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Prozess gegen Braunschweiger RechtenGegen Linke schlägt er zu

Der Rechte Pierre B. hat Schüler verprügelt und wollte Polizisten mit Kopfnüssen verletzen. In Braunschweig begann nun der Prozess gegen ihn.

Setzt auf Muskelkraft: der Braunschweiger Rechte Pierre B. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

BRAUNSCHWEIG taz | Die blau-graue Adidasjacke ist zu eng für die muskelbepackten Arme und die Glatze lässt sich unter den Stoppeln nur mehr erahnen. Als er den Gerichtssaal betritt, schaut Pierre B. auf den Boden. Nur kurz blickt er in die Runde, nachdem ihm Hand- und Fußfesseln abgenommen wurden und er seinen Platz einnehmen konnte.

Er sieht ein überwiegend junges Publikum, mit „Kein Mensch ist Illegal“-Shirts und bunten Haaren. Hinter ihm sitzen viele Polizisten und Justizbeamte. Die 42 Plätze für die Öffentlichkeit sind nach einer halben Stunde vergeben und vor der Tür stehen noch viele Menschen.

„Aus Sicherheitsgründen“ finde die Hauptverhandlung im Sitzungssaal 107 statt, teilte die Richterin im Vorfeld mit. Entsprechend liest sich die Anklage, die Staatsanwältin Meyer so schnell vorliest, dass sie fast außer Atem kommt: Der Angeklagte hat im Februar einen Mitarbeiter der Jugendorganisation „Die Falken“ zu Boden geworfen und geschlagen. Zwei Wochen später brach er einem Schüler der Neuen Oberschule den Kiefer und fügte einem zweiten Schüler eine Gehirnerschütterung zu.

Im Juni hat er einer Polizeibeamtin Kopfstöße versetzen wollen und sie und ihre Kollegen beleidigt. Einen Monat später, nachdem die Deutsche Fußballnationalmannschaft aus der EM ausgeschieden war, hat er beim „Public Viewing“ einen Mann zu Boden geworfen, geschlagen und getreten. All das gibt er zu.

Als die Vorwürfe verkündet werden, verzieht der 24-Jährige keine Miene. Nur beim Wort „Bullenschweine“ grinst er kurz. Hinterher wird er mehrmals sagen: „Es tut mir leid.“ Das Publikum lacht.

Der Angriff auf einen Mitarbeiter der Falken wird schnell abgehandelt. Es gibt ein Video, das Pierre B. und seinen Freund Lasse R. zeigt, wie sie den Mann attackieren. Dieser habe ein Foto von den beiden machen wollen, nachdem diese zwei Aufkleber auf die Fenster geklebt hatten. Er wisse nicht mehr, welche Aufkleber es gewesen sind. „Irgendwas für Deutschland halt“, sagt Pierre B.. Fotografien der Aufkleber liegen dem Gericht vor: „Antirassismus ist Rassismus gegen Weiße“, steht auf einem.

Der Vorfall an der Neuen Oberschule braucht mehr Zeit. Ein Freund des Angeklagten soll am Vortag von einer „linken Gruppe“ angegriffen worden sein. „Deswegen sind wir in die Schule, um die mal anzuschauen“, sagt er. Sein Freund habe Personen erkannt, die vor seiner Wohnung warteten. Um rechte Aufkleber oder Flyer sei es dabei nicht gegangen. Die beiden wurden jedoch von einem Lehrer des Grundstücks verwiesen. „Auf dem Heimweg wurden wir dann provoziert“, sagt B.

Die Verhandlung hätte nicht diesen Umfang, wenn die Gesinnung keine Rolle spielte

Richterin Antje Gille

Das Gedächtnis des Angeklagten ist zwar in vielen Punkten selektiv. Aber hier ist er sich ganz sicher: „Ich wurde angespuckt“, sagt er. Das und Sprüche wie „Scheißnazi, verpiss dich“ hätten ihn dazu gebracht, einen Schüler anzugreifen. Er sagt: „Ich fühlte mich in meiner Ehre verletzt.“ Nur: Daran kann sich kein Zeuge erinnern. Es sei weder gespuckt worden noch habe es politische Beleidigungen gegeben.

Fünf bis 15 SchülerInnen – nach unterschiedlichen Zeugenaussagen – hätten dem Angeklagten und seinem Freund verdeutlicht, dass sie an der Schule unerwünscht sind. „Verpiss dich“ und Ähnliches sei dabei sicherlich gesagt worden. Irgendwann sei B. auf die Menge zugerast. „Nach dem ersten Schlag weiß ich nichts mehr“, sagt der Schüler, der auch Nebenkläger ist. Der zweite, zur Hilfe geeilte Schüler sagt: „Die pure Aggression des Angeklagten ist mir in Erinnerung geblieben.“

Die Nebenkläger legen Wert darauf, dass bei den Straftaten auch die politischen Ansichten des Angeklagten beachtet werden. Von „Deutschland verrecke“ werde er provoziert, sagt der Angeklagte. „Und sowas sagen Linke halt.“

Dazu sagt Richterin Antje Gille: „Die Verhandlung hätte nicht diesen Umfang, wenn die Gesinnung keine Rolle spielte.“ Und an den Angeklagten gewandt: „Sie haben einen gewissen Ruf erlangt.“ Ein zweiter Verhandlungstag ist für den 21. Dezember angesetzt.

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