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Der Kongress tanzt aus der Reihe

Parlament Seit Jahren sind die Republikaner in Repräsentantenhaus und Senat in der Mehrheit. Für eine Präsidentin Hillary Clinton wäre das schlecht. Oder könnte sich bei den heutigen Wahlen noch was tun?

Von Bernd Pickert

BERLIN taz | Alle Welt interessiert sich für die Frage, wer als nächstes ins Weiße Haus einzieht. Dabei ist die Zusammensetzung der beiden Kammern des US-Kongresses mindestens genauso wichtig. Obamas Amtszeit ist dafür das beste Beispiel: Nur in den ersten zwei Jahren regierte Obama mit einer demokratischen Mehrheit im Kongress – in diese Zeit fällt die Verabschiedung der Gesundheitsreform und des Dodd-Frank-Acts zur (vorsichtigen) Regulierung der Finanzwelt.

Bei den Zwischenwahlen 2010 verloren die Demokraten das Repräsentantenhaus, vier Jahre später auch den Senat an die Republikaner. Im Ergebnis hat Obama sechs Jahre lang kein einziges größeres Reformvorhaben mehr umsetzen können. Stattdessen sah sich der Präsident mit einer nahezu vollkommenen Blockadehaltung der Kongressmehrheit konfrontiert. Nicht einmal eine Neubesetzung des Sitzes im Obersten Gerichtshof, der seit dem Tod des Richters Antonin Scalia Mitte Februar diesen Jahres frei wurde, ließen die Republikaner zu: Obamas Kandidat Merrick Garland hat bis heute nicht einmal eine Anhörung im Senat bekommen – stattdessen kündigte der zuständige Senatsausschuss an, das Bestätigungsverfahren erst nach dem Amtsantritt von Obamas Nachfolge am 20. Januar kommenden Jahres in die Wege zu leiten.

Umso wichtiger wäre es für die Demokraten, die Mehrheit im Kongress zurückzuerobern. Nur: Es sieht nicht danach aus.

Wie alle zwei Jahre steht am Dienstag ein Drittel der 100 Senatorensitze zur Wahl (diesmal sind es 34), und alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses. Im Senat verfügen die Republikaner derzeit über 54 Sitze, im Haus über 247.

Einen Tag vor der Wahl signalisieren die Umfragen, dass die Demokraten im Senat zwar drei Sitze von den Republikanern dazugewinnen könnten, wobei nur der Sieg der Demokratin Tammy Duckworth in Illinois über den republikanischen Amtsinhaber als ziemlich gesichert gilt. Auch in Wisconsin und Pennsylvania können sich die Demokraten Chancen für die bisher republikanisch gehaltenen Sitze ausrechnen. Dafür laufen sie jedoch Gefahr, ihren Sitz in Nevada zu verlieren – ausgerechnet. Seit 1986 hat dort kein Republikaner mehr einen Senatssitz gewonnen. Doch mit dem Rückzug des bisherigen Chefdemokraten im Senat, Harry Reid, der nach 30 Senatsjahren nicht wieder antritt, scheint der Sitz an die Republikaner zu gehen.

Die demokratische Kandidatin Catherine Cortez Masto wäre die erste Frau mit lateinamerikanischem Familienhintergrund im US-Senat – ihr Großvater kam aus Mexiko. Ihr republikanischer Konkurrent Joe Heck, 2010 als Tea-Party-Kandidat ins Repräsentantenhaus gewählt, lag lange vorne, verlor dann aber dramatisch, als Mitte Oktober Donald Trumps „Pussy“-Aufnahmen herauskamen. Erst als sich Heck daraufhin von Trump distanzierte, holte er wieder auf und liegt inzwischen wieder leicht vorn.

Auch im Repräsentantenhaus zeichnen sich leichte Verluste für die Republikaner ab, ohne dass sie jedoch ihre Mehrheit verlieren.

Obama konnte sechs Jahre lang kein einziges größeres Reformvorhaben mehr umsetzen

Wenn sich diese Projektionen bewahrheiten, würde eine Präsidentin Hillary Clinton von Beginn an gegen den Kongress regieren müssen – und nicht wenige rechnen mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen sie schon innerhalb der ersten zwei Jahre.

Damit haben die Republikaner Erfahrung: Auch Hillarys Ehemann Bill Clinton regierte ab 1994 gegen eine republikanische Kongressmehrheit – und überstand ein wegen der Lewinsky-Affäre angestrengtes Amtsenthebungsverfahren 1998. Clintons wichtigster Gegenspieler im Kongress damals: der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich.

Der ist heute einer der wichtigsten Unterstützer Donald Trumps.

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