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Alles meins

Machtkonzentration Erdoğan missachtet die türkische Verfassung seit geraumer Zeit. Mit dem Referendum am 16. April versucht er nun, seine Politik zu legalisieren und die letzten Überbleibsel von Gewaltenteilung zu zerstören. Künftig soll gelten: Exekutive + Legislative + Judikative = Erdoğan

von Ali Celikkanund Marlene Halser

ARTIKEL 9: Gleich zu Beginn ein Witz: Gemäß dem neuen Verfassungstext sollen türkische Gerichte nicht mehr nur „unabhängig“ sein, sondern auch „neutral“. Gleichzeitig bestimmt der Präsident direkt oder indirekt über die Besetzung des Verfassungsgerichts (Paragraf 146).

ARTIKEL 77: Es wird nicht mehr alle vier, sondern alle fünf Jahre gewählt – und zwar Regierungschef und Parlament am selben Tag. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Der Regierungschef darf einer Partei angehören und vorsitzen. (Paragraf 101).

ARTIKEL 87: Die Abgeordneten haben keine Kontrollfunktion mehr über das Kabinett und den Ministerrat und dürfen die Minister nicht mehr anweisen, Gesetzesvorlagen einzubringen.

ARTIKEL 98: Parlamentarier dürfen keine mündlichen, sondern nur noch schriftliche Anfragen ans Kabinett richten.

ARTIKEL 104: Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und ihm obliegt die Exekutive. Er ernennt und entlässt seine Stellvertreter sowie die Minister und die obersten Verwaltungsbeamten ohne Zustimmung des Parlaments und regelt die Verfahren und Grundsätze ihrer Ernennung in einer Präsidialverordnung.

ARTIKEL 116: Sowohl der Präsident als auch das Parlament können jederzeit Neuwahlen ausrufen. Jedoch ist dafür im Parlament eine 3/5-Mehrheit nötig. Wenn das Parlament während der zweiten Amtszeit Neuwahlen ausruft, darf der Präsident noch ein drittes Mal antreten. Bei Neuwahlen werden sowohl das Parlament als auch der Präsident neu gewählt.

ARTIKEL 119: Der Präsident kann im ganzen Land oder zeitlich befristet in einer Region den Notstand ausrufen. Der Präsident der Republik kann während des Notstands Präsidialverordnungen zu Angelegenheiten erlassen, die im Notstandsfalle erforderlich sind.

ARTIKEL 161: Anstelle des Parlaments legt nun der Präsident den Entwurf für das Haushaltsgesetz vor.

ARTIKEL 106: Der Präsident kann nach seiner Wahl einen oder mehrere Stellvertreter ernennen. Der Stellvertreter vertritt den Präsidenten bis zur nächsten Wahl und übt dessen Amt im Krankheits- oder Todesfall aus oder wenn das Amt aus anderen Gründen vakant ist.

Quelle: Türkische Anwaltskammer und Friedrich Alexander Universität Erlangen, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Prof. Dr. Mathias Rohe und Prof. Dr. Ali Yarayan

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