: Tod im Tunnel: Verfahren eingestellt
JUSTIZ Sicherheitspersonal musste sich für den Tod eines Mannes im U-Bahn-Tunnel verantworten
Fahrlässige Tötung lautete die Anklage – am Ende wurde das Verfahren gegen drei Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes im Auftrag der BVG eingestellt. Lediglich eine geringe Geldstrafe müssen die Angeklagten zahlen. „Eher unüblich“ sei das, räumte der Richter bei der abschließenden Urteilsverkündung am Mittwoch vor dem Amtsgericht Tiergarten ein. Was war geschehen?
An einem Abend im April 2008 läuft ein Mann am Bahnhof Nauener Platz in den Tunnel der U-Bahn, offenbar folgt er seinem Hund. Zwei Zeuginnen informieren den Sicherheitsdienst der BVG; die Männer stehen zu viert im ersten Wagen der kurz darauf einfahrenden U-Bahn. Ein Uniformierter steckt den Kopf aus der Tür hinter der Fahrerkabine, sieht nichts in dem dunklen Tunnel und sagt: „Da ist nichts.“ Die Bahn fährt los – wenige Augenblicke später ist der Mann im Tunnel tot.
Der Wachdienstmitarbeiter, der nichts sah und nichts tat, wurde 2010 wegen fahrlässiger Tötung durch unterlassene Hilfeleistung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Im Februar rollte die Staatsanwaltschaft das Verfahren neu auf: denn auch die anderen drei Mitarbeiter der Sicherheitsfirma hätten ja die Notbremse ziehen oder den Zugführer informieren können.
Dass die Wachleute die Situation falsch einschätzten, ist wohl auch das Resultat einer mangelhaften Ausbildung durch die BVG. Gerade mal eine Woche dauere der Lehrgang „Dienstvorschriften U-Bahn“, sagte Zeuge Uwe G., damals der Vorgesetzte der vier Wachdienstler bei der privaten Sicherheitsfirma. Auch die Situation „Person im Gleisbett“ werde thematisiert.
Was jedoch ungeklärt blieb: Was der Wachdienst nun eigentlich zu tun gehabt hätte bei „Person im Gleisbett“. Bei Mitarbeitern der BVG sei das zwar klar, sagte Martin R., 2008 Betriebsleiter der Berliner U-Bahn: „Leitstelle informieren, Strom abstellen, Tunnellicht anschalten, Gleisgänge abschreiten.“ Aber die Sicherheitsfirma habe eben nur nach Dienstanweisungen „auf Basis“ der BVG-Richtlinien gearbeitet. Steht da, dass man die Notbremse ziehen und dem Zugführer Bescheid sagen muss?
Nicht direkt, sagte der verurteilte Wachdienstmitarbeiter, der als Zeuge geladen war. Man solle der Leitstelle des Sicherheitsdienstes Bescheid sagen. Und bei Gefahrensituationen ansonsten nach eigenem Ermessen handeln, sagte Exbetriebsleiter Martin R.
Bevor zwei BVG-Ausbilder die Dienstvorschriften genauer beschreiben konnten, stellte der Richter gestern das Verfahren ein. Begründung: Die Hauptschuld treffe den Getöteten Klaus B. Der sei in einen Bereich vorgedrungen, in dem er nichts zu suchen gehabt hätte. Hinzu komme das Methadon, das der Exjunkie B. intus gehabt habe. Die Angeklagten treffe nur „die Mitschuld an einem Unfall“, sagte der Richter. Bliebe eine Frage: Hätten sie die Geistesgegenwart beweisen können, in der Gefahrensituation anders zu handeln? Vielleicht, wenn sie es denn gelernt hätten. ANNA KLÖPPER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen