Zweifel an Eisbären-Haltung: „Leiden sind nicht tolerierbar“
Der Schweizer Tierschutzprofessor Hanno Würbel hält wenig vom Eisbären-Boom in deutschen Zoos: Deren Umgebung befriedigt Bedürfnisse der Raubtiere nicht
taz: Herr Würbel, Eisbären als Zootiere scheinen gerade einen neuen Popularitätsschub zu bekommen. Berlin feiert sein Eisbären-Junges, Hannover leiert eine Nachzucht an, und selbst Bremerhaven lockt das zweite Jahr in Folge mit einem Eisbären-Baby BesucherInnen. Was halten Sie davon?
Hanno Würbel: Es überrascht mich ein bisschen, wenn man sich vor Augen hält, wie problematisch die Zucht und Haltung von Eisbären in Zoos ist.
Warum ist die problematisch?
Dass es problematisch ist, können wir an den Verhaltensauffälligkeiten ablesen, die Eisbären in Gefangenschaft entwickeln: Sie neigen zu Stereotypien, das ist ein klarer Hinweis darauf, dass wichtige Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Warum sie es tun, wissen wir nicht in allen Details. Es spielt allerdings sicher eine Rolle, dass Eisbären große Ansprüche an das räumliche Habitat stellen, in dem sie leben.
53, ist seit 2011 Professor für Tierschutz an der Uni Bern. Für seine Forschungen zu Ansprüchen von Tieren an Umwelt und Haltungsbedingungen und deren Auswirkungen aufs Tierwohl erhielt er u. a. den ERC-Grant des europäischen Forschungsrates 2012.
Aber die leben doch in kargen Regionen.
Ja, aber auf großen Flächen: Die Gehege, die wir ihnen anbieten können, sind um ein Tausend- oder eher Millionenfaches kleiner als die Lebensräume, die sie bewohnen und besiedeln. Und an die ist nun einmal ihre Lebensweise angepasst. Sie sind Jäger, sie müssen große Strecken zurücklegen, um sich zu ernähren. All diese Dinge lassen sich in Gefangenschaft nicht leicht nachstellen oder simulieren. Dadurch scheint es zu diesen Problemen zu kommen.
Die müssen aber doch diese gewaltigen Strecken nur zurücklegen, weil sie im Nahbereich zu wenig Nahrung vorfinden – und nur dann?
Das ist sicher eine Streitfrage. Die Tiere, die in kargen Gegenden leben und viel Aufwand betreiben müssen, um sich zu ernähren, wären vielleicht froh, wenn man ihnen das Futter vor die Füße legen würde. Das könnte man meinen.
Aber?
In der Realität zeigt sich: Weil diese Tiere angepasst sind, an ein solches anforderungsreiches Leben, bringen sie sozusagen entsprechende Erwartungshaltungen mit. Die äußern sich auch in ihrem Verhalten. Deswegen werden viele Tiere, besonders auch Raubtiere, unruhig, zeigen Hyperaktivität, wenn sie gefüttert werden – und ihr angepasstes, angeborenes Verhalten nicht ausleben können. Das sehen wir auch bei ganz anderen Tieren: Schweine zum Beispiel. Wenn Sie Schweine durch einen Futterbrei füttern, den sie in kürzester Zeit verschlungen haben, werden Sie erleben, dass die Tiere im Anschluss daran ein ausgiebiges Explorationsverhalten zeigen, das eigentlich zum Kontext der Nahrungssuche gehören würde.
Warum?
Das Bedürfnis, dieses Verhalten zu zeigen, war in der Natur so überlebenswichtig, dass es nicht einfach verschwindet, weil man das Futter verfügbar macht.
Dass sich die Eisbärenhaltung in den Zoos deutlich verbessert hat, reicht also nicht aus?
Ich bin skeptisch, kann das aber nicht beurteilen: Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass eine artgerechte Haltung jedes Tieres möglich sein müsste. Voraussetzung dafür ist aber, dass man die Bedürfnisse der Tiere kennt – und dann auch berücksichtigt. Bei Eisbären ist das Problem, dass wir deren Bedürfnisse noch nicht umfassend genug kennen. Das kann dazu führen, dass man möglicherweise fatale Fehler macht. Dazu gehört neben der Frage des räumlichen Habitats ganz sicher die Aufzucht, wenn die Mütter die Jungtiere nicht annehmen und dann eine Aufzucht mit der Flasche erfolgt und eine natürliche Sozialisation nicht möglich ist.
Die Zoos behaupten, es ginge ihnen um die Arterhaltung. Was halten Sie davon?
Daran, dass man mithilfe der Zoobestände die natürliche Population supplementieren könnte, habe ich große Zweifel, auf jeden Fall, was Eisbären betrifft. Ein anderes Argument ist, dass man mit der Präsentation dieser Tiere aufmerksam machen kann auf die Problematik der schrumpfenden Lebensräume. Allerdings frage ich mich, ob es dazu wirklich eine Haltung von Tieren braucht; zumindest müsste diese dann wenigstens den Tieren gerecht werden. Verhaltensstörungen oder haltungsbedingte Schmerzen und Leiden sind dann nicht tolerierbar.
In der Schweiz gibt es keine Eisbärenhaltung mehr in den Zoos – allerdings aus ökonomischen Gründen?
Manchmal werden solche Entscheidungen im Nachhinein auch schöngeredet. Ich weiß nicht genau, was seinerzeit in Zürich letztlich den Ausschlag gab: Die Tiere lebten dort aber in sehr beengten Verhältnissen und hatten auffällige Stereotypien gezeigt. Ob man tatsächlich zur Überzeugung gekommen war, eine Eisbärenhaltung in Gefangenschaft sei nicht möglich, weiß ich nicht – vielleicht konnte oder wollte man sich einfach kein größeres Gehege leisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene