat die Familie entdeckt und sinniert über ein „Kindergeld 2.0“, das alle aktuellen staatlichen Leistungen für Kinder zusammenfasst.

Klingt alles gut. Nur: Lässt sich das tatsächlich umsetzen? Und wie? Woher soll das Geld dafür kommen?

Heilige Kuh Ehegattensplitting

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet vor: Würde das Ehegattensplitting abgeschafft und jede und jeder den eigenen Verdienst versteuern, könnte der Staat mit bis zu 15 Milliarden mehr Steuern rechnen. Geld, mit dem man locker Familien unterstützen könnte.

Die Idee ist nicht neu. Seit Jahren, insbesondere in Wahlkampfzeiten, befassen sich auch SPD, Grüne und Linkspartei mit dem Ehegattensplitting.

Alle drei Parteien behaupten, Familien mit Kindern hätten Vorrang vor Ehen – und wollen immer mal wieder das Ehegattensplitting reformieren. Nur: Passiert ist seit Jahren nichts. Und das liegt in diesem Fall nicht an der Union (und auch nicht an der FDP), für die das Ehegattensplitting so etwas ist wie eine heilige Kuh: darf nicht angetastet werden. SPD, Grüne und Linkspartei verfahren beim Ehegattensplitting nach dem Motto „verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre“. Am Ende gibt es zahlreiche „Gründe“, warum das Ehegattensplitting nicht einfach mal so reformiert oder abgeschafft werden kann: verfassungsrechtliche oder steuerpolitische Hindernisse, der Umgang mit den sogenannten Altehen.

Möglicherweise setzt sich das bei dieser Bundestagswahl fort. Zum Beispiel die SPD. „Gute Zeiten für Familien“ nennt sich ein Wahlkampfsampler für Familienförderung: mehr Zeit für Kinder und alte Eltern, mehr Geld für berufstätige Eltern, beispielsweise als Bonus von 150 Euro für den Vater, wenn er seine Arbeitsstunden reduziert und weitere 150 Euro für Mütter, wenn sie mehr arbeiten. Sönke Rix, familienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, nennt das „steuerliche Kinderkomponente“, und die soll „allen Eltern nutzen, ob verheiratet, unverheiratet oder alleinerziehend“. Von einer Reform des Ehegattensplittings ist nicht die Rede. Trotzdem versichert Rix: „Klar ist, dass wir – anders als die CDU/CSU – nicht länger nur Ehepaare von einem Steuersplitting profitieren lassen wollen.“

Altbackene Grüne

Oder die Grünen. In ihrem Entwurf des Wahlprogramms mit dem verheißungsvollen Titel „Zukunft wird aus Mut gemacht“ verspricht die Partei, „das Ehegattensplitting durch eine gezielte Förderung von Familien mit Kindern zu ersetzen“. So ähnlich hatten es die Grünen schon bei der Bundestagswahl 2013 vorgeschlagen. Das kostete sie allerdings viele Stimmen. Und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt musste nach der Wahl zurückrudern. „Das Ehegattensplitting einfach abzuschaffen, würde am Ende viele treffen, die Kinder haben“, sagte sie seinerzeit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Heute klingt Göring-Eckardt so: „Es ist höchste Zeit, bei zukünftigen Ehen gezielt die Förderung von Kindern und Familien in den Mittelpunkt zu stellen und zur individuellen Besteuerung überzugehen.“ Das gilt laut Wahlprogramm aber nur für neu geschlossene Ehen, „Altehen“ genießen weiterhin die althergebrachten Steuerprivilegien.

„Es ist total altmodisch und im Übrigen auch ungerecht, dass zwei Menschen, die ohne Trauschein zusammen leben mehr Steuern bezahlen als Eheleute“, versichert Bernd Riexinger, Chef der Linkspartei. Die will das Ehegattensplitting „durch familienfreundliche Steuermodelle“ ersetzen. Das dürfte – im derzeit unwahrscheinlichen – Fall einer von rot-rot-grünen Koalition von Belang sein.

Birgit Lehmann und Torben Schulze ist das mittlerweile egal. Schulze hat sein Zusatzstudium beendet und verdient wieder gut, ein Drittel mehr als seine Frau. Das Paar könnte das Ehegattensplitting weiterhin voll ausschöpfen, mit der „klassischen“ Steuerklassenwahl 3 und 5 für Paare mit stark unterschiedlichen Einkommen: Danach würde Schulze, jetzt mit hohem Verdienst, weniger Steuern zahlen, und Lehmann als Geringerverdienende mehr.

Aber das Paar hat sich anders entschieden: jeweils für die Steuerklasse 4, eine Art Individualbesteuerung. Mit der Folge, dass es am Monatsende zunächst weniger Geld hat als mit den Steuerklassen 3 und 5. „Das ist nicht schön“, sagt Lehmann: „Aber ich empfinde es als unwürdig, von meinem ohnehin geringeren Verdienst auch noch mehr Steuer zahlen zu müssen.“ Am Jahresende jedoch gleicht sich das durch die Jahressteuererklärung wieder aus.

Richtigstellung: In einer früheren Version des Textes fehlte der Hinweis auf die Jahressteuererklärung, die den monatlichen Verlust am Jahresende wieder ausgleicht.

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14 Kommentare

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  • 2G
    2730 (Profil gelöscht)

    Zitat: "Steuerklasse 4, eine Art Individualbesteuerung. Mit der Folge, dass es am Ende weniger Geld hat als mit den Steuerklassen 3 und 5."

    Sorry, das ist Blödsinn. Die Lohnsteuer ist eine Steuervorauszahlung auf die zu erwartende Jahressteuerschuld. Die Steuerklassen dienen lediglich dazu, die Vorauszahlung so zu gestalten, dass möglichst wenig nachgezahlt oder erstattet werden muss.

    Stimmen würde die Aussage im Artikel nur, wenn das Paar in der Einkommensteuererklärung komplett auf das Splitting verzichtet.

    Ok., in dem Fall spenden sie eben etwas für Bundeswehr und sonstige "sinnvolle" Dinge. Ich persönlich würde es für sinnvoller halten, die Differenz Steuer nach Einzelveranlagung / Steuer nach Splitting für etwas Intelligentes zu spenden, aber jedem das Seine....

  • "Aber das Paar hat sich anders entschieden: jeweils für die Steuerklasse 4, eine Art Individualbesteuerung. ... am Ende weniger Geld hat als mit den Steuerklassen 3 und 5..."

     

    Nach meinem Kenntnissatnd eine klare Fake-News! 4 ist die Individualbesteuerung im Monatsrhythmus und man bezahlt hier mehr Steuern! Soweit richtig.

    Mache ich 3 und 5 habe ich das Splitting. Auch richtig!

     

    ABER: Mache ich am Jahresende meine Jahressteuererklärung, dann kommt exakt das gleiche raus.

    Bei Trennung 3 zu 5 bezahle ich eben eher Geld nach. Bei 2 x 4 bekomme ich eben eher Geld zurück nach der Steuererklörung. Hat reine Liquiditätseffekte, keinesfalls eine Besser- oder Schlechterstellung.

    Ich bitte das zu checken und im Bericht nachzubessern.

  • "Nur: Passiert ist seit Jahren nichts. Und das liegt in diesem Fall nicht an der Union (und auch nicht an der FDP), für die das Ehegattensplitting so etwas ist wie eine heilige Kuh: darf nicht angetastet werden."

     

    Immer wieder faszinierend, zu was für offensichtlich unsinnigen Feststellungen sich Journalisten so hinschreiben lassen.

     

    Wenn Frau Merkel wollte könnte sie das Ehegattensplitting abschaffen. Richtlinienkompetenz...Die Macht dazu hätte, sie und die SPD würde sich sicherlich nicht dagegen stellen.

     

    Es liegt einzig und allein an der CDU/CSU und unserer Karzlerin, dass sich bei diesem längst überfälligen Thema nichts bewegt. Und die Taz gefällt sich darin das Ganze den anderen Parteien in die Schuhe zu schieben.

     

    Und da wundert Ihr Euch, wenn immer wieder das Wort "Lügenpresse" durch die Landschaft geistert?

  • "Zukunft wird aus Mut gemacht" ist eine Verballhornung zweier Zeilen aus dem Nena-Lied "Irgendwie Irgendwo Irgendwann".

     

    Daher stammen also Wahlkampfslogans. Wahrscheinlich unter der Dusche gehört und für gut befunden.

  • Die Steuerklassenwahl hat nur bei den monatlichen Lohn-/Gehaltsabrechnungen eine Auswirkung. Egal, ob man IV/IV oder III/V gewählt hat, nach der gemeinsamen Jahressteuererklärung steht im Steuerbescheid in beiden Fällen der gleiche Steuerbetrag. Der letzte Satz im Artikel wäre nur sinnhaft, wenn keine Steuererklärung abgegeben wüde.

    • @Zeno Cosini:

      Das ist das Problem. Ich vermute gut 90% die sich zu dem Thema äußern kennen nicht mal den Unterschied zwischen Splitting und Steuerklasse. Entsprechend ist die Qualität solcher Artikel.

       

      Selbst Ökonomen die ich gefragt habe konnten mir bisher nicht erklären, warum jemand wegen des Splittings weniger arbeiten soll. Auf Nachfrage kommen sie stets mit den Steuerklassen.

      • @Horst Horstmann:

        Wenn erhebliche Unterschiede im Einkommen der Ehegatten bestehen werden durch das Ehegattensplitting die Einkommen formell mit einem gleich hohen Grenzsteuersatz belastet. Der Geringverdiener hat also so gesehen einen geringeren Nettolohn, was bei reduzierter Tätigkeit zwar zu weniger Einkommen (brutto wie netto) führt, aber eben nicht in dem Maße wie bei der Einzelbesteuerung.

        Beispiel:

        Ehegatte 1 hat 100000€/Jahr zu versteuerndes Einkommen

        Ehegatte 2 verdient 20000€/ Jahr

        Einkommensteuer+ SolZ bei 120000€/Jahr: 35287,64€

        ESt*SolZ bei 100000€/Jahr: 26503,71€

        Durch den Zuverdienst von 20000€ brutto wächst die Steuerschuld um 8783,93€. Werden die Sozielversicherungsbeiträge von 20,525% (bei Einkommen aus nicht selbständiger Tätigkeit) noch mit einbezogen arbeitet der Geringerverdiener für 7111,07€/Jahr oder 592,59€/Monat bzw bei einer 40 Stunden Woche für Netto 3,42€/Stunde. "Lohnt" sich das denn wirklich noch?

        • @Saccharomyces cerevisiae:

          Der Ehegatte 2 kann jederzeit die Einzelveranlagung wählen. Dann zahlt er nur ca. EUR 2.660. In diesem Fall zahlt dann aber der Ehegatte allein EUR 36.400 an das Finanzamt. In Summe (EUR 39.060) wäre das schlechter. Es wäre also besser, wenn sich beide Partner zusammensetzen und alles einmal durchrechnen.

           

          Wenn Sie die Steuerbealstung nur auf den geringer verdienenden Ehegatten runterrechnen kommen Sie natürlich zu merkwürdigen Ergebnissen.

          • @DiMa:

            Die "merkwürdigen Ergebnisse" sind Realität wenn die beiden Ehegatten als wirtschaftliche Einheit gesehen werden. Und genau das macht ja das Ehegattensplitting.

            Und das erklärt ja dann auch warum es bei großen Einkommensunterschieden wenig Sinn macht, als wirtschaftlich schwächerer noch berufstätig zu sein. Und genau diese Frage wollte "Horst Horstmann" beantwortet haben.

            Was soll daran "merkwürdig" sein?

    • @Zeno Cosini:

      so isses!

       

      Weiß aber anscheinend kaum ein Paar und die wenigsten wählen IV/IV, vor allem wohl, weil III/V das übliche ist bzw. eine Beratung auch immer in diese Richtung geht.

  • Die Lohnsteuer ist doch nur eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer. Ist doch vollkommen egal ob sie 3/5 oder 4/4 wählen. Nach der Festsetzung der Einkommensteuer wird die abgeführte Lohnsteuer verrechnet. Insoweit kommt am Ende des Tages immer das Gleiche raus. Also 4/4 wählen und die Erstattung teilen. Hilfsweie 4/4 mit Faktor und alles ist gut. Geschlechterungerechtigkeit? Keine.

    • @DiMa:

      Ein wichtiger Grund für die Wahl von SK 3/5:

       

      Wenn es einen großen Einkommensunterschied gibt und der 'Hauptverdiener' keinen allzu sicheren Job hat, sollte dieser auf jeden Fall die SK 3 wählen. Denn das ALG 1 wird auf den letzten NETTOlohn berechnet. Der unterjährige Steuernachteil des geringerverdienden Ehepartners kann intern durch Dauerauftrag o. ä. ausgeglichen werden.

      • @weaver:

        Aus den gleichen Gründen kann die Wahl bei Kinderwunsch ratsam sein. Für die steuerliche Belastung ist die Steuerklassenwahl vollkommen egal.

        • @DiMa:

          Da stimme ich Ihnen zu.

          Die angebliche Geschlechterungerechtigkeit wird so konstruiert (in den anderen Kommentaren bereits erwähnt):

          Bei ungleichem Lohn zahlt der geringerverdienende Ehepartner (wohl meistens die Frau) einen höheren Steuersatz auf seinen Anteil am Haushaltseinkommen, als er als Alleinstehender zahlen würde.Auch nach der abschließenden Steuererklärung am Ende des Jahres.

          Dies soll dann demotivierend wirken, überhaupt eine Arbeitsstelle anzutreten.

          Es wird also von der Autorin als Idealbild angestrebt: "Ehe ist Privatsache".

          Damit verbunden sind aber Fragen:

          Mit welcher Begründung gibt es dann überhaupt noch Unterhaltspflichten? Kann dann die (gern genommenes Beispiel) Frau eines Zahnarztes eine Wohnung Ihres Mannes mieten (dadurch getrennte Haushalte) und diese durch Hartz 4 finanzieren? Er ist seiner Frau zu keinen Zahlungen mehr verpflichtet, denn die Ehe geht den Staat ja nichts an....