Organe züchten mit Bioprinting: Der Gärtner
Die Zellen, aus denen Haut oder Knorpel werden können, kommen aus dem 3-D-Drucker. Biotechnologe Lutz Kloke baute seinen ersten im Wohnzimmer.
Man könnte den Biotechnologen mit einem Gärtner vergleichen: denn auch er züchtet und lässt wachsen. Mit dem Druck einzelner Organzellen schafft er nur die Grundlage, sät die Körner. Danach soll das Organ alleine wachsen. Kloke hat seine dunklen Haare zu einem Knoten gebundenen, wenn er im Labor steht, trägt einen weißen Kittel und blaue Handschuhe aus Latex.
In seinem Labor quietscht das Linoleum unter den Schuhsohlen und es riecht nach Krankenhaus. An den Wänden im Flur hängen farbige Poster mit den Forschungsergebnissen von Kloke und seinen Kollegen. „Genlabor S1“ steht auf dem Schild neben der Tür. Weiße Maschinen, die surren, Reagenzgläser, die ruckeln, bunte Flaschen mit Warnhinweisen. Aus dem Radio auf der Fensterbank tönt klassische Musik.
Wissenschaftler
Sein Unternehmen Cellbricks ist noch jung. Vor fast zwei Jahren hat er das Start-up auf dem Campus der Technischen Universität Berlin gegründet – direkt nach seiner Promotion. Hier auf dem ehemaligen AEG-Fabrikgelände im Stadtteil Wedding arbeitet er auch heute noch. Zukunftsforschung in alter Umgebung: Im Kopfsteinpflaster auf dem Gelände liegen noch immer die Eisenbahnschienen für die Schwerindustrie.
Im Bioprinting, dem 3-D-Druck von organischem Material, steckt neben langjähriger Forschung viel Hoffnung. Auf Organe aus dem 3-D-Drucker hoffen auch Tausende Menschen, die auf einer Spenderliste stehen. Doch so weit ist Lutz Kloke noch nicht. Im Moment entstehen lediglich kleine funktionale Gewebe, mit denen Arzneimittel getestet und so Tierversuche ersetzt werden sollen. Das Herstellen von menschlichem Gewebe mit Bioprinting ist weltweit noch nicht vielen gelungen.
Als nächstes sollen autologe Gewebetransplantate wie Knorpel oder Knochen folgen. Autolog bedeutet, dass der Organspender auch Empfänger ist: Das Gewebe entsteht aus den eigenen Zellen. Erst auf der letzten Stufe dieses noch langen Forschungsprozesses steht das komplette funktionale Organ. „Ich drucke keine ganze Leber – ich drucke Zellen in eine dreidimensionale Form, damit sie wie eine Leber arbeiten können“, sagt Kloke. Optisch ist das von einer menschlichen Leber noch weit entfernt, aber der Anfang ist gemacht.
Bereits für seine Doktorarbeit baute Kloke in seinem Wohnzimmer Bioprinter aus alten Tintenstrahldruckern. Seine Drucker werden immer besser und aus der Doktorarbeit entwickelt sich eine Geschäftsidee. Noch während der Promotion holt Kloke am Wochenende einen Master in BWL nach, um seine eigene Firma zu gründen. Im Nachhinein wundere er sich selbst manchmal, wie er das geschafft hat. „Das ist zwar viel und anstrengend, aber wenn man das wirklich spannend findet, dann ist das keine Arbeit. Dann trägt einen das“, sagt er.
Tobias Grix, einer der Forscher aus Lutz Klokes Team, bereitet den Druck vor. Er zieht seinen Kittel an, streift sich ein Paar Latexhandschuhe über und sprüht sie anschließend mit Desinfektionsmittel ein. Alles hier ist steril. Am Laptop wählt er mit einer Software das gewünschte Druckmodell aus. In einem großen verglasten Kasten, der ein Geräusch macht wie eine Dunstabzugshaube, steht ein weiterer schwarzer Kasten mit zwei schmalen Metallschienen und einem Druckkopf: der 3-D-Drucker. Fast erkennt man ihn gar nicht, so schlicht sieht er aus. Auf den Schienen stehen drei Petrischalen. In einer von ihnen ist die sogenannte „Bioink“, die Biotinte. Jetzt beginnt der Druck: Der Druckkopf fährt in die Tinte und türmt aus der anfangs noch flüssigen Biotinte nach und nach eine dreidimensionale Form. Je nachdem, welchen Zelltyp er der Biotinte beimischt, wachsen beispielsweise Plazenta- oder Hautgewebe. Dieses Mal ist es ein Testdruck ohne organische Zellen. Viel erkennt man nicht, außer einem kleinen Licht. Nach ungefähr einer Minute nimmt Grix den Träger mit dem gedruckten Material heraus: Ein weiches, farbloses Gebilde, etwa einen Millimeter hoch, aus drei Kreisen ist entstanden. Streicht man mit dem Finger darüber, kitzeln kleine Noppen unter der Fingerkuppe. Es ist weich wie Fruchtgummi.
Der 3-D-Drucker von Klokes Team ist einzigartig. Anders als andere Bioprinter arbeitet er nicht mit Spritzen, die ein zähflüssiges Material in mehreren Lagen in eine Form gießen, sondern mit Licht, das die Biotinte Schicht für Schicht aushärten lässt. Das möchte Kloke eigentlich gar nicht so genau erzählen. Der Wettbewerb ist hart. „Wir sind halt eine zartes Vier-Mann-Start-up und kein 3-D-Druck-Multi.“ Der größte Konkurrent Organovo ist ein börsennotiertes US-amerikanisches Unternehmen mit über hundert Angestellten, das fast zehn Jahre länger am Markt ist.
Optimist
Medizinethiker sprechen beim Bioprinting von Organen von einer eleganten Lösung, die aber wohl erst in 50 Jahren Früchte trägt. Kloke ist da optimistischer, glaubt an einen Durchbruch. Trotzdem ist er kein Träumer: „Das, was wir hier machen, sind kleine Schnipsel, keine Organe. Der Weg zu einem fertigen Organ ist weit und hart. Man kann nicht ein paar Millionen Jahre Evolution links überholen, nur weil man jetzt einen Drucker hat.“
Eine Tür weiter fällt der Strom aus. Gewusel im Labor. Kloke merkt, er steht im Weg. Lieber zurück zum Büro. Auf dem Weg dahin bleibt er im Treppenhaus am Fenster stehen. Die blasse Wintersonne ist schon fast hinter den Fabrikhäusern verschwunden; am Horizont flimmert silbrig die Kugel des Fernsehturms.
Kloke ist fasziniert von dem alten Industriekomplex. Und unter der Erde liege der Tunnel der ersten unterirdischen Bahn Berlins. „Ich habe schon versucht, die zu bequatschen, damit ich den mal besichtigen kann“, sagt er und schaut hinunter in den Hof. Er wartet nur darauf, den Schutzhelm aufzuziehen und in den Gang hinabzusteigen. Und so wie er davon erzählt, möchte man sofort mitkommen. Kloke ist ein Entdecker und interessiert sich für das, was um ihn herum passiert, bohrt sich tief in Themen hinein. Das Attribut „Nerd“ versteht er als Kompliment.
Unternehmer
Mit dem Klischee eines studentischen Start-up-Gründers aus Berlin-Mitte hat Lutz Kloke nicht viel gemein. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf nahe Paderborn, Pharmaziestudium in Halle an der Saale, danach zurück in die Heimat in die Apotheke seiner Mutter. Doch die sichere Anstellung gibt er nach kurzer Zeit auf. Er möchte mehr erreichen und geht zum Forschen nach Berlin. Die erste Doktorarbeit in der Rheumaforschung bricht er ab, dann wechselt er zum Bioprinting. Kein gewöhnlicher Schritt: Ein Pharmazeut verirrt sich selten in einen anderen Fachbereich.
Doch Kloke traut seinem Bauchgefühl. Dann, als die Förderung für das Unternehmen schon steht, steigen seine zwei Mitgründer aus, weil sie Eltern wurden. Wieder muss Kloke die Förderstelle überzeugen. Wieder ein Team aufstellen. „Das waren harte Telefonate“, erinnert sich Kloke und presst die flachen Hände gegen die Schläfen. Die letzten anderthalb Jahre haben ihn geprägt. Erst die Firmengründung, dann die Geburt seiner Tochter. Zu seinem Hobby, dem Klettern, kommt er nur noch selten. Auch seine Eltern besucht er nicht so oft, wie er es gerne hätte.
Als CEO bezeichnet sich Kloke nur ungern. „Nach diesem Titel habe ich nie gestrebt“, sagt er. Er sei kein Mark Zuckerberg, sondern sehe sich als Wissenschaftler und als Gründer und seine drei Kollegen als Team. Die Rolle des Unternehmers hat er trotzdem angenommen. Denn die 600.000 Euro Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums sind bald verbraucht. Das kleine Unternehmen muss sich vergrößern, etablieren, von der „jungen Spinnertruppe“ zu einem seriösen Unternehmen wachsen. Dafür müssen Investoren her – die sind bei den langen Entwicklungsphasen und dem hohen Risiko von Start-ups in der Biotechnologie allerdings nicht leicht zu finden. Bis jetzt sind es vor allem andere Forscher, die Klokes 3-D-Organe nachfragen. Aber er versucht, auch Kunden aus der Industrie zu überzeugen.
Hätte der Tag mehr Stunden, Lutz Kloke würde noch viel mehr versuchen, noch viel mehr drucken. Er weiß, er hat die richtige Idee und den passenden Plan. Doch bis er das pumpende Herz in seinen Händen hält, muss er noch viele Körner säen.
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