Simone Schmollack über das neue Gesetz für Contergan-Opfer: Der Spatz in der Hand
Geht ein Contergan-Opfer zur Conterganstiftung und beantragt Geld für den Umbau eines Autos, das jemand mit kurzen Armen fahren kann. Sagt die Stiftung: Hier sind viele Formulare, bitte ausfüllen. Darüber hinaus benötigen wir ein ärztliches Attest. Und eine Begründung, warum Sie das Auto brauchen. Dann prüfen wir, ob wir die Ihnen zustehenden 20.000 Euro dafür genehmigen können. So war das bislang.
Künftig, nach der Änderung des Conterganstiftungsgesetzes, soll es so sein: Jedes Opfer bekommt pauschal jährlich 4.800 Euro – ohne Antrag, ohne Attest, ohne Begründung. Und zusätzlich Geld für „individuelle“ Bedarfe, die allerdings beantragt werden müssen. Im besten Fall können das insgesamt bis zu rund 15.000 Euro jährlich sein.
Was ist besser: Mehr Geld, das bisher kaum ein Contergan-Opfer bekommen hat – oder weniger Geld, das alle Geschädigten jetzt auf jeden Fall bekämen? Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach?
Manche mögen sagen: Nehmen wir den Spatz, sicher ist sicher. Aber ist diese Sichtweise nicht zynisch und unmenschlich? Warum sagt der Staat, der eine Mitschuld am Contergan-Skandal trägt, nicht einfach: Es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den Opfern all jene Hilfe und finanziellen Mittel zukommen zu lassen, die sie für einen menschenwürdigen Alltag brauchen. Auch wenn das teuer ist.
Das Geld dafür ist da, es liegt bei der Conterganstiftung und muss Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht erst mühsam abgerungen werden. Damit könnte man Autos zu Behindertenfahrzeugen umbauen, Bäder umrüsten, Assistenzen bezahlen, Urlaube ausrichten. Strand, Sonne, Meer – welches Contergan-Opfer hat jemals so seine Ferien verbracht?
Das „Contergan-Problem“ hat sich nicht durch frühe Tode der Betroffenen von selbst erledigt. Jetzt sollte die Gesellschaft dafür sorgen, dass die Opfer würdevoll alt werden können.
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