: Eine Parallelwelt, die sich der Polizei entzieht
Tote und Verletzte Das Gewaltpotenzial der jungen Männer aus dem Umfeld der PKK ist auffällig. Doch die deutschen Behörden tun sich mit der Verfolgung der Straftaten schwer: Die Zeugen schweigen – aus Angst oder weil sie die Täter kennen
Von KLAUS WOLSCHNER
Esvergeht kein Jahr, in dem nicht Kurden aus dem PKK-Milieu gewalttätige Auseinandersetzungen in deutschen Städten austragen. November 2016, Essen-Kray: Aus einer großen Gruppe wird ein Brandsatz in ein türkisches Café geworfen. Knapp drei Monate später durchsucht die Polizei 30 Häuser und Wohnungen und nimmt 23 Personen fest – Deutsche, Türken und Syrer.
Was war los in Essen? In den sozialen Medien erfährt man es: „Ihr schlachtet die Kurden in Syrien und bei euch daheim ab und wundert euch, dass die sich wehren??? Alles, was passiert ist und passieren wird, habt ihr euch selbst zuzuschreiben. An euren Händen klebt Blut!“
Nach Angaben der Polizei haben die Tatverdächtigen kurdische Wurzeln. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sie mit der PKK sympathisieren, die Anklageschrift liegt inzwischen vor: Der Vorwurf lautet auf versuchten Mord und versuchte schwere Brandstiftung.
Es ist eine Mischung aus Identifikation mit den kämpfenden „Brüdern“, Frust und Macho-Gehabe, das sich in solchen Gewalttaten entlädt. Die jungen Männer leben in einer Parallelwelt in ihren Wohnvierteln und bewundern die, die in Syrien oder im Irak kämpfen, als Helden und Märtyrer. Während viele von ihnen sich in ihrem deutschen Umfeld als Außenseiter und Verlierer sehen müssen, sind sie in ihren Großfamilien vollkommen integriert und werten ihre Rolle mit gefakten Rolex-Uhren und schicken Autos auf.
August 2014, Bremer Neustadt: Nachts gegen ein Uhr hält ein schwarzer BMW in der Straße, einige Männer springen heraus, schlagen auf einen ein, der auf dem Bürgersteig steht, auch mit einer Fleischer-Axt. Ein Schuss fällt. Das Opfer wollte in einem Konflikt zwischen Kurden und strenggläubigen Muslimen vermitteln. „Lauf weg“, rief der Mann, der das Vermittlungsgespräch arrangiert hatte – er kannte offenbar die Täter. Auch das Opfer hat einzelne der Täter erkannt und der Polizei Namen genannt. Die Staatsanwaltschaft teilt anderthalb Jahre später mit, dass die Ermittlungen zu keinen Ergebnissen geführt haben.
Silvester 2016. Nachts gegen ein Uhr steht eine Gruppe von syrischen Kindern auf der Straße und knallert, eine Mutter ist dabei. Ein Straßenzug mit vierstöckigen Häusern, sozialer Wohnungsbau. „Brennpunkt“, sagt die Polizei. Durch die Belegung der Sozialwohnungen wurde er dort geschaffen. Gegenüber auf der Straße stehen in jener Nacht einige junge Männer aus der Nachbarschaft, sie sind zwischen 25 und 35 Jahre alt. Plötzlich eskaliert die Situation: Angeblich hat ein 15-jähriger syrischer Junge einen Böller zurückgeworfen. Die Erwachsenen jagen zu acht Männern den Jungen, ergreifen ihn in einem Café, in das er geflüchtet ist, schlagen ihm mit einer Bierflasche auf den Kopf, zerren ihn hinaus ins Dunkle. Dort sollen sie „mit seinem Kopf Fußball gespielt“ haben, wird später berichtet. Der Junge starb an inneren Gehirnblutungen.
Erst dementiert die Staatsanwalt, was in Kreisen der betroffenen Opfer kolportiert wird, am Ende bestätigt sie es: Bei den Tätern der Silvesternacht sind auch die „Beschuldigten“ des Axt-Anschlages von 2014. Drei von ihnen sitzen jetzt in Haft.
In ihren Facebook-Accounts sind die Männer von Augenzeugen wiedererkannt worden: Sie gehören zu kurdischen Familien, manche rühmen sich, im Irak in einem Ausbildungslager der PKK gewesen zu sein. Das steigert das Prestige in ihrem Milieu ungemein, und es erklärt vielleicht die hemmungslose Brutalität. In einem Rap, den sie stolz bei Facebook präsentieren, posieren sie mit der PKK-Fahne und dem Bild des unumstrittenen PKK-Führers Öcalan. „Wir haben sie oft gesehen, wie sie nach Demonstrationen mit den PKK-Farben durch unsere Straße nach Hause gezogen sind“, sagt die kleine Schwester des toten syrischen Jungen. Inzwischen wohnt die Familie der Opfer nicht mehr dort – aus Sicherheitsgründen. 17 Polizeiwagen riegelten das Gelände ab, als sie auszog.
Die Polizei hatte am Tag danach eine „ruhige“ Silvesternacht verkündet, eine Woche lang gab es keine Pressemeldung zu dem Toten – bis in den sozialen Medien Vorwürfe erhoben wurden, es würde ganz offensichtlich nicht ermittelt. Es hatte keine Spurensicherung gegeben, keine Vernehmung der Augenzeugen.
Die PKK, sagt der Bremer Verfassungsschutz, sei eine paramilitärische Organisation. Wenn sie einen Befehl gibt, gehorchen Hunderte. In Bremen zählt der Verfassungsschutz 300 ergebene Anhänger der PKK. Seit längeren Jahren sei es aber offenbar PKK-Strategie, Deutschland eher als „Rückzugsgebiet“ zu nutzen und sich mit militanten Aktionen wie in den 1990er-Jahren zurückzuhalten. Manche Gewalttaten passten darum nicht ins Bild, so der Verfassungsschutz. Hinter ihnen stehe keine Strategie der PKK, sondern nur das Gewaltpotenzial junger Männer.
Gleichzeitig gibt es aber ein Zusammengehörigkeitsgefühl bei den PKK-Anhängern und insgesamt unter Kurden, das es den Sicherheitsbehörden schwer macht, etwas über interne Vorgänge zu erfahren. Distanziert hat sich von dem Bremer Silvestermord niemand aus dem kurdischen Milieu. Wenn man bei den kurdischstämmigen Abgeordneten in der Bremischen Bürgerschaft nachfragt, stößt man auf große Zurückhaltung. Auch sie fühlen sich „in erster Linie als Kurden“. Gefragt nach dem Mord in der Silvesternacht reden sie von „Trauer“, vom möglichen Einfluss von Alkohol und Drogen.
Die letzte Gewalttat in Bremen, die direkt der PKK als Organisation zugerechnet werden muss, liegt Jahre zurück. 1999 waren die 18-jährige Ayse Dizim und der 23-jährige Serif Alpsozman auf dem verlassenen Gelände des Kriegsbunkers Valentin brutal ermordet worden. Der junge Mann war als PKK-Kämpfer schwer verwundet aus den kurdischen Kampf nach Deutschland gekommen und wurde, wie es in PKK-Kreisen üblich ist, aus „Gastfreundschaft“ in eine Familie aufgenommen.
Dort verliebte er sich in die Tochter Ayse und sie sich in ihn. Aber das ist, auch wenn es auf Gegenseitigkeit beruht, nach den ungeschriebenen Gesetzen der PKK ein Sakrileg: Wer in eine Gastfamilie aufgenommen wird, gehört zur Familie. Gedungene Mörder statuierten an dem jungen Pärchen in einer Nacht am verlassenen Kriegsbunker Valentin ein Exempel. Ein klassischer Ehrenmord – es ging um die Ehre der PKK. Aus der Führungsriege der PKK wurde niemand dafür bestraft.
Möglicherweise waren einige aus dem Milieu der PKK empört über das Verbrechen – aber niemand traute sich, den Ermittlungsbehörden Einblick in die inneren Verhältnisse zu geben.
Bis heute gibt es immer wieder Verfahren vor Bremer Gerichten, bei denen die Zeugen sich an nichts mehr erinnern – oft ist das ein Zeichen dafür, dass der Bremer „Friedensrichter“ Mustafa Özbek eingeschaltet wurde, eine Schlüsselfigur der Bremer Parallelwelt, der von Sozialhilfe lebt und davon, dass er Konflikte unter Umgehung der Polizei und der Justiz schlichtet. Sein Großvater habe diese Rolle in den kurdischen Bergen auch ausgeübt, hat er einmal erklärt.
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