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Feste Strukturen helfen

TRAUMA Ein Handbuch des UN-Flüchtlingshilfswerks gibt Lehrern Hilfestellungen für den Umgang mit seelisch verletzten Kindern. Interviewte Jugendliche wollen kein Mitleid, sondern Mitgefühl

„Wichtig ist, dass die Lehrer einschätzen können, was mit dem Kind los ist“

Marie-Claire Sowinetz, UNHCR

„Nicht jedes Kind aus einem Kriegsgebiet muss traumatisiert sein“, sagt Marie-Claire Sowinetz vom österreichischen UN-Flüchtlingshilfswerk. Aber es helfe, wenn Lehrer das Verhalten von Kindern einschätzen lernen. Das von ihr mitverfasste Handbuch „Flucht und Trauma im Kontext Schule“ gibt dafür Hilfestellung.

Zum Beispiel wird beschrieben, was überhaupt ein Trauma ist, mit einfachen Skizzen und Erklärungen, die auch Kinder verstehen. Bei einer seelischen Verletzung kommt es zu einer Unterbrechung des Informationsflusses durch das Großhirn. Traumatische Erlebnisse können Veränderungen im Gehirn hinterlassen. Mit Hilfe tragfähiger Beziehungen und professioneller Begleitung könnten Betroffene jedoch gesunden. Lässt man Kinder allein, drohen Folgestörungen.

„Wichtig ist, dass die Lehrer einschätzen können, was mit dem Kind los ist“, sagt Sowinetz. Etwa wenn es aggressiv sei oder sich schwer konzentrieren könne. Oder was sie tun, wenn sich ein Kind unterm Tisch versteckt, nachdem eine Tür knallt, und es nicht ansprechbar ist. Die Lehrer sollten behutsam reagieren und im Blick haben, ob ein Kind Therapie braucht.

Traumatisiert werden Kinder nicht nur durch Krieg und Flucht, sondern auch durch die oft unsichere Situation im Asylland. „Allein, dass ein Kind zur Schule geht, ist ein riesiger Vorteil, weil das wieder Alltag und Struktur bedeutet“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin, die das Buch mit den Therapeutinnen Gabriele Siebert und Margit Pollheimer-Pühringer schrieb. Dafür haben die Autorinnen auch Interviews mit Jugendlichen geführt.

„Was für die Kinder wichtig ist, ist ein Lehrer, der immer für sie da ist“, sagt Sowinetz. „Sie möchten Mitgefühl, aber kein Mitleid, keine Sonderrolle einnehmen.“ Ein Lehrer sei kein Therapeut und müsse eine innere Distanz behalten.

Das 88-seitige Buch enthält praktische Anleitungen, etwa zur traumapädagogischen Gesprächsführung oder „Achtsamkeitsübungen“ für die ganze Klasse. „Nehmen Sie jeden Tag ein Stück Obst in den Unterricht mit. Schneiden Sie es in kleine Stücke und verteilen Sie es an die SchülerInnen“, heißt es dort. Die Schüler sollen das Obst berühren, dran riechen, schmecken und langsam kauen. Das dauert fünf Minuten. Ebenso: „Achtsames Gehen“.

Für drohende Krisen gibt es auch den „Notfallkoffer“ mit Sachen, die beruhigen. Das Buch wird gerade in Deutschland für eine eigene Fassung überarbeitet. Interessierte können es jetzt schon beim österreichischen UN-Flüchtlingshilfswerk als kostenlosen Download erhalten. Kaija Kutter

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