: „Wie macht die Frau das?“
Sachbuch Da wo Angela Merkel ist, ist der Reuters-Korrespondent Andreas Rinke nie weit. Nun hat der Kanzlerinnen-Kenner ein gründlich recherchiertes Lexikon verfasst
Interview Anja Maier
taz: Herr Rinke, Sie haben „Das Merkel-Lexikon“ verfasst. 447 Seiten Kanzlerinnen-Expertise – wozu braucht die Welt Ihr Kompendium?
Andreas Rinke: Ob die Welt das braucht, das muss die Welt entscheiden. Ich habe das Buch geschrieben, weil ich festgestellt hatte, dass ich als Journalist eine Datengrundlage brauche. Es gibt so viele Aspekte an Angela Merkel, die in meinem Agenturalltag rasch wechseln. Also habe ich versucht, meine Berichtsgebiet, wie ich die Kanzlerin einmal nennen möchte, thematisch zu zerlegen und bei den jeweiligen Aspekten eine Art zeitliche Perspektive aufzubauen.
Wie sind Sie methodisch vorgegangen. Hatten Sie eine Stichwortliste?
Beim ersten Nachdenken hatte ich eine Liste von etwa 50 Wörtern: von A wie AfD bis Z wie Zukunft . Das hat sich dann aber rapide vergrößert. Ich bin mittlerweile bei 340 Stichworten. Das erste ist nun Abschottung, das letzte Merkels Zwei-Wort-Politik. Und ich habe natürlich schon wieder neue im Kopf.
Welche zum Beispiel?
Zwei liegen auf der Hand: T wie Trump. Und A wie Afrika. Afrika steckt gewissermaßen schon in anderen Kapiteln drin, aber Trump nicht, weil es diese Beziehung bis vor Kurzem noch nicht gab. Auch jetzt würde ich das noch nicht Beziehung nennen. Aber das wird ein Arbeitsverhältnis, das man beschreiben muss.
War Ihnen von Anfang an klar, dass Ihr Buch auch lustig werden würde?
Mein Anspruch war, dass ich, wenn ich schon so ein Buch schreibe, neben Sachthemen wie China und CSU auch möglichst viele von den Fragen beantworte, die mir in meinem privaten Umfeld gestellt werden. Zum Beispiel nach Angela Merkels Blazern. Oder: Wie macht die Frau das, wie ist ihr Leben organisiert? Wie läuft das bei den Flugreisen? Wie hält sie es mit dem Alkohol? Im Laufe der Recherchen bin ich auch auf Stichworte gekommen wie „Affären“, die ich gar nicht auf der Agenda hatte, mit denen sich aber Hunderttausende Menschen tatsächlich befassen. Weil die Yellow Press sich daran abarbeitet. Solch ein Thema kann man dann nicht ganz trocken runterschreiben.
Was war für Sie tatsächlich neu bei Ihren Recherchen?
Mir sind Angela Merkels langfristige Linien bewusst geworden. Da gibt es einige, genauso wie natürlich auch Brüche. Etwa ihr ungebrochenes Engagement in der Frauenfrage. Sie empfindet sehr stark – das hat sie oft betont – ihr Rollenmodell. Durch das Amt und ihre Amtsführung möchte sie beweisen, dass Frauen es in Führungspositionen schaffen können. Ihr Verhalten in der Flüchtlingsfrage rührt auch aus einer langen Kontinuität. Alle Elemente ihrer Argumentation gibt es seit vielen Jahren. Ich habe bei meinen Recherchen eine Rede von 1993 gefunden, in der sie zu der damaligen Flüchtlingskrise Stellung genommen hat. Da hat sie weitgehend jene Positionen vertreten, die sie heute hat. Es gab bei ihr schon immer diesen Dreiklang aus Hilfe in Not, Integration für die, die da bleiben, aber auch konsequente Abschiebung.
Der längste Eintrag in Ihrem Buch ist der zum Thema Flüchtlinge. Fünfzehn Seiten. Wird dies das Schlagwort, unter dem noch in Jahrzehnten über die Kanzlerin Angela Merkel gesprochen wird? Vergleichbar Helmut Kohls europäischer Einigung oder Gerhard Schröders Agenda 2010?
55, ist politischer Chefkorrespondent der Nachrichtenagentur Reuters. Er berichtet seit elf Jahren über die Kanzlerin. Sein Buch "Das Merkel-Lexikon" ist pünktlich zum Beginn des Bundestagswahlkampfs erschienen und beantwortet fast alle Fragen.
Es ist noch zu früh, das zu sagen. Bei der Atomenergie haben wir alle gedacht, dass dies das prägende Element von Merkels Kanzlerschaft sein könnte. Oder der Ukraine-Konflikt. Was gab es da für eine Überraschung über die Entschiedenheit, mit der Merkel in diese diplomatische Bresche gesprungen ist. Ebenso bei der Euro-Krise. Ob das bei der Flüchtlingsfrage auch so sein wird, hängt davon ab, wie sich das Thema weiterentwickelt. Ich finde, man merkt jetzt schon, dass es nicht mehr für so viele Menschen wie im letzten Jahr die überragende Bedeutung hat. Deswegen kann es sein, dass wir 2017 mit neuen Problemen konfrontiert sind, die alles in den Schatten stellen, was wir bisher diskutiert haben.
Sie beobachten die Kanzlerin seit elf Jahren. Kann sie Sie tatsächlich noch überraschen?
Ja. Ein Beispiel ist ihre Reaktion auf Donald Trump. Am Tag nach der US-Wahl diese Erklärung abzugeben, in der sie einerseits die Form wahrt, andererseits aber den Hinweis verankert, dass die Basis der Zusammenarbeit die gemeinsamen Werte sind. Das hätte ich so nicht erwartet. Jetzt muss man sehen, was darauf folgt. Aber die Art und Weise, wie sie das vorgetragen hat, fand ich überraschend.
Glauben Sie, dass Angela Merkel im Wahljahr versuchen könnte, was manche von ihr fordern: Gefühle zu berühren?
Ich bin nicht sicher, ob sie wirklich mit sehr viel mehr Emotionalität in den Wahlkampf reingehen wird. Meine Beobachtung der letzten Wochen ist, dass sie sich im Gegenteil sogar um einen extrem sachlichen Ton bemüht. Sie glaubt vermutlich, dass in dieser sogenannten postfaktischen Welt, in der die politischen Ränder sehr stark mit Emotionen arbeiten, Sachlichkeit die bessere Antwort ist. Deswegen teile ich nicht die These vieler Kollegen, die erwarten, dass sie jetzt die ganz große emotionale Keule auspackt. Sie setzt darauf, dass es auch einen erfolgreichen Kurs mit Argumenten geben kann. Zumindest in dem Wählerspektrum, das sie für sich anpeilt.
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