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Stefan Reinecke über Martin Schulz und die Agenda 2010Jetzt wird es knifflig

Der Honeymoon mit Martin Schulz ist vorbei: Die Begeisterung der Öffentlichkeit allein darüber, dass überhaupt jemand anderes als Angela Merkel im Kanzleramt vorstellbar ist, neigt sich dem Ende zu. Das war absehbar und ist nötig. Zur Probe wird die Agenda 2010, die für viele SPD-Anhänger eine nur schlecht vernarbte Wunde ist. Manche halten sie für einen Teil der rot-grünen Erfolgsgeschichte, andere für nur mühsam ertragenen Verrat an allem, für was die Partei mal stand.

Schulz will diese Wunde offenbar endgültig heilen. Das ist mutig – und auch nötig, wenn die SPD die Wahl gewinnen will. Die nicht ungeschickt gewählte Formel lautet, man habe Fehler gemacht, die nun korrigiert werden. Das schließt ebenfalls recht geschickt die aktuelle SPD-Politik mit Mindestlohn und Rente mit 63 ein, die de facto genau dies ist: Agenda-Korrekturen. Das sendet die Botschaft: Kein Bruch mit dem Gestern, aber in Zukunft machen wir es besser. Schulz’Problem ist nicht die Reaktion der Konservativen. Die leicht hysterische Anzeigenkampagne der Initiative Soziale Marktwirtschaft nutzt sogar eher der SPD. Auch Merkels Mahnung, die Agenda 2010 gusseisern zu schützen, ist nicht sonderlich überzeugend, zumal diese doch in ihrer Kanzlerschaft schon verändert wurde. Und dass der SPD-Kandidat ein paar Zahlen nicht korrekt wiedergegeben hat, ist sieben Monate vor der Wahl verzeihlich. Jedenfalls fern von Rudolf Scharpings Fauxpas 1994, der Brutto und Netto verwechselte, was seine Wahlchancen ruinierte.

Kniffliger ist die Frage, was Schulz genau ändern will. Um wie viel länger sollen ältere Arbeitnehmer Arbeitslosengeld beziehen? Oder wird die rigide Einschränkung der Leih- und Zeitarbeit der Schwerpunkt? Die SPD muss demnächst ein Konzept auf den Tisch legen, das fachlich korrekt ist und stimmig in den Details. Und es muss jene großen Hoffnungen auf mehr soziale Gerechtigkeit einlösen, die Martin Schulz so geschickt mobilisiert hat.

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