Revival von „Radio 100“: Selbstgemachte Subkultur
Ein ehemaliger linker Sender aus West-Berlin macht Klassentreffen. Unsere Autorin war in den Neunzigern dabei und erinnert sich.
Nach 30 Jahren feiert der alternative Berliner Sender „Radio 100“ am 3. und 4. März ein Revival. Zwei Tage lang. Warum? Wegen „ein bisschen Unsterblichkeit“. Zwischen 1987 und 1991 sendete Radio 100 auf einer UKW-Frequenz.
Die Sendungen hatten Namen wie Eldoradio, Dissonanzen, Audionauten und viele andere, die auf Welten und Parallelwelten deuteten – und zumeist von RadiomacherInnen bestückt wurden, die keinen Pfennig dafür bekamen. Radio 100 war ein sehr freies, Freies Radio. Manche sagen: das Beste. Am Ende ging es mit lautem Knall in die Insolvenz.
Offenbar bin ich derzeit die einzige tazlerin, die bei Radio 100 war. Ich hatte die Anfänge des Radios nicht mitbekommen, lebte da in London. Umso mehr das Ende. Irgendwann 1990 stieß ich zur Redaktion der Dissonanzen – eine experimentelle, subkulturelle, sonstwie-elle Frauensendung. Da alles learning by doing war, leitete ich schon bald die Dienstagssendung der Dissos, die „strange ladies“ hieß.
Fast jede Woche machte ich eine einstündige Sendung, recherchierte, interviewte, schrieb Moderationen, schnitt Beiträge – es war Magnetbandzeit. Zeit für Animositäten war nicht, zu viel war zu tun, damit das Programm lief. Moderiert habe ich nie, am Mikrophon bekomme ich Herzklopfen, das hatte ich schon, weil ich mich unsterblich in eine Kollegin verliebte.
Zwei pralle Ordner Skripte habe ich noch: Sendungen über Diamanda Galas und die Aids-Krise, über die Tänzerin Anne Teresa De Keersmaeker, die experimentelle Filmemacherin Maya Deren, die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi, Interviews mit Feminismustheoretikerinnen, Sendungen über Musikerinnen, Designerinnen, exzentrischen Literatinnen. Diese Sendungen sind so etwas wie der Mutterboden, auf dem mein Kulturverständis wuchs.
Und dann war Schluss: Am Abends des 28. Februar 1991 trafen sich die Dissos bei einer, um Geburtstag zu feiern. Da platze die Meldung in die Runde: Radio 100 ist zu.
Leser*innenkommentare
Philippe Ressing
Das Berliner Projekt Radio 100 war von Anfang an in der damaligen linksgrünen Szene umstritten - und das nicht nur in West-Berlin. Alternatives Radio als kommerzielles Unternehmen - das konnte nicht gut gehen. Freie Radios waren was anderes und so war es nur folgerichtig, dass der einstige Medienreferent der Grünen im Bundestag als Chef von Radio 100 vom Paulus zum Saulus wurde und aus dem Sender einen knallharte Kommerzkanal machte - ohne Erfolg. Ein Lehrstück.....