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Kommentar Aufarbeitung RadikalenerlassGroteske Jagd

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Vom Radikalenerlass waren Millionen Menschen betroffen. Die Opfer dieses staatlichen Unrechts sollten endlich rehabilitiert werden.

Schnüffelei: Ist ihr Postbote auch verfassungstreu? Foto: dpa

E s wirkt wie ein Echo aus einer längst vergangenen dunklen Zeit: Der niedersächsische Landtag will also das Schicksal der Betroffenen von Berufsverboten in den 70er und 80er Jahren aufarbeiten lassen. Der von der rot-grünen Koalition gegen die Stimmen von CDU und FDP gefasste Beschluss kommt zwar reichlich spät, aber immerhin gibt es ihn jetzt. Immerhin ein Anfang. Andere westdeutsche Länder sollten dem Beispiel folgen.

Der „Radikalenerlass“, den der damalige Bundeskanzler Willy Brandt 1972 mit den Ministerpräsidenten der Länder gefasst hatte, war der Sündenfall der sozialliberalen Ära. Er führte zu einer gigantischen wie grotesken Jagd auf vermeintliche Verfassungsfeinde. Formell richtete er sich gegen „Links- und Rechtsextremisten“, in der Praxis traf er bis auf wenige Ausnahmen fast ausschließlich Linke: Neben Mitgliedern der moskauorientierten DKP oder der maoistischen K-Gruppen waren ebenso etliche linke Sozialdemokraten von der staatlichen „Gesinnungsschnüffelei“ (Herbert Wehner) betroffen.

Heutzutage ist kaum mehr nachvollziehbar, zu welch wahnwitzigen Kapriolen der „Radikalenerlass“ führte. Nicht nur unzählige Lehrer, selbst Postboten und Lokführer wurden damals entlassen, weil ihre Verfassungstreue als nicht zweifelsfrei erwiesen galt. Das Wort „Berufsverbote“ wurde zu einem unrühmlichen deutschen Lehnwort in anderen Sprachen.

Als letztes Bundesland stellte Bayern 1991 die „Regelanfrage“ beim Verfassungsschutz ein. Bis dahin waren bundesweit rund 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst systematisch auf ihre „Verfassungstreue“ überprüft worden. Es gab tausende Berufsverbotsverfahren. Viele berufliche Karrieren wurden zerstört. 1995 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die deutsche Berufsverbotspraxis ein Verstoß gegen die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit war.

Willy Brandt hat später den „Radikalenerlass“ als großen Fehler bezeichnet. Dessen Handhabung sei „einem Stück des absurden Theaters entlehnt“ gewesen. Das lässt sich kaum ernsthaft bezweifeln. Damals ist in der Bundesrepublik staatliches Unrecht begangen worden. Es ist höchste Zeit, dieses unrühmliche Kapitel endlich aufzuarbeiten und die Betroffenen zu rehabilitieren.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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4 Kommentare

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  • "Vom Radikalenerlass waren Millionen Menschen betroffen"

    Nach einer Dissertation von 1997 wurden ca. 1,4 Mio Personen überprüft, es wurden ca. 11 Tsnd Verfahren eingeleitet und ca. 1100 Personen wurde der Eintritt oder Verbleib im öffentlichen Dienst verwehrt.

    (Quelle: Roland Seim, Zwischen Medienfreiheit und Zensureingriffen , Diss. Münster, Münster 1997)

     

    Ja wo sind denn die "Millionen Betroffenen"?

  • Der hach soo unschuldige Postbote war von der NVA als Terrorist trainiert: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13496363.html

  • Neonazis sollten keine Beamte werden, genau so wenig wie radikale Steinzeitkommunisten. Nur darum ging es und nicht um Berufsverbote für Millionen.

  • gab es nicht vor einiger Zeit eine bayrischen Richter, den man dann doch noch loswerden konnte, wegen seiner Nazi-Vergangenheit (vermutlich auch Gegenwart)? War das nicht richtig?

     

    Sollte man nicht erwarten, dass Leute, die für den Staat arbeiten wollen, die Verfassung achten? Das Beamtenverhältnis sieht es so vor und nach meiner Erinnerung ging es auch nur um die Einstellung als Beamter.