Rückwärtsgewandte Siedler: Die rechte Landlust
Sie gelten als rückwärtsgewandte Elite innerhalb der Rechten. In Mecklenburg haben sich sogenannte Artamanen niedergelassen.
Seit 17 Jahren lebt Jan Krauter in Klaber. In seiner Schmiede fertigt er Damaszener Messer für Küche und Jagd. Erfolgreich. „Ich habe Aufträge für ein Jahr“, sagt der hochgewachsene, schlanke Mann mit den auffällig blauen Augen, dem verfilzten, rötlichen Kinnbart. Neben den teuren Klingen verkauft Krauter auch Honig und Honigwein. „Landwirtschaft betreiben wir für den Eigenbedarf.“ Bei einer großen Familie, Krauter hat sechs Kinder, ist das nicht wenig.
Als „Neo-Artamane“, wie die Siedler um Krauter genannt werden, sieht er sich selbst nicht. Er fühle sich eher den Amish People nahe, sagt er, bei denen er ein Jahr in den USA verbracht hat. Die Stadt mit ihrem Betrieb, ihrer Kaputtheit, ihrem Gender-Getue und den vielen Ausländern halte er nicht mehr aus.
Gegen Gentechnik
„Artamanen – so nennt uns die Amadeu Antonio Stiftung“, sagt Krauter. „Gegen die habe ich geklagt und viel Geld für Anwaltskosten verloren.“ Geklagt hatte der Schmied nach Auskunft der Stiftung, weil er der Teilnahme eines Aufruhrs im Garten des Bürgermeisters von Lalendorf beschuldigt wurde. Der Prozess kam nie zustande.
„Die Stiftung bezeichnet uns auch als völkische Siedler“, erzählt der Schmied. Uns? „Ja, mich und ein paar Freunde.“
Er sei schon immer rechts gewesen, was den aus Hannover stammenden gelernten Bankkaufmann mit 16 nicht daran hinderte, „einen Neger aus Somalia als Freund“ zu haben. „In Deutschland wird alles, was nicht Mainstream ist, schlecht gemacht. Ich habe mich gegen Gentechnik und gegen Flüchtlinge engagiert, aber heute darf man ja nichts sagen.“
Karen Larisch, Die Linke Güstrow
Was er gegen Flüchtlinge habe?
„Schauen Sie, neunzig Prozent sind alleinreisende junge Männer. Die kommen durch Schlepperringe hierher. Unsere drei Mädchen fahren, seit die hier in der Nähe untergebracht sind, nicht mehr zum Badesee.“
Besenreine Schmiede
In der besenreinen Schmiede mit den alten, gepflegten Gerätschaften, dem knatternden Werkstattofen fühlt sich der Besucher in vorindustrielle Zeiten zurückversetzt. Auf der Werkbank liegt eine aufwendig geschmiedete Damastklinge. Krauters Mitarbeiter bearbeitet gerade den Hornschaft. Das edle Produkt wird vor allem von Abnehmern in der Schweiz gekauft.
Familie sei das wichtigste, sagt Krauter. Er habe in der Gegend Freunde, die auch so denken. „Andere Freunde wollten sich hier niederlassen, aber es ist zu schwierig, Arbeit zu finden in dieser strukturschwachen Region.“
„Die Gruppe ist ein loser Zusammenschluss“, bestätigt Marius Hellwig von der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. Die Bewegung hat aber auch in anderen Teilen Deutschlands Zulauf. „Eine Elite innerhalb der Rechten“, erklärt Hellweg. „Sie pöbeln nicht, sind nicht tätowiert, zeigen keine Naziflaggen. Sie verhalten sich unverdächtig, brav. Sie kennen sich aus dem Dunstkreis der Ferienlager der Wiking-Jugend. Das völkische Denken ist ihre Ideologie. Aber die Völkische Bewegung ist älter als der Nationalsozialismus, auch wenn vieles von dem Gedankengut dort eingeflossen ist.“
Das konkrete Bedrohungspotenzial schätzt Hellwig nicht hoch ein. „Das Bedrohlichste ist wahrscheinlich, dass die Kinder, die dort aufwachsen, sich nicht frei entfalten können. Das ist auch eine Form von Gewalt.“
Angst vor Imageschädigung
Die rechten Siedler breiten sich besonders in ländlichen Regionen aus, wo sich Politik und Zivilgesellschaft zurückgezogen haben, sagt die Güstrower Lokalpolitikerin Karen Larisch (Die Linke). Mecklenburg-Vorpommern mit seinen Großkreisen ist dafür ein gutes Beispiel. „Unser Verdienst hier ist“, sagt Larisch, „die Szene wurde bestens erforscht.“ Auch dank der Antonio Amadeu Stiftung, die 2014 eine Studie über „Völkische Siedler im ländlichen Raum“ veröffentlicht hat.
Larisch spricht von einer Art internem Schweigegelübde. Wer will schon für das schlechte Image einer Region verantwortlich sein? „Derweil mischen die Rechten bei Dorffesten und Veranstaltungen fröhlich mit. Es muss einen gemeinsamen Protest und vor allem eigene Aktivitäten gegen die Bewegung von rechts geben“, sagt sie. „Denn die scheint sonst hier angekommen, hoffähig zu sein.“
Koppelow liegt ungefähr 20 Kilometer von Klaber entfernt. Ein abgeschiedenes Bauerndorf. „Da oben wohnen Rechte“, erzählt der alte Herr, der den Weg zu dem Dorf hinter dem Hügel beschreibt. „Die treffen sich in der ausgebauten Scheune und feiern Sonnenwende und andere Merkwürdigkeiten.“ Rechte Erlebniswelten. Dörfliche Idylle mit Sonnenkollektoren und Ziehbrunnen, an denen alte Blecheimer baumeln.
Familiäre Verknüpfungen
Helmut Ernst ist Biobauer und lebt in Koppelow. Er zögert am Telefon beim Begriff Artamane: „Da wird in den Medien immer viel geschrieben, als stünden wir kurz vor der Machtergreifung. Aber ihre Lebenspraxis halte ich für richtig.“
Regionale Wirtschaftskreisläufe, Biogasanlagen und zentrale Windkraftanlagen, Kritik an der industrialisierten Landwirtschaft und Gentechnik, Abkehr von der Globalisierung: Ernst wünscht sich „eine tiefgreifende Veränderung in der Agrarpolitk zugunsten der bäuerlichen Landwirtschaft“. In der Wirtschaftspolitik fährt ihm „die AfD einen zu neoliberalen Kurs“. Kern seines Unbehagens ist die Einwanderungspolitik. Ernst sieht sich nicht als Rassisten, „da würde ich ja biologisch argumentieren“. Ihm geht es um „kulturelle Überfremdung“.
Der Biobauer ist seit knapp 25 Jahren in der Region ansässig. Nach einem Bericht der antifa-nachrichten von 2007 wandte sich 1992 eine Gruppe mit der Bitte um Unterstützung des „Konzeptes Koppelow“ an den „Freundeskreis der Artamanen“. 1962 gegründet, sieht sich der Freundeskreis als Hüter des Erbes der historischen Artamanen der 1920er und 1930er Jahre, die sich auch damals in Koppelow angesiedelt hatten.
Nach der Wende waren es dann zunächst vier Familien aus Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein, die sich aus rechten Jugendverbänden kannten. Die Struktur der Gruppe sei informell, heißt es in einem Artikel der Jungen Freiheit aus dem Jahr 2005. Es bestünden zahlreiche familiäre Verknüpfungen. Die Artamanen wollten „der Gegend um Koppelow ihren Stempel aufdrücken“.
Der Bürgermeister schweigt
Die rechten Siedler von Klaber und Koppelow rufen zwar Verschwörungstheorien auf den Plan, aber dass sie der Gegend ihren Stempel aufgedrückt haben, ist nicht ersichtlich. Auch wenn die AfD mit rund 21 Prozent im Schweriner Landtag sitzt. Im Wahlkreis der Artamanen-Ansiedlungen erhielt die AfD sogar etwas weniger Stimmen.
Bürgermeister Reinhard Knaack (Die Linke) aus der Hauptgemeinde Lalendorf entzieht sich den Fragen über die Siedler. Trotz mehrerer zugesagter Termine erscheint er nicht zum Gespräch, geht nicht ans Telefon. Offensichtlich will er nicht mehr darüber reden. Dabei hatte er sich 2010 heldenhaft geweigert, der zu dieser Siedlergruppe gehörenden Petra Müller aus Lalendorf für ihr siebtes Kind die Ehrenpatenschaft des Bundespräsidenten zu überreichen. Zehn Vermummte marschierten danach in Knaacks Vorgarten auf. Er erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruchs, doch bis heute wurde niemand belangt.
Auch sonst zucken die Anwohner eher mit den Schultern. Die Siedler gehen als brave, fleißige Mitbürger durch, engagierte Ökobauern, die Kunstausstellungen mit regionalem Handwerk organisieren. Helmut Ernst beispielsweise war Gründungsmitglied der Initiative Gentechnikfreie Region Nebel/Krakow, bis seine rechte Weltanschauung bekannt wurde und er aus der Initiative ausgeschlossen wurde.
Musterschüler
Das Ökoengagement der rechten Siedlerfamilien hat Tradition, der ländliche Raum war immer Teil ihrer Utopie – auch die deutsche Umweltbewegung hat ihre Wurzeln in der Lebensreformbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Schon damals tummelten sich dort Linke, Rechte und Veganer.
Ada Rössel, Schulleiterin in Güstrow, weiß von Kollegen, dass die Kinder dieser Siedler meist freie Schulen besuchen. Sie gelten als Musterschüler, ihre Eltern arbeiteten konstruktiv mit. „Alle spielen ein Instrument, und mit den Eltern gibt es keine provokanten Vorfälle.“ Das Motto der gesellschaftlichen Akteure in Schulen oder anderswo: mit niemandem die Kommunikation abbrechen.
Jan Krauter ist da konsequenter. Den Weihnachtsmarkt von Schloss Ulrichshusen, wo er immer seine schönen Messer zum Verkauf angeboten hat, besuchte er diesen Dezember nicht. Helmuth Freiherr von Maltzahn, Besitzer des Schlosses, weiß warum. Er hat in einem ihm gehörenden Plattenbau mit zwölf Wohnungen 46 Flüchtlinge untergebracht. „Seither kommen der Schmied und die Buchbinderin aus Klaber nicht mehr auf unseren Markt.
Ihr persönlicher Protest gegen Flüchtlinge bei uns in der Region“, sagt der Schlossherr in zünftiger Jagdkleidung im Restaurant seines Gutshauses. „Haben Sie die Werkstatt gesehen?“, fragt er. „Da können Sie vom Boden essen. Ich weiß genau, wie die ticken. Die wollen ein anderes Deutschland, eine andere Gesellschaft, sie kämpfen im Untergrund. Das ist eine Sekte mit einem ganz engen ideologischen Korsett.“
Eine Sekte – ökologisch, germanisch, deutschtümelnd, wertkonservativ –, die problemlos in der AfD aufgeht. „Ja, ich bin AfD-Mitglied“, sagt Jan Krauter. Das ist gesellschaftlich hoffähiger als die nationalistische Schmuddelecke der NPD, wo die Siedler bislang verortet wurden.
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