Die Blicke haben sich verändert

Alltagsrassismus Den Anschlag am Pariser Stade de France hat Abderrahman Baack selbst miterlebt. Und nun, mit der wachsenden Angst vor Terror, begegnet er immer öfter offenem Rassismus. Mit Fotografien kämpft der Neunzehnjährige für neue Perspektiven

Abderrahman Baack wird in seinem Alltag immer häufiger angepöbelt Foto: Joanna Kosowska

von Marc Feuser

Mit einem Blick fing es an. Abderrahman Baack steigt am Richard-Wagner-Platz in die U7 – von der Arbeit nach Hause, wie fast jeden Tag. Abdu, wie Freunde ihn nennen – schwarze, lockige Haare, Brille, dunkle Haut – liest ein Buch. Aber heute ist etwas anders. Ein älterer Mensch schaut ihn penetrant an. Plötzlich raunzt ihn der Unbekannte an: das N-Wort fällt, es folgen üble, rassistische Sprüche. „Ich war total geschockt“, sagt Baack betroffen.

Nach außen ignoriert Baack den Vorfall oder tut zumindest so. Wieder einmal. Dass er begafft wird, kennt er schon seit seiner Kindheit. In der Grundschule wird er sogar in die Klasse mit Deutsch als Fremdsprache gesteckt. Darüber konnte er damals nur schmunzeln: „Als gebürtiger Berliner war ich der Klassenbeste.“

Doch jetzt, 2017 – nach Terroranschlägen in Europa, offenem Racial Profiling in Deutschland und dem Muslim Ban in den USA – steckt er die musternden Blicke nicht mehr so leicht weg. Denn es bleibt nicht dabei. Nun spürt der Neunzehnjährige die Bürde seiner Hautfarbe, wenn Mitmenschen lautstark auf ihn reagieren.

„Das Misstrauen und die ersten Pöbeleien mir gegenüber kamen vor ungefähr zwei Jahren, nach den Anschlägen auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Meistens passiert es, wenn ich alleine unterwegs bin oder in einer Gruppe mit schwarzen Freund*innen.“

Baack glaubt, dass viele Menschen schlicht Angst hätten: Angst vor dem Fremden, vor Gefahren, vor Terror. Dabei ist er es selbst, der diese Angst schon einmal ganz konkret gespürt hat. Am 13. November 2015 ist Baack im Pariser Stade de France – jenem Fußballstadion, vor dem sich IS-Attentäter in die Luft sprengen. Er sieht sich das Freundschaftsspiel Frankreich gegen Deutschland an, als es plötzlich knallt. Und noch mal knallt. Und noch einmal.

„Ich hab auf Twitter nach #Paris geguckt. Dann war relativ schnell klar, dass da was hochgegangen ist.“ Baacks Stimme zittert, wenn er vom Moment des Anschlags spricht. „Ich hatte das Gefühl, alles wird gerade angegriffen und egal, was ich jetzt mache: Ich bin sowieso nicht sicher.“

Doch statt in Panik auszubrechen, packt Baack seine Kamera aus und fängt an zu fotografieren. Menschen, die weinen. Menschen, die cool bleiben und einfach nach Hause fahren. Polizist*innen mit Maschinengewehren. „Gesellschaftliche Ohnmacht“, wie Baack die Fotoreihe auf seinem Blog später nennen wird. Warum er die Kamera rausgeholt habe, wisse er nicht mehr so genau. Obwohl die Situation sehr chaotisch war, strahlen die Bilder für ihn Ruhe aus: „Das war einfach eine eigenartige Situation. Das Stadion mit 70.000 Fans, jeder misstraut jedem, aber alle halten zusammen.“

Zurück im Flugzeug nach Berlin atmet Baack durch. Das Erlebte geht nicht spurlos an ihm vorbei: „Kurz nach den Anschlägen war ich total paranoid. Auch ich habe erst mal alle Menschen komisch angeguckt, jeder war irgendwie verdächtig.“ Am Flughafen werden alle Pässe kontrolliert. Es gelten verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. „Beim Blick auf meinen Namen wurde ich rausgefischt.“

Baacks Handgepäck wird kontrolliert, sein Name mit Terrorlisten abgeglichen. „Ich war der Einzige – meine weißen Freunde konnten den Flughafen ohne größere Kontrollen verlassen.“ Eine Situation, die Baack zunächst noch als Einzelfall abtut.

Doch es häufen sich die Situationen, in denen er plötzlich das Gefühl hat, im Fadenkreuz zu stehen. Wenn er jetzt in der U-Bahn sitzt, denkt er nicht mehr daran, dass auch eine überfüllte U7 ein Anschlagsziel sein könnte. Er denkt an Blicke, Pöbeleien, Kontrollen.

Kein Einzelfall

Dutzende schwarze Menschen haben sich seit Jahresbeginn bei der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland gemeldet, sagt ihr Sprecher Tahir Della: „In der Community schwarzer Menschen wächst gerade das Bewusstsein, dass Rassismus keine individuelle Erfahrung ist. Die Klagen gegen rassistische Maßnahmen der Polizei werden beispielsweise mehr – und sind auch meistens erfolgreich.“

Die Berliner Polizei will das nicht bestätigen, statistische Daten lägen nicht vor. Gleichwohl: „Um eine Diskriminierung auch im Einzelfall zu verhindern, werden zum Beispiel Trainingseinheiten zum Thema Diversity umgesetzt“, teilt Polizeisprecher Thomas Neuendorf mit.

Abderrahman Baack wurde vor 19 Jahren im Süden von Neukölln geboren und fotografiert seit einigen Jahren. Dabei übersetzt er häufig gesellschaftliche Diskurse in Bilder. Die Fotos vom Tag des Anschlags in Paris und dem Besuch ein Jahr später sind auf Abderrahmans Blog jungerneukoellner.de zu sehen. Dort gibt es auch Fotos von Demonstrationen, auf denen Baack unterwegs ist, um dort nach Geschichten zu suchen. Auch dort sei er schon verbal rassistisch angegriffen worden. Handlungstipps für Zeugen solcher Situationen gibt’s unter anderem bei der Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“.

Kürzlich hat jedoch auch eine Arbeitsgruppe der UN angemahnt, dass strukturelle Diskriminierung nichtweißer Menschen in Deutschland stark ausgeprägt ist. Das Problem sei bekannt, es gelten die Zielvorgaben des Koalitionsvertrages, kommentiert Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Da institutioneller Rassismus nicht akzeptabel sei, erarbeite man eine „Diversity-Gesamtstrategie für die Verwaltung, die verbindliche Ziele und Verfahrensschritte für diese festschreibt“.

Für Baack ist das nur ein kleiner Trost. „Es nervt mich, wenn ich gefragt werde, ob ich überhaupt einen deutschen Pass hätte. Das impliziert ja: Weil ich schwarz bin und Abderrahman heiße, kann ich nicht in Deutschland geboren sein.“ Rassistische Ausfälle kämen meist von älteren Menschen. Ein bestimmtes Muster gibt es dabei nicht: „Manchmal reicht es, die Straße zu überqueren, es braucht keinen bestimmten Anlass.“ Meistens sei auch er derjenige, der eingreift, wenn er solche Vorfälle bei anderen mitbekommt. Und meistens wünscht auch er sich mehr Zivilcourage ihm gegenüber. Baacks Strategie gegen Rassismus: über Kunst Aufmerksamkeit erzeugen.

Genau ein Jahr nach den Anschlägen fährt Baack wieder nach Paris, die „Stadt der Liebe und der Angst“. Vor der Gedenktafel am Stade de France kommt er ins Grübeln: „Es ist für mich schwer zu begreifen, dass ich nicht einmal 200 Meter von einem Mord entfernt ein Fußballspiel angesehen haben soll. Ich fühle mich schlecht, dass ein anderer Mensch mit seinem Leben für meine Sicherheit bezahlen musste.“

Baack tut das, was er am besten kann: Er holt die Kamera raus und fotografiert – wie schon unmittelbar nach dem Anschlag. Die Fotos helfen ihm dabei, seine Erlebnisse zu verarbeiten, sagt er. Ein kreativer Output des realen Terrors.

Zurück in Berlin, zurück in der U-Bahn, Baack steht an der Tür. Nächste Station muss er raus. Den Mann, der ihn wegen seiner Hautfarbe angegriffen hat, habe er fast schon wieder vergessen, sagt er. Aber er sagt auch: „Hass wird immer akzeptierter und alltäglicher in der Gesellschaft – und für mich persönlich.“ Er verurteile andere nicht für ihre Angst, aber es sei „traurig genug, dass ich klarstellen muss, dass nicht alle arabisch aussehenden Leute Terroristen sind“.