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Riskantes Radfahren in OsnabrückWenn der Wille fehlt

Die Radwege seiner Stadt enden schon mal ohne Vorwarnung im Nichts, sind eng und verwirrend markiert. Daniel Doerk ist der kämpferischste Radaktivist Osnabrücks und kennt die gefährlichen Ecken.

Daniel Doerk auf dem Osnabrücker Wallring: Eigentlich dürften Autos hier nur mit 1,5 Meter Abstand überholen

OSNABRÜCK taz | Es gibt Tage, an denen brauchst du einfach Glück. Für Lena ist heute so ein Tag. Ein halber Meter weiter und es hätte gekracht. Ihr Hollandrad liegt nach ihrer Vollbremsung auf dem Radweg, die Sonnenblumengirlande aus Plastik am Lenker, direkt davor ragt das Heck eines BMWX6 auf. „Da fährst du, und plötzlich ist vor dir der Radweg zu Ende! Einfach so! Zack: Parkstreifen!“, sagt die Studentin. Wer vom Osnabrücker Hauptbahnhof Richtung Innenstadt die Möserstraße nimmt, passiert diese Stelle: Der Radweg endet ohne Vorwarnung. Wer Pech hat, dem kommt noch ein rückwärts ausparkendes Auto entgegen. Denn hier ballen sich Bäcker, Apotheke, Bank, Fahrschule, Asia-Shop – viel Lieferverkehr, viele Kunden, alles eng auf eng.

Daniel Doerk, Osnabrücks kämpferischster Radaktivist, war schon oft „in echt brenzligen Situationen“. Er hat zwei Single-Speed-Bikes, zwei Rennräder und ein uraltes Damenrad. Das kommt im Winter zum Einsatz. Er kennt die Stelle gut. „Da zeigt sich eines der Hauptprobleme unseres Radwegenetzes: Es ist lückenhaft.“

Doerks 2013 gestarteter Fahrrad-Blog itstartedwithafight.de hat mittlerweile 35.000 Seitenaufrufe pro Monat. Bei den örtlichen Critical-Mass-Demos ist er dabei, beim Runden Tisch Fahrradverkehr der Stadt auch. „Klar, es tut sich was in Osnabrück“, sagt er. „Aber vieles ist eher Stückwerk, Symbolik, Kosmetik. Der gesamtpolitische Wille, wirklich Grundsätzliches zu ändern, fehlt noch.“

Götze Autoverkehr

Der Ortsverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) mit seinen 800 Mitgliedern sieht das ähnlich. Mitte Januar haben die ADFC-Vorstände Uwe Schmidt, Wolfgang Driehaus und Doris Wülfing Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) einen vierseitigen Brief geschrieben. Sie kritisieren, „wie wenig sich für den Radverkehr in den letzten Jahren verbessert hat“ in Osnabrück, dieser „selbsternannten und früher so selbstverliebten Autostadt“. Der Radverkehr sei „nicht wesentlich sicherer geworden“. Konsequentes Handeln sei nötig, und das schnell: „Dem Götzen Autoverkehr muss gelegentlich mehr als nur ein Haar gekrümmt werden, da muss auch mal eine ganze Locke dran glauben.“

Dem Götzen Autoverkehr, Daniel Doerk lacht. So was mag er. Er hält Kommenderiestraße Ecke Johannistorwall, an der „Todeskreuzung“, wie die Radfahrer sagen. Zwei weiß gestrichene Räder stehen hier, sogenannte Ghost Bikes. Die Stadt hat extra einen Befestigungspoller spendiert. In Plastik eingeschweißte Todesanzeigen klemmen an den Rädern: „Radfahrer 47 Jahre 26. Oktober 2014“ steht auf der einen. Drei Radfahrer sind hier in den letzten Jahren gestorben. Und es sind nicht die einzigen Ghost Bikes in der Stadt.

Diese „Todeskreuzung“ ist ein Beispiel für städtisches Umdenken. Superbreit ist der Radweg hier seit Kurzem, perfekt einsehbar. Auch die Ampelschaltung ist neu. Wenn Fahrräder geradeaus fahren, lässt sie keine Autos als Rechtsabbieger mehr zu. „Gute Sache“, sagt Doerk, und zählt weitere gute Sachen auf: Die steigende Zahl der Fahrrad-Parkbügel; die roten Zonen vor vielen Ampeln, auf denen sich Radfahrer vor die Autos stellen können; den geplanten Radschnellweg im Außenbezirk Belm, für den Osnabrück 1,7 Millionen Euro aus dem Bundeswettbewerb „Klimaschutz im Radverkehr“ zufließen und der jedes Jahr 6,8 Millionen mit dem Auto gefahrene Kilometer überflüssig machen soll. Baubeginn ist voraussichtlich 2018.

Doch dann stockt Doerk, mitten im Satz. Denn gerade hat es beinahe gekracht. Ein Radfahrer hat Grün, gleichzeitig biegen zwei Autos nach rechts ab. Fluchend schlängelt sich der Radler zwischen ihnen durch. „Voll bei Rot reingefahren, die beiden“, sagt Doek. Gegen solche Rücksichtslosigkeit hilft natürlich auch die beste bauliche Entschärfung nichts.

Auch der „Radverkehrsplan 2030“ der Stadt wird daran nichts ändern. Mitte 2016 im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt beschlossen, soll er die Wende zu „umweltgerechter und stadtverträglicher Mobilität“ einleiten. Auch ­Doerk und Vertreter vom ADFC saßen mit am Runden Tisch. Mehr als eine Absichts- und Wunschliste ist der Radverkehrsplan allerdings nicht.

Er ist eher eine Liste, so endlos wie die Wartezeit an mancher Ampel der Stadt: Erhöhung des Anteils des Radverkehrs am Gesamtverkehr von aktuell rund 20 auf über 30 Prozent. Engmaschiges, lückenlo­ses Radwegenetz mit attraktiver Ankoppelung aller Stadtteile an die City. Fahrradautobahnen ins Umland. Alternativrouten parallel zum Hauptstraßennetz – mit einem Umwegfaktor von nicht mehr als 1,2 Kilometern. Neue Fahrradstraßen. Abstellanlagen an Quellen, Zielen, Umstiegspunkten zu anderen Verkehrsmitteln. Ein stadtweites Radverleihsystem. Haltegriffe an Ampelmasten, schräge Mülleimer zum Einwurf während der Fahrt. Abschließbare Boxen für E-Räder, Luftpumpen­statio­nen. Entflechtung von Rad- und LKW-Verkehr, von Radwegen und Bushaltestellen. Ampelschal­tun­gen, die dem Radverkehr „vergleichbare Prioritäten“ einräumen. Und, und, und. Die Ratsfraktion der Osnabrücker Grünen fasst sogar „mittelfristig einen Radverkehrsanteil von 50 Prozent“ ins Auge.

Aber dazu bräuchte es einen Konsens. Politisch, verwalterisch, unter den Bürgern. Der aber ist in weiter Ferne. „Oberbürgermeister Griesert zum Beispiel. Den habe ich noch nie auf einem Fahrrad gesehen. Sogar zur Eröffnung des Hase­uferwegs kam er im Auto“, sagt Doerk. „Außerdem hat er den Weg dann auch noch als Osnabrücks ersten Radschnellweg gelobt.“ Doerk schüttelt den Kopf. Das zeige, „dass er, der immerhin mal Stadtbaurat von Osnabrück war und damit die Verkehrsplanung in der Stadt verantwortet hat, von Radverkehr nicht viel versteht“.

Griesert bekam jüngst übrigens auch von Schülern der 5. Klasse des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums einen Brief. Darin beklagen sie, „dass wir Kinder oft gar nicht mit dem Fahrrad zur Schule fahren dürfen, weil die Osnabrücker Radwege zu gefährlich sind“. Es sei eben „kein sicheres Gefühl, wenn man nur 1,50 Meter groß ist und von einem Bus mit 3 Metern Höhe und nur 50 Zentimeter Abstand überholt wird“.

Viel Geld fürs Image

Immerhin hat die Stadt eine sechsstellige Summe für eine Imagekampagne ausgegeben: „Osnabrück sattelt auf“, vom Fassadenbanner bis zum Kinospot. Mit Sprüchen wie „Du willst einen Freund mit knackigem Hintern? Such dir einen Radfahrer!“ plädiert sie seit 2013 fürs Radfahren. Manch eine Idee der Kampagne hat allerdings einen faden Beigeschmack. Bei der „Aktion Geisterfahrer“ etwa hielt an Halloween 2016 am verkehrsreichen Rosenplatz ein Scream-Masken-Geist Radfahrer an, begleitet durch einen Polizisten: Wer regelkonform fuhr, bekam eine Schokohexe, Regelwidrigkeiten wurden mit einem sauren Kaugummi geahndet. Hatte niemand bedacht, dass der Geist in Sichtweite der Ghost Bikes der „Todeskreuzung“ unterwegs war? „Ist wohl keinem aufgefallen“, sagt Doerk.

Der Rißmüllerplatz gehört zu den verkehrsreichsten Kreuzungen der Stadt. Es ist 16 Uhr, der Berufsverkehr hat noch nicht eingesetzt, trotzdem dröhnen schier endlos Kombis, SUVs, Kleintransporter vorbei. Tobias Demircioglu von Greenpeace Osnabrück landete als leidenschaftlicher Radfahrer „schon mehrfach auf Motorhauben“, sagt er und zeigt vor sich auf den Boden. Der Radweg geht zwar weiter, aber die rote Markierung hört plötzlich auf. „Und das, obwohl da vorn diese große Hotel- und Parkhausausfahrt kommt. Völlig verwirrend.“ Radfahrer, die an der nächsten Kreuzung geradeaus wollen, den Wall entlang, müssen eine Autospur queren. Auf Radfahrer, die nach rechts in die Lotter Straße abbiegen, wartet eine Überraschung: Der Radweg endet im Nichts.

Demircioglu, der täglich von Georgsmarienhütte nach Osnabrück pendelt: „Früher habe ich alle Wege mit dem Rad gemacht, auch zu beruflichen Terminen. Heute nutze ich oft den ÖPNV. Ist einfach zu gefährlich.“

Seine Ortsgruppe hat ein eigenes Programm zur lokalen Verkehrspolitik vorgelegt, als Teil der bundesweiten Greenpeace-Kampagne „Mobilität“: Reaktivierung von Bahnhaltepunkten, Park&Ride-Plätze am Stadtrand, Ringbuslinie mit Umsteigepunkten, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, kostenloser ÖPNV, Ausweitung der Umweltzone, verkehrsbefreite Zonen, Nahverkehrsabgabe für Betriebe. Demnächst stellen sie ihre Ideen dem Stadtbaurat Frank Otte vor und Detlef Gerdts, dem Fachbereichsleiter Umwelt und Klimaschutz.

Eines ihrer langfristigsten Ziele ist die City-Maut. Demircioglu sagt, während an ihm ein Sattelzug vorbeiröhrt: „Ist natürlich schwer durchzusetzen. Aber Osnabrück könnte dafür die erste Modellkommune werden. Derzeit sind wir dabei, die Rechtslage zu klären.“ Was die Maut einbrächte, käme auch dem Radwege-Infrastruktur zugute.

Demircioglu hat heute sein Regen- und Schnee-11-Gang-Stadtrad dabei, mit dem steigt er nachher wieder in die Bahn, zurück nach Hause. Dass er jetzt seltener mit dem Rad fährt, stört ihn: „Viele andere Radfahrer machen es ganz ähnlich, notgedrungen, wegen der Sicherheit. Besonders fatal, wenn sie stattdessen wieder zum Auto greifen. Ein Rückschritt“, sagt er.

Beim ADFC-Fahrrad-Klima-Test 2014 sackte Osnabrück auf die blamable Gesamtnote 3,9 ab und damit auf Platz 4 von 4 unter Niedersachsens Städten der Größenklasse 100.000 bis 200.000 Einwohner. Bundesweit lagen sie auf Platz 23 von 37. In allen Kategorien verschlechterte Osnabrück sich gegenüber 2012, von „Fahrrad- und Verkehrsklima“ bis „Infrastruktur und Radverkehrsnetz“. Im April kommen die neuen Zahlen für 2016.

Traumstadt für Radfahrer

„Wir behaupten nicht, dass Osnabrück eine preisgekrönte Fahrradhauptstadt werden soll“, schreibt der ADFC in dem Offenen Brief an den Oberbürgermeister. Ist auch schwer vorstellbar. Wobei Osnabrücks Politik und Verwaltung nicht sagen kann, es habe an Inspiration gefehlt. Schließlich hat im Museum am Schölerberg für Natur und Umwelt Ende 2015 die Wanderausstellung „The Good City – Visionen für eine Stadt in Bewegung“ Station gemacht, über Kopenhagen, die Traumstadt für Radfahrer.

„Es ist einfach logisch: Das Rad ist das Verkehrsmittel der Stadt“, sagt Doerk. Es sei eine gesunde, saubere, leise, schnelle und günstige Alternative zum Auto. „Aber bis das in den Köpfen ist, muss noch viel passieren. Selbsterklärende Infrastruktur, verkehrliche Sicherheit, objektiv wie subjektiv.“

Mitdenken wäre aber auch schon hilfreich, sagt Doerk und zeigt auf den Lastwagen, der mit runtergeklappter Lade­rampe. am Wallring vor der Agentur für Arbeit steht, mitten auf dem Rad- und Fußweg. Doerk trägt sein Rad kurzerhand durch die Beete: „Unmöglich!“ Stimmt. Direkt dahinter ist ein Parkstreifen.

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