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Netto mit neuem WerbespotWeinen für die Hühnerbrust

Ein Huhn und ein Hase zeugen Nachwuchs. Raus kommt: ein Osterhase. Tierkinder, Liebe, wundervoll. Nur, was hat das mit dem Discounter zu tun?

Frisch geschlüpft Screenshot: youtube/nettotv

Es ist zum Heulen, ganz schlimm sogar: Ein Huhn und ein Hase, beide animiert, verlieben sich und heiraten. Geboren wird: ein Osterhase. Tierkind, Liebe, wundervoll. Nun hat es dieser aber nicht leicht – vom Lehrer unverstanden, von Schwein, Frosch und Frettchen gemobbt wegen der bunten Eier, die ständig aus ihm rauskommen, läuft er von zu Hause weg. In der Menschenwelt wird er zwar berühmt und berauscht, doch wahre Liebe findet er nur, als er nach Hause zurückkehrt.

Die Discounterkette Netto und die hippen Teens, Twens und Twinks der Weltwerbeerbeagentur Jung von Matt (Letztere vermutlich eher so MDMA von Alnatura) haben ganze Arbeit geleistet und nach dem Video „Netto-Katzen“ aus dem vergangenen Jahr, in dem, Sie ahnen es, Katzen, ja, bei Netto einkaufen, nun zum ultimativen Kracher gegriffen: Tierkinder, coming-of-agend. Beide Videos haben mehr als zehn Millionen Aufrufe und sind, abgesehen davon, dass das Wort „gemischtrassig“ nach dem letzten nun wieder ein kleines Revival erlebt, wirklich grandios.

Eine Frage bleibt jedoch: Was hat das bitte mit Netto zu tun? War beim „supergeilen“ Edeka-Dancer Friedrich Liechtenstein das Baden in Müsli und Milch noch mit einem gewissen Realismus verbunden, ist hier die Beziehung zwischen Werbespot und Supermarkt völlig entstellt. Osterhasen kann man nicht kaufen, nicht mal bei Netto. Höchstens aufgespritzte Hühnerbrüste oder hartgekochte Eier aus Tadschikistan.

Die Botschaft bleibt dieselbe, ob bei Fun-Hip-Coolness-Rutsch oder tränenreicher Hasen-Katharsis: Mit uns kriegst du es, dieses gute Leben. Spaß und Liebe. Deswegen sehen die Regaleinräumer*innen auch immer so fröhlich aus.

Dabei verweist schon der Name „Netto“ kaum auf Genuss und Lebensfreude, sondern eher auf eine Personalpolitik, an die das Schulmobbing des kleinen Hasen wohl nicht einmal annähernd heranreicht. Das wird Chefs und Werbern herzlich egal sein. Sie weinen nicht. Sie planen schon den nächsten Coup. Woraus wird der bestehen? Babys, Titten, Hitler? Sicher fällt ihnen wieder etwas Kreatives und Superwitzisches ein. Dass sie danebengreifen, scheint unmöglich. Hüten sollten sie sich einzig davor, allzu genau in die Tiefen des Ladens zu tauchen. Niemand sieht gern Schrammelsülze und Zementmett.

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4 Kommentare

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  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Ist ja ein schöner Kommentar, Herr Schulz, aber man müsste die Frage viel radikaler stellen: was hat Werbung überhaupt mit dem Produkt zu tun? In der Regel nichts. Genau deshalb funktioniert Werbung so gut, sie sich gar nicht erst den Anschein verleiht, estwas mit dem Produkt zu tun zu haben, was man bei "Netto" durchaus auch verstehen kann.

  • Das ist aber nicht die einzige Werbung die in diese Richtung geht.

    Ich sage nur: "Kinder brauchen nicht viel um glücklich zu sein. Warum denkt ihr das wir mehr brauchen?"

    Was wird mit diesen schönen Worten und passenden Bildern beworben? Das Kinderhilfswerk? Eine Initiative das sich Eltern mehr Zeit für ihre Kinder nehmen sollen?

    FALSCH! Am Ende des Spots steht: ALDI.

    • @derSchreiber:

      "Kinder brauchen nicht viel um glücklich zu sein?" Kommt ganz drauf an, was genau man unter "viel" versteht.

       

      Kinder brauchen zum Beispiel sehr viel Zeit und viel Selbstlosigkeit von Seiten ihrer Erzieher*innen, um glücklich zu sein. Die Eigentümer von ALDI brauchen etwas ganz anderes. Sie brauchen vor allem viel Geld. Genau aus diesem Unterschied erwächst der sogenannte Marktwert ihres Unternehmens.

       

      Menschen setzen unterschiedliche Prioritäten. Manchmal haben sie eine verstärkten Hang zur Fortpflanzung, manchmal einen zum ökonomischen Fortschritt. Wer viel Zeit in eigene oder fremde Kinder „investiert“, verdient nur selten gleichzeitig viel Geld. Das liegt daran, dass jede Stunde des Tages nur einmal gefüllt werden kann – entweder mit Kindern oder mit der Erwirtschaftung eines Unternehmensgewinns. Auf dieser allseits akzeptierten und nur selten hinterfragten Basis-Erfahrung können ALDI und Netto aufbauen. Sie bieten eine Art Deal an: Wir kriegen euer Geld für unseren Billigkram und ihr kriegt mehr Zeit für eure Kinder (oder euch selbst), in der ihr euch kein Bein für Kohle ausreißen müsst.

       

      Beide Seiten sind zufrieden mit der Abmachung. Vor allem dann, wenn ihnen die Werbung auch noch einen geistigen Überbau zu ihrer privaten Entscheidung liefert. Zum Beispiel in Gestalt putziger Kätzchen, Küken oder (Oster-)Häschen, die ihre (dem Betrachter durchaus bekannten) Negativ-Erfahrungen gemeistert kriegen. Was will diese Gesellschaft der Bauchnabel-Streichler eigentlich mehr? Gerechtigkeit? Vernunft? No way! Wo bliebe da der eigne Distinktionsgewinn?

  • Der YouTube Kanal von NettoTV hat über 30.000 Abonnenten (zum Vergleich: TAZ Abonnements = 42.010) und zeig eben neben solchen beliebten Videos auch Rezeptvideos und ganz gewöhnliche Produktwerbung. Unter den 3.696.834 Zuschauern dieser Animation, werden genug sein, die jetzt eine positive Assoziation mit Netto haben oder sich auch andere Netto Videos angeschaut haben. Wird sich irgendwie schon lohnen so was, sonst würden sie es nicht tun.