piwik no script img

Gentrifizierung in Kreuzberg„Wir haben einen Fehler gemacht“

Der Hauseigentümer, der der Filou-Bäckerei kündigen wollte, über seinen Umgang mit den Protesten und warum der Laden jetzt doch bleiben darf.

Protest bringt manchmal doch was: Demo gegen Gentrifiezierung in Kreuzberg 2012 Foto: dpa
Antje Lang-Lendorff
Interview von Antje Lang-Lendorff

taz: Mister Skinner, Sie sind Eigentümer des Hauses in der Reichenberger Straße, in dem sich die Bäckerei Filou befindet. Sie wollten der Bäckerei erst kündigen. Haben Sie inzwischen einen neuen Mietvertrag unterschrieben?

Charles Skinner: Wir haben am Dienstag gemeinsam einen Vorvertrag unterschrieben, der richtige Vertrag muss erst juristisch korrekt formuliert werden.

Was sind die Konditionen, zu denen die Bäckerei bleiben kann?

Was wir vorgeschlagen haben, ist ein neuer Typ von Vertrag. Der Vertrag der Bäckerei läuft aus. Wir finden es ziemlich unfair, das wir bei dieser Sache alle Macht haben. Deshalb soll es beim neuen Vertrag nach drei Jahren eine automatische Verlängerung um fünf Jahre geben. Und nach fünf Jahren wieder eine Verlängerung um fünf Jahre. Im Moment zahlt die Bäckerei eine Miete von 930 Euro pro Monat. Dabei soll es auch in den nächsten drei Jahren bleiben.

Im Interview: Charles Skinner

Der 54-jährige Brite lebt in London und will in einigen Jahren nach Berlin ziehen. Ihm gehört noch ein weiteres Haus in Berlin.

Es gibt keinerlei Mieterhöhung?

Nein, darum ging es uns aber auch nie. Seit 2006, als wir das Haus kauften, haben wir die Miete kaum erhöht. Damals betrug sie 905 Euro. Wir haben eine neue Heizung eingebaut und trotzdem nur 25 Euro mehr verlangt. Die Miete war nicht der Punkt. Wir hatten Probleme mit der Bäckerei.

Der Kampf ums Filou

Seit sechzehn Jahren gibt es das Café Bistro Filou in der Reichenberger Straße 86. Vergangenen Dezember flatterte den Betreibern die Kündigung ins Haus. Absender: Die Eigentümer Charles Skinner und David Evans.

Wäre eine „französische“ Bäckerei in den Achtzigern vielleicht selbst Gegenstand von Protesten von Gentrifizierungskritikern gewesen, stand nun fest: Der Reichenberger Kiez will das Filou behalten. Höhepunkt war eine Kiezdemo im Februar mit 2.500 Menschen.

Es wurde nicht nur demonstriert: Im benachbarten Neubau, der auch Skinner und Evans gehört, wurden die Scheiben eines Restaurants eingeschlagen.

Am vergangenen Donnerstag trafen sich die Betreiber des Filou mit den Eigentümern auf eine Einladung des grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele – zunächst ohne Einigung. Einen Tag später sicherte Skinner überraschend zu, die Kündigung zurückzunehmen und einen langfristigen Mietvertrag eingehen zu wollen.

Kritikpunkt dürfte die Vermietung von Ferienwohnungen im Neubau bleiben. Da sie als solche gebaut wurden, fallen sie nicht unter das Zweckentfremdungsverbot. (wera)

Welche?

Der Bäcker nutzte Kellerräume, die er nicht gemietet hatte. Die Lieferanten der Bäckerei haben Fliesen zerbrochen. Verschiedene Dinge liefen nicht gut. Wir wollten nicht einfach Geld rausholen aus dem Laden und auch nie eine Sushi-Bar dort einrichten, wir wollten einfach eine andere Bäckerei.

Jetzt darf die Bäckerei Filou doch bleiben. Warum haben Sie es sich anders überlegt?

Wir waren eigentlich sehr sicher, dass wir der Bäckerei kündigen werden. Dann haben wir uns letzte Woche mit den Filou-Betreibern im Büro des Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele getroffen, ein beeindruckender Mann, er hat das Treffen moderiert. Wir unterhielten uns, sagten den Bäckerei-Betreibern, dass wir sehr unglücklich waren über die rassistischen, homophoben, gewalttätigen Attacken. Sie erklärten, dass sie damit nichts zu tun hatten und das auch nicht wollten. Ich habe ihnen geglaubt, sie sind nicht diese Art Leute. Trotzdem wollte ich den Vertrag nicht erneuern. Als ich dann ging, hat mir die Tochter des Bäckers die Hand geschüttelt. Sie hat mich nur eine Sekunde angeschaut, aber ihre Augen sagten mir: Helfen Sie meinem Vater. Wissen Sie, ich habe selbst eine Familie.

In diesem Moment haben Sie sich umentschieden?

Ich bin mit meinem Partner über die Straße, wir haben noch ein Bier getrunken. Und wir sagten uns: Wir haben einen großen Fehler gemacht. Wir schrieben sofort eine Mail an die Bäckerfamilie und baten um ein neues Treffen. Das war dann sehr emotional. Beide Seiten haben Fehler gemacht, aber wir den Größeren.

Beim benachbarten Café Vertikal, das auch zu Ihrem Gebäude gehört, wurden Anfang März die Scheiben eingeschlagen. Hat das Ihre Entscheidung mit beeinflusst?

Nein. Wissen Sie: Wir Briten sind seltsame Leute. Wenn man uns angreift, geben wir nicht nach. Wir sind stur. Das hört sich komisch an, aber so ist es. Wir werden wohl auch noch mehr Ärger haben, diese Leute sind ja weiter da.

Es gibt außerdem Kritik im Kiez, weil Sie in dem Neubau Appartements an Touristen vermieten. Werden Sie daran festhalten?

Dieser Neubau wurde für uns deutlich teurer als gedacht. Die Preise für den Bau stiegen, uns ging das Geld aus, wir mussten uns in London einen Kredit geben lassen. Wegen des Brexits änderte sich der Wechselkurs, es wurde noch teurer. Aber wenn man so ein Projekt einmal angefangen hat, kann man es nicht mehr stoppen. Mit normalen Mietwohnungen bekämen wir die Kosten nicht rein. Wenn wir hohe Mieten verlangen würden, wirkt sich das auf den Mietspiegel aus, das ist auch nicht gut. Ich wünschte, wir hätten dieses Haus nie gebaut.

Wegen der Proteste?

Nein, weil es so hohe Kosten verursacht hat.

(Das Interview wurde auf Englisch geführt)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Holla! Das ist ja mal eine gute Nachricht, die nicht selten zu vernehmen ist. Wenn es nicht das Bauernopfer des Briten ist, um einen freundlich gesinnten Eindruck zu erwecken, da sind ja noch die Ferienwohnungen ...)!

     

    Und jetze hoffen wir das Kisch in der Oranie bleiben kann!

    Will ja keiner, dass dem Optiker andauernd die Scheiben beschlagen.