: Wettrüsten im Gehege
TEILUNG Jan Mohnhaupt erforscht in seinem Buch „Der Zoo der Anderen“ den Kalten Krieg um die Zoo-Vorherrschaft, den sich Zoodirektor Heinz-Georg Klös und Tierparkdirektor Heinrich Dathe lieferten
von Helmut Höge
Der Autor Jan Mohnhaupt hat oft über den West-Zoo und den Ost-Tierpark Artikel geschrieben. Jetzt hat er ein ganzes Buch über die Rolle der beiden Zoos im Kalten Krieg verfasst. Für mich ist das eine hervorragende Arbeit, zuvor hatte ich bereits den 1.000-seitigen Zoo-Roman „Abwesende Tiere“ von Martin Kluger mit Freude gelesen, der hier auch empfohlen sei. Sein Roman spielt auf viele Vorkommnisse im Westberliner Zoo an. In Jan Mohnhaupts Sachbuch haben wir es nun komplett mit Realgeschichte zu tun, obwohl er statt Quellenangaben nur pauschal am Ende die Literatur, die Interviewten und die Archive erwähnt. Ich war beim Lesen immer wieder baff: Wo er das bloß her hat? Denn er erzählt in seinem Buch auch ganz intime und böse Details aus dem Leben des Zoodirektors Heinz-Georg Klös und seines Konkurrenten aus dem Osten – des Tierparkdirektors Heinrich Dathe, daneben aber auch über einige Assistenten, Tierpfleger, Tierhändler und Tierfänger.
Die Tiere selbst kommen darin überwiegend nur als Objekte der Begierde dieser Herren und Damen – von den Damen wiederum kommt nur eine, Katharina Heinroth, vor, die 1945 von den Alliierten als erste Nachkriegs-Zoodirektorin eingesetzt und, nachdem sie aufgeräumt und die Leichen alle begraben hatte, von ihrem postfaschistischen Aufsichtsrat abgesetzt wurde, mit den Worten: „Der Aufsichtsrat kann den weiteren Ausbau nicht einer Frau zumuten. Wenn das schiefginge, müssten wir uns Vorwürfe machen, dass wir Sie damit ganz allein gelassen haben. Einem Mann kann man die Schuld eher in die Schuhe schieben.“
Auf Heinroth folgte der junge, dynamische Veterinär Klös in einem Amt, das laut Jan Mohnhaupt aus „Alphamännchen in einem streng hierarchischen System“ besteht, in dem die Inhaber „kaum Kritik vertragen“. Klös träumte „von einer Art Krupp-Dynastie im Zoo“, ganz so, wie es der letzte Nazi-Zoodirektor, Lutz Heck, zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder geschafft hatte. Sie fühlten sich für alle Zoobelange Deutschlands zuständig, im Sinne eines Generaldirektorats, wie es die DDR später für die verstaatlichten Zirkusse einrichtete. Heck musste 1945 vor der Roten Armee aus der Stadt fliehen, weil sie ihn wahrscheinlich wegen seiner in der Sowjetunion erbeuteten Zootiere erschossen hätten. Bei Dathe war es dann in Ostberlin so, dass er, auch ohne dynastische Absichten, der oberste DDR-Zoodirektor wurde, an dem die anderen kaum vorbeikamen, zumal die begrenzten Ressourcen an Devisen und Baumaterialien sowieso immer zuerst in der „Hauptstadt“ eingesetzt wurden.
Als der Ostberliner Tierpark 1955 eröffnet wurde und erst recht nach dem Mauerbau 1961 verlor der Westberliner Zoo ein Millionenpublikum. Nicht zuletzt, weil große Teile der Bevölkerung mithalfen, den Park aufzubauen und weil sehr viele Zoos im Ostblock Tiere spendeten; ebenso, weil der Magistrat großzügig Mittel für modernste Tierunterkünfte – wie die riesige „Alfred-Brehm-Halle“ – zur Verfügung stellte. Bald war der Tierpark mit 160 Hektar der größte der Welt, während der Zoologische Garten nur 34 Hektar umfasste (und bis heute umfasst) und sehr eng bebaut war, zudem mitten in der City gelegen ist, umgeben von Hochhäusern. Gleich nach dem Mauerfall hatten ihn zwar 800.000 Ostberliner besucht – erst mit Eisbär Knut ging es wieder aufwärts.
Da war Klös aber schon – wendebedingt – im Aufsichtsrat für beide Zoos und der Tierpark nur noch ein GmbH-Anhängsel der Westberliner Zoo-AG geworden, das man finanziell und ideell vernachlässigte. Ja, im ersten Überschwang verschleppte man sogar eine wertvolle Tiergruppe nach der anderen in den Westzoo. Das änderte sich erst, als der Zoologe Blaszkiewitz zunächst Direktor des Tierparks und dann auch des Zoos wurde, er meinte zu Recht, sich gestalterisch eher im weiträumigen Tierpark verwirklichen zu können.
Die Berliner Zoodirektoren waren durchweg manische Tiersammler, die unentwegt Geld auftrieben. Ein Zoo ist nie fertig, weil Moden und Mitgefühl immer Neues erzwingen. Wie Katharina Heinroth wurde auch Blaszkiewitz „unschön entlassen“. Nun ist wieder ein Veterinär Direktor der beiden Einrichtungen. Der Tierpark als GmbH innerhalb der Zoo-AG ist inzwischen „gelöscht“ worden, also wohl stillschweigend geschluckt worden; dort sind zunächst für 100 Millionen Euro „artgerechte“ Neubauten geplant.
Mohnhaupts Geschichte hört aber bereits mit dem stillen Schwinden von Heinz-Georg Klös auf, über den „die Zeit hinwegging“, während sein unterlegener Gegenspieler Heinrich Dathe bis heute im kollektiven Gedächtnis geblieben sei. „Was bleibt“, schreibt Mohnhaupt am Schluss, „ist die Erinnerung an eine Ära, als die Berliner Zoos noch politische Orte waren und der auf der jeweils gegenüberliegenden Seite nur der Zoo der Anderen war.“
Jan Mohnhaupt: „Der Zoo der Anderen: Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete“. Hanser Verlag München 2017, 304 S., 20 Euro, Lesungen: heute, 18.30 Uhr, Saal des Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, morgen, 22. 2. Buchhandlung Moby Dick, 20 Uhr, Stargarder Str. 67, 10437 Berlin
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