Krise beim Hamburger SV: Hanseatisches Lavieren
Wofür ein 2:2 gegen Werder Bremen gut ist? Es gibt den HSV-Aufsichtsräten etwas mehr Zeit, über die Personalie Dietmar Beiersdorfer nachzudenken.
Die Sicherheitskräfte waren auf alle Szenarien vorbereitet. Mehr als 1.000 Männer und Frauen in leuchtgelben Winterjacken bauten vorm Spiel des Hamburger SV gegen Werder Bremen Absperrgitter vor der Geschäftsstelle im Osten des Volksparkstadions auf und bewachten speziell den Eingang zu den Spielerkabinen.
Weil Ultras der Rothosen eine Woche zuvor in Hoffenheim mit einem Plakat, auf dem „Deadline 26.11.“ zu lesen war, eine unmissverständliche Botschaft gesendet hatten, fürchteten die Verantwortlichen des Klubs Ausschreitungen im Falle einer Niederlage. Doch bis auf eine handvoll Fans, die noch ein paar Autogramme abstauben wollten, kam niemand. Der Protest nach Spielende blieb aus.
Stattdessen verließen die 55.237 Zuschauer des 105. Nordderbys das Stadion mit einem Gefühl der Ratlosigkeit, das sich in einer makabren Stille nach Schlusspfiff manifestierte. Offenbar wusste zunächst niemand, wie er mit dem Ergebnis umgehen soll. Zwar hat der HSV nach dem 2:2 gegen seinen Rivalen Werder nun zwei Spiele hintereinander nicht mehr verloren und in den letzten drei Partien mehr Tore geschossen (6) als in den neun Spielen zuvor (2).
Zum Drehbuch, das der Boulevard vor dem Spiel schrieb, passte ein Remis jedoch überhaupt nicht. Oder präziser formuliert: zum Drehbuch, das der Aufsichtsratsvorsitzende Karl Gernandt schrieben ließ.
„Schonfrist“ bis zum Derby
Die rechte Hand des Investors Klaus-Michael Kühne bat die Medienmacher Hamburgs um eine „Schonfrist“ bis zum Derby. Erst danach würde sich entscheiden, wie es beim HSV in Zukunft weitergehen soll – also mit oder ohne den Vorstandsvorsitzenden Dietmar Beiersdorfer, der wegen seiner Transfers und der erfolglosen Suche nach einem Sportchef schwer in die Kritik geraten ist.
Und so wurde das Derby zwischen dem HSV und Werder kein Schicksalsspiel für den Verein, die Mannschaft oder den Trainer. Es wurde ein Drama mit dem Vorstandsvorsitzenden in der Hauptrolle, über dessen Zukunft die Aufsichtsräte noch am selben Abend entschieden hätten.
Doch genau wie die Sicherheitskräfte vor dem Stadion mussten auch die Kontrolleure des Klubs an diesem Abend nicht eingreifen. Jedenfalls noch nicht, weil die Bremer Fin Bartels, Serge Gnabry, Max Kruse und Claudio Pizarro es verpassten, ein drittes Tor zu schießen. Das zeigt, von welch absurden Parametern der Aufsichtsrat seine Entscheidung abhängig machte.
Es zeigt aber auch, dass er sich davor scheute, überhaupt eine zu treffen. Nach einer Niederlage wäre ihm diese automatisch abgenommen worden. Aber nach einem Unentschieden? Die Leistung der Mannschaft war einfach nicht schlecht genug, als dass eine Entlassung Beiersdorfers – zumindest nach Logik des Aufsichtsrates – angebracht wäre.
Fünf Trainer, keiner hat überzeugt
Allerdings sei die Frage gestattet, ob ein 3:2 oder ein 2:3 etwas an der Gesamtentwicklung des HSV, die Beiersdorfer seit der Ausgliederung der Profiabteilung vor zweieinhalb Jahren verantwortet, geändert hätte. Bis auf Johan Djourou und Dennis Diekmeier standen nur Spieler auf dem Platz, die der 53-Jährige selbst verpflichtet oder zu dessen Verpflichtung er seine Zustimmung gab.
Nach vorn gebracht haben die vielen Neuzugänge für etwa 90 Millionen Euro den Verein nachweislich nicht. Mit nur vier Punkten aus zwölf Partien spielt der HSV seine schlechteste Hinrunde aller Zeiten. Daran konnte auch der Cheftrainer Markus Gisdol nichts ändern. Er ist mittlerweile der Fünfte, der sein Glück seit 2014 versuchen darf. Von keinem der fünf Trainer war Beiersdorfer vor ihrer Verpflichtung restlos überzeugt.
Das sind die Aufsichtsräte von Beiersdorfer auch nicht mehr. Nur halten sie sich ähnlich wie ihr Vorstand konsequent daran, keine konsequenten Entscheidungen zu treffen. Und da das Derby weder klare Sieger noch klare Verlierer, weder den Startpunkt für eine Aufholjagd lieferte noch den Tiefpunkt auslotete, braucht das Hamburger Führungsdrama eine Fortsetzung. Wer im Winter die nächsten 10 oder 20 Millionen Euro für neue Spieler ausgeben darf, bleibt daher bis auf Weiteres ungeklärt.
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