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Die WahrheitDie wandelnde Litfaßsäule

Kolumne
von Ralf Sotscheck

Die BBC-Radiosendung „Desert Island Discs“ feierte ihren 75. Geburtstag und lud sich als tätowierten Ehrengast David Beckham ein.

Z um 75. Geburtstag darf es etwas Besonderes sein. Die BBC-Radiosendung „Desert Island Discs“ feierte am Sonntag dieses Jubiläum. Es geht dabei um eine prominente Person, die sich vorstellen muss, auf einer einsamen Insel zu stranden. Das einzige erlaubte Gepäck sind acht Schallplatten und ein aufziehbares Grammofon. Heutzutage ist es wohl eher ein solarbetriebener CD-Spieler. Die Sendung hat jede Woche 2,8 Millionen Zuhörer.

Zu den langweiligsten Gästen des vergangenen Dreivierteljahrhunderts gehörten die Regierungschefs Tony Blair, Margaret Thatcher und John Major. Die peinlichsten Gäste waren Prinzessin Margaret, die sich „Rule Britannia“ und Marschmusik der Royal Highland Fusiliers wünschte, sowie die deutsche Sopransängerin Elisabeth Schwarzkopf, die sieben ihrer eigenen Schallplatten auswählte.

Die lustigste Panne war ein Interview mit dem schottischen Krimiautor Alistair MacLean. Erst im Laufe des Gesprächs merkte der damalige Moderator, dass er den falschen ­Alistair ­MacLean vor dem Mikrofon hatte – den Chef der Fremdenverkehrszentrale von Ontario.

Aber es gab auch Höhepunkte: Marlene Dietrich, George ­Clooney oder Alfred Hitchcock, der in der Sendung einen „milden Horrorfilm namens ‚­Psycho‘ “ ankündigte. Der Gast zum 75. Geburtstag war gestern ein Fußballer. David Beckham sei nicht mehr ganz so schlicht wie früher, meinte ein Manchester-United-Fan, und die Moderatorin Kirsty Young schwärmte, Beckham sei „das perfekte Geburtstagsgeschenk“. Mit seiner Ausstrahlung, seinem kulturellen Einfluss und seiner humanitären Arbeit sei er ein moderner Mann.

Beckham findet Bob Marley und Eminem gut, seine Lieblingsband ist U2. Gähn. „Musik ist ein großer Teil meines Lebens – und meiner Familie“, sagt er. Der andere Teil sind Tätowierungen. Beckham ist eine wandelnde Litfaßsäule, er hat mehr als dreißig Tattoos auf der Haut. Meistens haben sie irgend­etwas mit seiner Familie zu tun. So ließ er sich den Namen seiner Frau, des ehemaligen Spice Girls ­Victoria, auf Hindi stechen. Leider war der Tätowierer Engländer. Jetzt steht auf Hindi „­Vihctoria“ auf dem Arm.

Die Tätowiersucht liegt in der Familie. Beckham hat sich das gleiche Segelschiff stechen lassen, das auch die Brust seines Vaters ziert. „Ich habe es Papa gezeigt, und er war sehr stolz“, sagte Junior. Dessen eigener Sohn hingegen, der 16-jährige Brooklyn, hat sich einen Adler auf die Brust tätowieren lassen.

Victoria, die ihrem Mann gern Tätowiergutscheine zum Geburtstag schenkt, hat die Tintenphase offenbar überwunden. Sie hat sich ihre David-Tattoos wieder entfernen lassen, was Spekulationen über eine Ehekrise auslöste. Sie erklärte jedoch, sie wollte die Tattoos loswerden, um in der Modebranche ernst genommen zu werden. Dafür braucht es mehr als tatoo-freie Zonen, Gewürzmädchen!

Es ist irgendwie bedauerlich, dass „Desert Island Discs“ keine Realityshow ist. Beckham müsste sonst tagelang ohne Tätowierstudio auskommen.

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1 Kommentar

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  • Wäre "Desert Island Discs" keine Radiosendung, sondern ein Mensch, bräuchte sie wohl nicht großartig drüber nachzudenken, wie sie sich neu erfinden kann, um auch mit 75 Jahren noch up to date zu sein. Sie wüsste dann, dass sie a) nicht mehr wirklich konkurrieren könnte mit sehr viel Jüngeren, und zwar ganz unabhängig davon, was sie auch versucht, und b) dass sie nicht noch mal 75 Jahre durchhalten würde.

     

    Da die Sendung allerdings eine Institution ist und kein Mensch, tut es ihr jetzt vermutlich leid, dass Ralf Sotschek seine Super-Idee erst nach der Jubiläumsfeier hatte. Weil: Wäre ein geiles Geschenk der Sendungsmacher an sich selbst gewesen, hätten sie aus gegebenem Anlass verkünden können: "Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, wir präsentieren ihnen stolz unseren neuen Netzauftritt. Ab sofort können sie unter der Netzadresse (die dann natürlich folgen müsste), die besten Szenen aus dem Insel-Camp erleben. Nur bei uns kriegen Sie gezeigt, wie unsere Promi-Kandidaten mit der eigenen Auswahl zufrieden sind unter Ernstfall-Bedingungen. Mehr Service ist nirgendwo. Schalten Sie also unbedingt wieder ein!"

     

    Ich möchte wetten, das würde einschlagen wie eine Bombe. So etwas interessiert die meisten Leute brennend, schätze ich. Wahrscheinlich würde sogar ich mich einloggen, wenn David Beckham statt des Tätowierstudios seiner Wahl ein paar Wochen lang seine eigene Plattenauswahl konsumieren müsste.

     

    Noch neugieriger wäre ich nur darauf, denke ich, wie Prinzessin Margaret und die deutsche Sopransängerin Elisabeth Schwarzkopf mit ihrer Wahl zufrieden wären. Ich glaube, die übergroße Liebe der beiden Damen zu sich selbst würde recht zeitnah abkühlen, wenn sie tatsächlich eine Weile total alternativlos wäre.