Geteilte Insel: Zypern-Lösung so nah wie nie
Ab Montag verhandeln griechische und türkische Zyprioten über ein Ende der Teilung. Ein Problem: die Präsenz türkischer Truppen im Norden.
Nie waren griechische und türkische Zyprioten andererseits so nahe an einer politischen Einigung über einen gemeinsamen Staat. „Wir sind weiter gekommen als je zuvor“, sagte der UN-Vertreter auf Zypern, der Norweger Espen Barth. Am Montag beginnen im schweizerischen Ferienort Mont Pelerin fünftägige Gespräche zwischen dem Vertreter der griechisch geprägten Republik Zypern Nikos Anastasiades und Mustafa Akinci, aus der nur von Ankara anerkannten Türkischen Republik Nordzypern. Ihr Ziel: Die Gründung eines Bundesstaats unter dem gemeinsamen Dach der Europäischen Union und damit das Ende der 42 Jahre währenden Teilung der Insel.
Seit 2013 verhandeln der konservative Anastasiades und der linksliberale Akinci. Sie sind sich dabei in vielen Punkten so nahe gekommen, dass es nun ans Eingemachte gehen kann. In der Schweiz werden die kontroversen Themen der Gebietsansprüche und die Sicherheitsaspekte verhandelt werden.
Kommt man hier zu einer Annährung, stünde als nächstes eine mutilaterale Konferenz zwischen den Zyprioten, der Türkei, Griechenland und dem früheren Kolonialherrn Großbritannien an. Erzielt man auch dort einen Konsens, sollen Insel-Griechen und -Türken in getrennten Referenden über die Gründung des gemeinsamen Bundesstaats abstimmen.
Gestritten wird noch um Rückkehrer und Sicherheit
Noch allerdings stehen dem große Meiungsunterschiede entgegen, die die zeitweise Euphorie in Nikosia haben abebben lassen. Am Freitag Abend hielten Anastasiades und Akinci getrennte Fernsehansprachen für ihre jeweilige Volksgruppe, die dies deutlich werden ließen. Während Anastasiades besonderen Wert auf die Rückkehr von 100.000 griechischen Vertriebenen aus dem Krieg von 1974 versprach, betonte Akinci die Sicherheitsaspekte für die türkische Minderheit.
Dabei ist unstrittig, dass die türkische Seite einen Teil ihres 1974 von türkischen Truppen eroberten Gebiets an die Zyperngriechen abgeben muss. Anastasiades legte dabei besonderen Wert auf die Region rund um die dicht besiedelte Kleinstadt Morphou. Nach einem Bericht der Londoner Financial Times möchte die zyperntürkische Seite aber genau dies vermeiden, weil in diesem Fall besonders viele ihrer Landsleute umgesiedelt werden müssten. Dort stellt man sich stattdessen die Abgabe der dünn besiedelten Karpas-Region ganz im Osten der Insel vor.
Eine Einigung bei der Territorialfrage erscheint Beobachtern aber als möglich. Viel schwieriger dürften die Sicherheitsaspekte zu lösen sein, zumal die Türkei dort ein gewichtiges Wort mitzureden hat. Im Norden sind mehrere Zehntausend türkische Soldaten stationiert. In der formal noch gültigen Verfassung der Republik Zypern von 1960 ist ein Interventionsrecht der Türkei, Griechenlands und Großbritannien für den Fall verankert, wenn die Verfassung auf der Insel gebrochen wird.
Mit diesem Argument begründete die Türkei 1974 ihre Invasion des Nordens. Angesichts der traumatischen Erfahrungen aus diesem Krieg verlangt die zyperngriechische Seite einen Abzug der türkischen Truppen und lehnt Garantierechte der Türkei ab. Die Mitgliedschaft in EU und UN wird als ausreichend betrachtet, heißt es dort.
Alte Ängste spielen noch immer eine Rolle
„Keine Garantien, keine Truppen“, das werde man als Diskussionsgrundlage nicht akzeptieren, sagte dazu Akinci. Unter den Zyperntürken schwelen eingedenk politischer Morde an hunderten Menschen in den 1960er Jahren immer noch Ängste gegenüber den Griechen. Akinci ließ am Freitag aber durchbliecken, dass man auf Garantierechte der Türkei verzichten könne.
Diplomatischen Kreisen zufolge besteht Ankara dafür auf einer fortgesetzten Präsenz türkischer Truppen auf Zypern. Das dürfte auch militärstrategische Gründe haben. Akinci, dessen Regierung wirtschaftlich stark von der Türkei abhängig ist, habe sich diese Position zueigen gemacht, heißt es nach diesen Informationen.
Eine dauerhafte Stationierung von Militärs des „Erzfeindes“ Türkei gilt unter den griechischen Zyprioten mit seinen starken nationalistisch geprägten Oppositionsparteien als nicht durchsetzbar; sie widerspräche wohl auch der Vorstellung von einem unabhängigen Staat.
UN-Vertreter haben in den letzten Monaten positiv angemerkt, dass der Putsch-Versuch und seine Folgen in der Türkei keine negativen Auswirkungen auf die Zypern-Verhandlungen hatten. Anasasiades und Akinci wird der uneingeschränkte Wille zugesprochen, dass sie die Teilung Zyperns ernsthaft überwinden wollen. Sollte Ankara aber auf seiner Militärpräsenz in Nord-Zypern bestehen, sind die Aussichten für eine Friedenslösung schlechter als es derzeit den Anschein hat.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlverhalten junger Menschen
Früher wählte die Jugend links
Waffenlieferungen an Israel
Es geht nicht ohne und nicht mit
Krieg im Nahen Osten
Das Personal wächst nach
Wirtschaft aber für junge Menschen
Das Problem mit den Boomer-Ökonomen
Wagenknechts Koalitionsspiele
Tritt Brandenburg jetzt aus der Nato aus?
Ex-Chefinnen der Grünen Jugend
„Wir dachten, wir könnten zu gesellschaftlichem Druck beitragen“