Neues Album der Band Dirty Projectors: Die Loopings des Lovelife
Das neue Album der New Yorker Band „Dirty Projectors“ ist nicht weniger als ein Meisterwerk. Es lädt zum Mitsingen und Mittanzen ein.
Liebe sei wie „eine Kunst des Lebens über dem Abgrund“, lautet ein Aphorismus, der an einer Stelle in Roland Barthes’ Glossar „Fragmente einer Sprache der Liebe“ auftaucht. Dessen englischer Titel lautet „A Lover’s Discourse“. Und das selbstbetitelte neue Album der Dirty Projectors, deren Mastermind und einziges ständiges Mitglied Dave Longstreth ist, riskiert auch einen grandiosen „Lover’s Discourse“.
„Dirty Projectors“ umfasst neun Songs, die das Thema Liebe tänzelnd bewältigen, wie ein flacher Stein, der, wirft man ihn möglichst waagrecht, über die Wasseroberfläche weiterspringt, bis er schließlich in den Fluten versinkt. Die Kunst des Lebens über dem Abgrund: In den Songs von Dave Longstreth fühlt sich Liebe oft beseelt an, aber auch bedroht, anbetungswürdig, durchgeknallt, traurig, komisch, ernüchternd, wild entschlossen und unsterblich; mithin, so wenig rational wie die Liebe selbst.
Disparat hat sich der 35-Jährige als Liebender gefühlt, ähnlich hat er seine Stimme auch in den Songs inszeniert. Mal SloMo-artig zerdehnt, mal mit Autotune-Effekt verfremdet, mal trocken im Klang mikrofoniert, mal verweht in Hall.
Es war eine wichtige Erkenntnis für ihn, als er entdeckte, dass sich sein Gesang leise sehr wohl durchzusetzen vermag. „Mich interessiert die menschliche Stimme in all ihren Ausdrucksformen. Sie ist schließlich das Organ, das jeder von uns hat. Trotzdem bleibt sie unergründlich. An den Gesangsarrangements auf dem Album habe ich intensiv gearbeitet. Ich habe untersucht, was mit meiner Stimme geschieht, wenn sie im digitalen Raum landet. Auch, wie Gemütszustände das Singen beeinflussen.“
Zeugnis einer lebenslangen Passion
Im Interview erklärt Longstreth, man solle ihn sich beim Entstehungsprozess des Albums als „Amphibienfahrzeug“ vorstellen. „Zum Teil sind die Emotionen, die ich damit zum Ausdruck bringe, widersprüchlich.“ Schleichend passte er sich an neue Umstände an. Während er die verschiedenen Phasen einer Liebe in Songform durchmessen hat, ging es ihm nicht bloß um die Verarbeitung von Herzschmerz.
„Dirty Projectors“ ist mehr als ein klassisches Break-up-Album. Lediglich einer der neun Songs – „Little Bubble“ – ist balladesk arrangiert. „Zentral ist die Überlegung, was mit mir als Künstler passiert, wenn ich tun kann, was ich nun mal liebe: Songs komponieren.“ Die Liebe zur Musik: Longstreth’ neues Album ist auch Zeugnis einer lebenslangen Passion. In den Songs kommt ein Künstler-Ego zum Vorschein, das mehr sieht als nur sich selbst.
Der Song „Work Together“ ist ein Plädoyer für Kollaboration. Gemischt wurden die Songs in Miami von Longstreth und Jimmy Douglass, Produzent von Aretha Franklin und Donny Hathaway. Longstreth wird demütig, wenn er von Douglass spricht.
„Die Geschichte von US-Pop beruht auf der Geschichte der afroamerikanischen Musik. Schwarze Kultur war immer Dynamo für alles Neue; jede Erfindung im Pop hat ihr alles zu verdanken. Eine Entwicklung, die weit vor der modernen Zeitrechnung begonnen hat. Black Music ist enorm wichtig für mich als Musiker. Alles, was ich gelernt habe, habe ich von schwarzer Musik gelernt.“
Lotte und das Schwarzbrot
Im Auftaktsong „Keep your Name“ wird Liebe von den Zwängen losgekettet, dann verfängt sie sich in dem Song „Death Spiral“ in eine Schlaufe, flieht Hals über Kopf im Taxi. Später entbrennt sie in einer Art Wettstreit von Neuem, erzeugt Eifersucht, Rivalität, bis sie allmählich ausfadet wie eine zurückgefahrene Tonspur. Nach einem Glitzern am Himmel in dem famosen Zehnminüter „Ascent Through the Stars“, bei dem sich die Liebe in einem irrlichternden Call-and-Response-Schema verausgabt, wird es beim reggaeartigen „Cool your Heart“ versöhnlich.
Und doch steht am Ende „Love’s gonna rot“ – sie vermodert, bleibt als Erinnerung an ein Kunstwerk. „I believe that the Love we made is the Art“, heißt es im anspielungsreichen Finale „I see you“, Longstreth setzt darin eine Orgel als Signalinstrument ein, die an den Procol-Harum-Smash-Hit „A Whiter Shade of Pale“ erinnert, einen Song, den er vergöttert.
„Meine Songs sind kaleidoskopartig angelegt, sie wirbeln immer wieder Geschichte auf, zugleich sind sie fiktional. Die Ichs und Dus entsprechen nie realen Figuren, manchmal trägt ein Song Ich-Züge von mir aus der Vergangenheit und spricht mit einem Du, das meinem Ich von heute nahekommt. Manchmal verwende ich Floskeln, die ich aufgeschnappt habe.“
Der Song „Up in Hudson“ hält etwa den Moment fest, in dem sich jemand verknallt: „First time I ever saw your face / Was at the Bowery ballroom stage“. Ein bisschen wie Goethes Werther, der Lotte beim Schwarzbrotschneiden erblickt, aber mit mehr Groove und digitalem Herzschlag. Auf der Ebene der Arrangements macht es noch einmal bum: „Dirty Projectors“ ist eine musikalische Offenbarung, Blue-Eyed Soul fürs 21. Jahrhundert, wie er zwingender nicht klingen kann.
„Ich war unfähig, alleine Musik zu machen“
Die Einladung mitzusingen, zu jubilieren, die Arme in die Luft zu werfen, durchzuckt den Hörer in jeder Sekunde, selbst wenn es in düstere Gestade und negative Erfahrungsräume geht, man will dazu tanzen. „Es ist ein narratives Album und es soll auch am Dancefloor funktionieren. Das hat auch damit zu tun, wie ich meine Beats geschnitten habe, und zwar mit der Software ProTools.“
Bis diese „Labor of Love“ namens „Dirty Projectors“ fertiggestellt war, mussten vier Jahre vergehen: Vier Jahre, in denen Longstreth durch die Hölle gegangen ist. Als er 2013 am Ende der Tour zum vorangegangenen Dirty-Projectors-Album, „Swing Lo, Magellan“, auf der Bühne der New Yorker Carnegie Hall bei einem umjubelten Konzert stand, fühlte er sich ausgebrannt.
Dirty Projectors: „Dirty Projectors“ (Domino/Good To Go)
Er trennte sich von seiner Band, Musikerkollegen, denen er nahestand und bis heute freundschaftlich verbunden bleibt, und ging nach einem Intermezzo in Upstate New York nach L. A. „Ich war ausgelaugt, konnte nicht mehr texten, hatte vergessen, wie man simple Melodien baut. Ich war unfähig, alleine Musik zu machen.“
Auf die Beine geholfen haben Longstreth Auftragsarbeiten für Künstlerkollegen. Durch Arrangements, zuletzt etwa für das Album von Solange Knowles, hat er allmählich wieder Zuversicht bekommen, überwand auch seine eigene Blockade.
Eine frohe Botschaft – die einzige mögliche zur Zeit
Solange Knowles hat sich für „Dirty Projectors“ wiederum als Co-Komponistin von „Cool your Heart“ für Longstreth’ Mitarbeit an ihrem gefeiertem Werk revanchiert. „Das Angebot von Solange kam zur richtigen Zeit. Ich bin dankbar, dass ich Bass und Drums für sie arrangieren konnte. Ihr positives Feedback hat mir Selbstvertrauen gegeben, als ich das wirklich benötigte.“
Longstreth treibt wie die meisten US-Künstler derzeit aber auch anderes um, ein Befremden ob der eingeläuteten Ära Trump: „Ich habe ja lange Zeit an meinem Album gearbeitet, und es liefert natürlich keine Antworten auf die amerikanischen Zustände der Gegenwart. Eine Sache liegt mir damit aber schon am Herzen: Auch wenn meine Musik ihre düsteren Momente hat, sie bestärkt. Auf einer größeren Ebene sagt sie Ja, wo zurzeit eher ein Nein an der Tagesordnung ist. Dirty Projectors sagen Ja und drücken damit Hoffnung aus. Eine frohe Botschaft, die einzig mögliche Botschaft für mich zu dieser Zeit.“
Erfüllung, Verschwendung, Einsamkeit: In die Arbeit an „Dirty Projectors“ ist Herzblut eingeflossen. Das brauchte es wohl, um den ganzen Knister-Knaster eines Lovelife in seiner 48-minütigen zigfachen Looping-Achterbahnfahrt anschaulich klingen zu lassen.
Aber die Mühen haben sich gelohnt, wir werden lange über dieses fantastische Album reden, dessen Songs mit leichter Hand komponiert wirken. Auch am Ende dieses Popjahres sagt die Musik von Dave Longstreth: Schneidet euch wie einst die Haarlocken ab und eignet sie euch in Freundschaft zu.
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