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New Yorker Ausstellung im Braunschweiger LandesmuseumDas Verschwundene zurückgeholt

Die Sammlung erzählt von der Entstehung judaistischer Wissenschaft und rekonstruiert die 1938 zerstörten Synagogen.

Erweitern die New Yorker Ausstellung: Architekturmodelle von Synagogen, die in der Pogromnacht 1938 zerstört wurden. Foto: A. Prähle/Braunschweigisches Landesmuseum

BRAUNSCHWEIG taz | Schutzgeld –das klingt nach Mafia und archaischen Regularien. Aber die Entrichtung derartiger Abgaben war seit karolingischen Zeiten für Juden die einzige Möglichkeit, um ohne Verfolgung unter kaiserlichem Schutz in deutschen Territorien leben zu können: als sogenannte Schutzjuden, mit eingeschränkt bürgerlichen Rechten. Auch Isaac Moses Schöningk in Hornburg bei Wolfenbüttel erhielt 1642 einen derartigen Schutzbrief, er gilt damit als einer der ersten urkundlich nachweisbaren Juden am Ort. Preußische Kurfürsten und Könige weiteten später einen gemeinschaftlichen Schutz auf mehrere Familien aus, Friedrich der Große wies gar den Hornburger Magistrat an, ihnen den Bau einer Synagoge zu erlauben.

Da aber die etwa 18, eher ärmeren jüdischen Haushalte einen Neubau nicht hätten finanzieren können, blieb nur der Kauf und Umbau eines baufälligen Fachwerkhauses. In seinem zum Betraum barock überformten Inneren wurde 1766 der erste Gottesdienst gefeiert. Nur hundert Jahre später fehlten der Gemeinde aber bereits wieder die für einen regulären Gottesdienst erforderlichen zehn männlichen Beter, die Synagoge wurde nicht mehr beständig genutzt und verfiel.

Mit dem Tod des letzten Gemeindemitglieds 1923 erlosch das jüdische Leben Hornburgs. Das Gebetshaus allerdings war vor seinem unabwendbaren Abriss von Studenten der TH Braunschweig aufgemessen und kartiert worden, die gesamte Innenarchitektur ins Vaterländische Museum, dem Vorläufer des Landesmuseums, nach Braunschweig gebracht. Sinnigerweise in den säkularisierten Räumen eines mittelalterlichen Klosters wurde sie dort 1922 neu installiert, auch während des Nationalsozialismus: nun umdefiniert zum Anschauungsmaterial eines feindlichen Fremdkörpers in der arisch-deutschen Kultur. Und an diesem, mittlerweile nur noch als Außenstelle des Museums dienenden Ort wurde sie nach langer Einlagerung und Restaurierung 1987 wieder aufgestellt.

Sie bildet seitdem das Zentrum eines jüdischen Museums mit einem – wohl deutschlandweit einzigartig – kompletten sakralen Interieur: Erhöhter Thoraschrein, Lesepult, zentrierender Baldachin, Frauen-Empore, Sitzbänke, Hängeleuchter und Kultgerät machen den historischen Gebetsraum einer kleinen norddeutschen Landgemeinde erfahrbar. Die faktische Präsenz konterkariert dann allerdings, dass unter den begleitend ausgestellten Judaica wie prunkvoller Thoraschilder, Chanukka-Leuchter oder Sederteller mittlerweile viele, dank neuerer Forschung, als nicht authentisch nachgewiesen und entsprechend gekennzeichnet sind.

Diese Stücke gelangten in den späten 1970er-Jahren in deutsche Museen – als die jüdische Kultur begann, allerorts kuratorisches Interesse zu wecken. Mittelfristig will man den gesamten Bereich, wohl auch als Referenz an die Geschichte des Ortes, als ein Museum der Religionen neu ausrichten, teilte das Haus mit, dabei wird manches zu bereinigen sein.

Thoraschilder oder Chanukka-Leuchter gelangten in den späten 70er-Jahren in deutsche Museen

Nachgerade prophetisch erzählt dazu augenblicklich die Sonderausstellung des Leo Baeck Instituts deutschsprachig-jüdischer Geschichte in New York von der Etablierung judaistischer Wissenschaft während der langwierigen wie trügerischen Emanzipation der Juden in der europäischen Aufklärung. Dabei spielten auch lokale Protagonisten und ihrer Schriften eine Rolle. Bereits 1783 vertrat Moses Mendelsohn, auch er preußischer Schutzjude, in seiner Publikation Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum die Trennung von Religion und Staat, sah jüdische Religionsgesetze nicht im Widerspruch zu bürgerlichen Freiheiten.

Er erstrebte eine Harmonie partikularer Religionen mit den universalen Idealen der Aufklärung. Zu einer zweiten Generation jüdischer Reformdenker zählten neben Prominenten wie Heinrich Heine auch der Braunschweiger Bankier und Rabbi Israel Jacobson (1768–1828) sowie Leopold Zunz (1794–1886). Sie sahen in der Bildung die Voraussetzung zu Emanzipation und Integration – eine zeitlose Forderung. Jacobson richtete 1801 in Seesen eine fortschrittliche Freischule ein, Zunz war Absolvent der Wolfenbütteler Samson-Schule, dort bereits 1786 vom Hofbankier Philipp Samson gegründet, er wurde als Wissenschaftler in Berlin Vorkämpfer einer Gleichstellung der Juden.

Auch die Religionspraxis beider Orte folgte reformerischer Ausrichtung, die sich etwa in deutschsprachigen Predigten und musikalisch in der Chorharmonie und Orgelmusik auch christlicher Komponisten niederschlug. Der Seesener Jacobstempel von 1810 gilt als weltweit erste Synagoge dieses Typs.

Nach einem Staatsgesetz von 1871 zur rechtlichen Gleichstellung jüdischer Religionsangehöriger im deutschen Kaisererreich gründete sich 1872 in Berlin die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, Leopold Zunz gilt als ihr geistiger wie politischer Wegbereiter. Anders als orthodoxe Ausrichtungen oder das jüdisch-theologische Seminar in Breslau wollte sie das Judentum in der öffentlichen Wahrnehmung als umfassende Kultur verankern, nicht nur als Religionspraxis. Auch weitere Anliegen in zeitlicher Folge lesen sich überreligiös aktuell: Die Wiener Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim, 1904 Gründerin eines Jüdischen Frauenbundes sozialer Intention, forderte etwa ein Ende des Menschenhandels mit Jüdinnen aus rückständigen Regionen Osteuropas als Prostituierte.

Erweitert wird das New Yorker Material durch Architekturmodelle der TU Braunschweig. Seit 1994 werden im Fachgebiet Baugeschichte vorrangig deutsche Synagogen, die in der Pogromnacht des 9. November 1938 zerstört wurden, als große hölzerne Modelle rekonstruiert. Daraus erwuchs 2005 gemeinsam mit der Hebräischen Universität Jerusalem die bilaterale Forschungsstelle Bet Tfila (Haus des Gebetes) zur systematischen Erforschung sakraler und säkularer Architekturen jüdischer Gemeinschaften in Europa. Ihr Ziel: die jüdische Baukultur in der europäischen Architekturgeschichte zu kontextualisieren, denn spätestens im 19. Jahrhundert war etwa die Bauaufgabe der Synagoge fester Bestandteil städtischer Repräsentationsarchitektur.

Es waren fortschrittliche, auch christliche Architekten wie der gebürtige Hamburger Gottfried Semper, der 1840 in Dresden eine moderne Synagoge erschuf und als Lehrer in Zürich eine Generation Schweizer Synagogenbaus prägte. Im Braunschweiger Raum ist Constantin Uhde (1836–1905) für zwei Gebetshäuser verantwortlich, 1875 am Ort und 1893 für die reformierte Gemeinde in Wolfenbüttel: Ihre Synagoge wagte nun den gutbürgerlichen Auftritt einer historistischen Kirche. Auch sie ging 1938 in Flammen auf.

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