Dokfilm über russischen Aktionskünstler: Nackter Mann als rohes Ei
Irene Langemann hat einen Dokumentarfilm über Pjotr Pawlenski gedreht. Der russische Aktionskünstler zeigt sich darin kompromisslos anarchisch.
Sie könnten nicht verschiedener sein, die zwei Künstler, die als Politaktivisten bekannt sind. Der berühmtere der beiden, Ai Weiwei, ist extrem kommunikativ, kommentiert das Zeitgeschehen, dazu mischt sich in aktuelle Skandale in China und der Welt ein und Skandal − twittert. Das ist bei Pjotr Pawlenski undenkbar. Das Bild von ihm, das 2012 um die Welt ging, zeigt ihn mit zugenähtem Mund. Zehn Stiche mit rotem Faden, „Stitch“ hieß die Aktion mit der er sich mit den verurteilten Mitglieder von „Pussy Riot solidarisch erklärte, und mit allen Russen, denen Putin die Meinungsfreiheit verwehrte.
Arbeitet Ai Weiwei installativ und mit Objekten, arbeitet Pawlensk allein mit seinem Körper. Ist Ai Weiwei kompromisslos in seinem Kampf für Menschenrechte und gegen Korruption, ist Pawlenski absolut radikal im Bloßstellen der Mechanik der Macht der russischen Despotie unter Putin. Beide sind sie große Verführer. Dass Ai Weiwei Menschen aufrüttelt ist bekannt. Auch Pjotr Pawlenski gelingt das, wie der definitiv sehenswerte Dokumentarfilm „Pawlenski – der Mensch und die Macht“ von Irene Langemann deutlich macht, der jetzt in die Kinos kommt.
Pawlenskis Charisma liegt in seiner asketischen, hohlwangigen Schönheit, die an Beuys erinnert, liegt in seinem Schweigen und seiner Passivität während seiner Aktionen, bei denen er meist nur da liegt, steht oder sitzt. Die Polizisten behandeln den nackten Mann wie ein rohes Ei. Der Psychiater möchte ihn nicht für unzurechnungsfähig erklären und der Untersuchungsrichter verweigert das Urteil und quittiert daher seinen Job.
Sie und alle anderen rührt vor allem, dass Pawlenskis Kunst ihren Ausgangspunkt bei einem Phänomen nimmt, das den Menschen nur allzu bekannt ist: Angst. Angst in Russland. Also Angst vor dem Auffallen, der Marginalisierung, der Abweichung und Dissidenz, der Verhaftung, dem Schmerz. Es trifft sie, dass er diese Angst offen legt, die in ihrer aller Leben permanent gegenwärtig ist. Und sofern sie das nicht wütend macht – tatsächlich eher selten − fasziniert es sie, dass er sich in seinen Aktionen frei von dieser Angst zeigt.
Nackt im Stacheldraht-Konkon
Nackt legt er sich in einem Stacheldraht-Konkon vor das Petersburger Stadtparlament („Tierkadaver“), treibt einen zehn Zentimeter langen Nagel durch seine Hoden und nagelt sich so auf dem Roten Platz fest („Fixierung“), 2014 zündet er in einem Akt der Solidarität mit der Ukraine Autoreifen auf der Maly-Konjuschenny-Brücke in Sankt Petersburg an („Freiheit“), wo er damals mit seiner Lebensgefährtin und seinen zwei Töchtern lebte.
Später schneidet er sich nackt auf der Mauer einer psychiatrischen Anstalt in Moskauer sitzend, ein Ohrläppchen ab („Abtrennung“), um schließlich die Eingangstür zum Hauptquartier des Inlandgeheimdienstes FSB anzuzünden („Bedrohung“). Das war dann definitiv eine Situation, die „nach den geltenden Regeln eines Ortes unter gar keinen Umständen entstehen dürfte“, wie er sagt.
„Pawlenski – Der Mensch und die Macht“, Buch und Regie Irene Langemann, D 2016, 90 Min.. der Film läuft heute bundesweit in den Kinos an.
Am Sonntag, den 19. März findet im Kino International in der Karl-Marx-Allee 33 in 10178 Berlin um 11:00 Uhr eine Vorführung mit anschließender Diskussion mit der Regisseurin Irene Langemann und dem russischen Künstler und Unterstützer Pawlenskis, Oleg Kulik, statt.
Weitere Diskussionsteilnehmer sind der deutsche Verleger von Pawlenski Wladimir Velminski und der deutsch-russische Schriftsteller Wladimir Kaminer. Die Moderation übernimmt Toby Ashraf (taz).
Doch darum geht es ihm in seinen autoaggressiven Performances, mit denen er neue, bis dahin unbekannte Lagen schafft und damit gute Kunst. Denn sie zeichnet aus, dass sie neues Wissen provoziert: etwa darüber, wie das System seine Anhänger in den Wahnsinn treibt.
Das Anzünden der Tür der Lubjanka, dem Sitz des FSB, erklärten doch tatsächlich die Ankläger, sei kein simpler Akt des Vandalismus, weil es sich bei der Lubjanka um ein Kulturdenkmal handle. Schließlich seien dort während der 1930er und 1940er Jahre bedeutende Menschen eingekerkert worden und gestorben wie der Regisseur Wsewolod Meyerhold und der Schriftsteller Issak Babel.
Verlust des Hauptdarstellers
„Bedrohung“ war die vorerst letzte Aktion von Pawlenski in Russland, da er sofort verhaftet und angeklagt wurde. Gleichzeitig war sie die erste, die Irene Langemann dokumentierte. Ihr kam also gleich zu Beginn ihres Films der Hauptdarsteller abhanden. Nur jeweils drei Minuten konnte sie ihn an den Prozesstagen sprechen, ansonsten musste sie sich mit Briefkontakten behelfen, mit Gesprächen mit dem Moskauer Aktionskünstler Oleg Kulik, der an einer Plastik Pawlenskis arbeitete und der Künstlerin Lena Hades, deren Porträtzeichnungen dem inhaftierten Künstler zur Anwesenheit vor der Kamer verhalfen.
Sehr klug war die Entscheidung der Filmemacherin, bekannte Verhörprotokolle als Schattentheater von russischen Schauspielern nachzuspielen. Eine wesentliche Rolle im Film kommt notwendigerweise Pawlenskis Lebensgefährtin Oksana Schalygina zu, die sich auch mal mit der Axt zwei Glieder ihres kleinen Fingers abhackte, um Pawlenskis Anforderungen an Wahrhaftigkeit nachzukommen.
Weil das Paar seine beiden schulpflichtigen Töchter keinesfalls dem Staat überlassen kann, unterrichtet sie sie selbst. Hier zeigt der Film Pawlenski und Schalygina ein einziges Mal angreifbar. Ansonsten ist Langemann, 1959 in Issilkul, Sibirien, geboren, in Moskau zur Schauspielerin, Regisseurin und Theaterautorin ausgebildet und 1990 nach Deutschland ausgewandert, entschieden parteiisch.
Dass Dissenz zwischen Pjotr Pawlenski und der in New York ansässigen Human Rights Foundation (HRF) dazu führte, dass die Organisation ihm den von ihr verliehenen Václav Havel Prize for Creative Dissent wieder aberkannte, wäre vielleicht doch der Rede wert gewesen. Der Vorgang wirft einmal mehr Licht auf die entschiedene Radikalität Pawlenskis, die der Film nicht in letzter Konsequenz ausleuchtet.
Verteidigung der „Fernöstlichen Partisanen“
Der Künstler wollte nämlich sein Preisgeld einer Stiftung zukommen lassen, die die Verteidigung der Anarchistengruppe „Fernöstliche Partisanen“ organisiert. Sie wurde wegen besonders grausamer Polizistenmorden verurteilt. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass mit Paypal-Gründer Peter Thiel ein ganz besonderer Konservativer und radikaler Staatsverächter einer der Hauptsponsoren des Preises ist.
Ist also Pjotr Pawlenskis Misstrauen gegen jegliche politischen, ökonomischen, dabei auch gerne mal humanitär maskierten Herrschaftsdiskurse berechtigt? Weil Langemann sich ausschließlich auf die Performances und ihre Interpretation in den anhängenden Prozessen oder durch die anhängenden Bewunderer konzentriert, liefert sie am Ende nur ein eindeutiges Heldenporträt. Pawlenski braucht und verdient aber mehr.
Er ist inzwischen mit seiner Familie nach Paris emigriert und hat dort um Asyl ersucht, aufgrund einer Klage der Schauspielerin am regimekritischen Dokumentartheater teatr.doc, Anastasia Slonina, die ihn und seine Frau des sexuellen Übergriffs bezichtigt. Pawlenski und Schalygina bestreiten die Vorwürfe. Der Verrat im 20. Jahrhundert (Margret Boveri), für den die Lubjanka als Schlachthaus steht, er scheint sich im 21. Jahrhundert nahtlos fortzusetzen.
Am Ende des Films aber zeigt sich auf ganz andere, glückliche Art die Macht der Kunst und des Kinos, beider ungebrochene Vorstellungskraft. Denn da montiert die Regisseurin Oleg Kuliks kleine Skulptur des angenagelten Pawlenski so vor die Lubjanka, dass sie nur als Denkmal, also hochironisches Mahnmal, wahrgenommen werden kann.
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