: Müllers Neuanfang
Sozialdemokraten 213 von 238 Delegierte stimmten am späten Montagabend für den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag
von Uwe Rada
Nach den Grünen haben auch die Sozialdemokraten den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag abgenickt. 213 von 238 Delegierten stimmten am späten Montagabend im Hotel Intercontinental für den Vertrag, das ist eine Mehrheit von fast 90 Prozent. Sowohl der Regierende Bürgermeister Michael Müller als auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh hatten zuvor in ihren Reden für eine Zustimmung geworben.
In seiner 45-minütigen Rede hatte Müller den sechs Wochen lang ausgehandelten Vertrag als eine „Grundlage für einen Neuanfang in der Berliner Politik“ bezeichnet. Das Wahlergebnis von 21,6 Prozent am 18. September nannte er „Mist“. Durchaus selbstkritisch merkte er an, dass er im Bündnis mit der CDU etwas staatsmännischer hätte agieren können. Aber auch für ihn gebe es Grenzen, sagte Müller im Hinblick auf das damalige Chaos am Lageso – und teilte gleich noch einen in Richtung des Noch-CDU-Sozialsenators aus. „Czaja ist nach wie vor unfähig.“
Eine begeisternde Rede war es nicht, die Müller gehalten hatte, eher eine werbende. Punkt für Punkt ging der 51-Jährige die Politikfelder durch und erklärte auch, warum die SPD das wichtige Stadtentwicklungsressort den Linken überlassen habe. „Mit 21,6 Prozent kann man nicht alles durchsetzen“, sagte Müller. Auch bei den Partnern gebe es Wünsche, Querschnittressorts zu besetzen.
Ausdrücklich lobte Müller, dass die Sozialdemokraten das Bildungs- und das Innenressort innehaben. Bei der Bildung hätten die Sozialdemokraten alles in der Hand, „von der Kita bis zur Hochschule“. Und das Innenressort sei gar kein „Depressionsressort“, wie manche kritisierten. Vielmehr sei es wegen der Zuständigkeit für die Verwaltung auch ein Gestaltungsressort.
Auch bundespolitisch äußerte sich Müller: „Vielleicht gelingt es für gute Regierungsarbeit auch, Machtoptionen über Berlin hinaus zu öffnen. Es würde der Bundes-SPD nicht schaden.“
SPD-Fraktionschef Raed Saleh
Raed Saleh, der auf dem Präsidium des Parteitags neben Müller saß, betonte anschließend, dass die SPD am 18. September „mit einem blauen Auge“ davongekommen sei. „Wir haben an vielen Stellen den Charakter einer Volkspartei verloren“, erneuerte er seine Kritik, die er bereits kurz nach der Wahl via Tagesspiegel kundgetan hatte. „Wir sind doch nicht irgendwer. Die SPD ist die älteste Partei Deutschlands“, sagte Saleh und betonte, dass sich die SPD wieder um die Sorgen der Menschen kümmern müsse. „August Bebel und Regine Hildebrandt, das waren doch alles Kümmerer.“
Auch auf die taz war Saleh in seiner Rede eingegangen. „Die taz hat mich als Linkspopulist bezeichnet“, sagte der Fraktionschef und nahm es als Lob. „Wenn es linkspopulistisch ist, für bezahlbaren Wohnraum zu kämpfen, dann bin ich gerne Linkspopulist.“
Mit Spannung war erwartet worden, wie sich die Delegierten zu einem Antrag aus Reinickendorf verhielten, der die Trennung von Amt und Mandat gefordert hatte. Damit hätten gleich vier Senatoren ihren Sitz im Abgeordnetenhaus verloren. Am Ende entschieden die Delegierten, eine Verfassungsänderung nach dem Beispiel Hamburgs zu prüfen. Dort müssen die Senatoren ihre Parlamentstätigkeit ruhen lassen, solange sie ein Regierungsamt einnehmen. Ein Punktsieg für Michael Müller.
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