US-Politologin über Clintons Niederlage: „In zwölf Jahren wieder“
Die Politologin Joyce Mushaben erklärt, was Clintons Versagen mit Cookies zu tun hat – und wann die nächste Präsidentin zur Wahl steht.
taz.am wochenende: Frau Mushaben, Hillary Clinton hat die Wahl verloren. Wären Sie mit einer US-Präsidentin Clinton zufrieden gewesen?
Joyce Mushaben: Mehr als zufrieden! Ich habe über vierzig Jahre darauf gewartet, meine Stimme einer Frau geben zu können. Mir kamen die Tränen, als feststand, dass sie es nicht geschafft hat. Ich werde nie vergessen, wie sie 1995 als First Lady bei einer UN-Konferenz den Satz sagte: „Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte sind Frauenrechte!“
Aber immerhin 42 Prozent der Wählerinnen haben für Trump gestimmt. Warum?
Es gibt gerade unter Frauen eine ganz merkwürdige Abneigung gegen Hillary Clinton. Ich beobachte das schon sehr lange.
Woher rührt sie?
1992 sagte sie im Wahlkampf von Bill Clinton um das Präsidentenamt, sie wolle nicht zu Hause sitzen und Cookies backen. Das wurde ihr immer wieder vorgehalten. Im Weißen Haus kümmerte sie sich um die Gesundheitsreform. Das war unbezahlte Arbeit, weil Ehepartner von Präsidenten nichts verdienen dürfen. Aber sie wollte eben keine Cookies backen. Das hat Leute provoziert, die zu Hause sitzen und sich bedroht fühlen von anderen Frauen, die vieles geleistet haben. Sie wollen zwar auch, dass die eigenen Töchter studieren können, aber jedes Mal, wenn Frauen in einem gewissen Alter auftreten, die etwas geschafft haben, dann ist das eine Erinnerung daran, dass aus ihnen ja nicht so viel geworden ist.
Und dann wurde Clinton auch noch Senatorin, als ihr Mann gerade noch Präsident war.
Sie hat das prächtig gemacht, aber die meisten Leute kümmern sich gar nicht um die tagtäglichen Aktivitäten des Senats. Was für ihre Kritiker viel wichtiger war: Sie war Senatorin für New York. Und New York ist völlig verpönt bei vielen Leuten auf dem Land.
ist Professorin für Politikwissenschaften an der University of Missouri in St Louis. Sie forscht unter anderem zu weiblicher Führung. Demnächst erscheint ihr Buch: „Becoming Madam Chancellor: Angela Merkel and the Berlin Republic”.
Was bedeutet New York denen?
New York, da sind Sünder, illegale Einwanderer, Prostituierte und auch noch das Judentum! New York, das ist noch schlimmer als Kalifornien.
Später, 2008, wurde Clinton Außenministerin. Wie bewerten Sie ihre Außenpolitik?
Was großartig war: Bis nach Saudi-Arabien musste man zur Kenntnis nehmen, dass hier eine Frau an den Hebeln sitzt. Aber sie wurde mir zu sehr eine Falkin. Ich hätte mir ihre Außenpolitik friedlicher gewünscht. Allerdings konnte sie als Frau im Außenministerium gar nicht anders, als hart zu sein.
Um den Männern dort zu beweisen, dass sie es auch kann?
Unsere Präsidenten sind Commander in Chief, Oberbefehlshaber. Sie musste, wenn sie weiterkommen wollte, nachweisen, dass sie notfalls den Atomknopf drücken würde. Dass sie bereit wäre, in den Krieg zu ziehen, auch wenn sie keinen Kriegsdienst geleistet hat, wie Trump, Bill Clinton und Obama übrigens auch nicht. Aber bei einer Frau wird das natürlich anders eingeschätzt.
Abschied von Amerika. Unsere Autorin hat die Präsidentschaft Obamas als Korrespondentin begleitet. Jetzt war sie dabei, als sein Nachfolger gewählt wurde. Was sich im Land verändert hat und wie es nun weitergeht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. November 2016. Außerdem: Der ARD-„Tatort“ erlebt seine 1.000 Aufführung. Warum ist er so erfolgreich? Und: Wenn der Feminismus „cool“ wird. Unterwegs mit drei Expertinnen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Kürzlich sagten Sie, Hillary Clinton sei auch unbeliebt, weil sie überqualifiziert sei. Wie meinen Sie das?
Sie hatte schon acht Jahre Erfahrung im Weißen Haus als First Lady, sie war eine Art Politikberaterin für Bill Clinton, sie hatte sogar ein Büro im West Wing. Dort sitzt die Macht, dort werden die Entscheidungen getroffen. Leute haben wahrgenommen, dass sie ein Team waren. Dann war sie acht Jahre im Senat und dann vier Jahre Außenministerin. Wer kommt schon mit dieser Erfahrung ins Amt? George W. Bush nicht, Obama nicht, Clinton nicht, da müssten wir praktisch die Zeit zurückdrehen bis zu General Eisenhower.
Warum soll das von Nachteil für Hillary Clinton gewesen sein?
Weil es bei Wahlen um Gefühle geht. Und dabei spielen auch Ressentiments eine Rolle: Die Frau scheint ja superqualifiziert zu sein, aber ich will jemanden im Weißen Haus haben, der auf meiner Ebene ist, dem gegenüber ich nicht als dumm dastehe. Jemand Normales, der ebenfalls Wörter falsch ausspricht wie George W. Bush oder der nicht mal in vollständigen Sätzen reden kann wie Donald Trump. Das ist eine falsche Vorstellung von Demokratie und Gleichheit. Aber viele Leute fühlen das genau so: Die Politiker sollen auf meiner Ebene sein, damit ich mich vertreten fühle. Auch wenn das gar nicht sein Job ist, denn die Bürger werden ja vom Senat oder vom Abgeordnetenhaus vertreten. Die meisten Amerikaner wären bereit, eine Frau zu wählen. Aber sie wollten diese Frau nicht.
Und warum haben weniger Hispanics für Clinton gestimmt als noch für Obama?
Das hatte mehr mit der Besetzung des Verfassungsgerichts zu tun. Zur Zeit ist eine Stelle vakant, bald könnte eine zweite dazu kommen. Der künftige Präsident kann also einen Richtungswechsel einleiten. Trump hat versprochen, Richter einzusetzen, die gegen das Recht auf Abtreibung sind. Mit Hillary wäre es anders gekommen. Das hat viele Hispanics dazu bewegt, für ihn zu stimmen. Viele von ihnen sind sehr katholisch.
Jetzt wird Donald Trump Präsident. Macht Ihnen das Angst?
Ja.
Was befürchten Sie?
Drei Punkte vor allem: Obamacare wird verschwinden, die Krankenversicherung. Und dann werden sich die 20 Millionen, die darüber versichert sind, Behandlungen nicht mehr leisten können.
Zweitens?
Klimapolitik kann man jetzt vergessen. Und drittens: Die Waffengesetze werden nicht strenger. Mein Mann hatte auch ein paar Schießgewehre und wir finden den Schlüssel für den Schrank nicht mehr, seitdem er gestorben ist. Man kann also meinetwegen sagen, die Waffen dürft ihr haben, aber für die Munition verlangen wir 5.000 Dollar pro Patrone. Das würde das Problem lösen. Und dann natürlich die Außenpolitik. Dieser Mann hat eine so dünne Haut, keine Geduld, kein Faktenwissen. Wie will er es denn aushalten, zwei Stunden im Situation Room im Weißen Haus zu sitzen, wo darüber beraten wird, was wir als nächstes gegen den IS machen? Kann er sich das wirklich vorstellen, in einem Zimmer mit Putin oder Kim Jong Un zu sitzen, um zu verhandeln?
Mit Putin vielleicht schon …
Ja, aber der weiß, dass Trump wirklich nur ein Clown ist. Putin mag keine Strategie für die Entwicklung seines Landes haben, aber politstrategisch ist er schon gewieft. Und er weiß, dass er bei Trump alles machen kann, was er will. Sogar George W. ist auf ihn reingefallen.
Wird sich Trump im Amt mäßigen, als Teil eines Systems?
Die ersten fünf Ebenen unserer Bundesbürokratie kann er mit neuen Leuten besetzen. Nicht wie in Deutschland, wo unterhalb der Staatssekretäre Beamte sind, die sich hochgearbeitet haben. Er wird die Leute nehmen, die ihm schmeicheln.
Und Sie?
Ich werde mein bestes tun, um mich für ein Stipendium zu bewerben, damit ich möglichst zwei von den vier Jahren im Ausland verbringen kann.
Wird er es vier Jahre lang machen?
Man kann sich ja nicht als Präsident wählen lassen und dann nach sechs Monaten sagen: Das macht mir keinen Spaß mehr, ich will lieber in meiner Villa sitzen. Der muss vier Jahre bleiben, sonst müssen wir diesen Zirkus nochmal durchmachen. Bitte tun Sie mir das nicht an!
Wann werden Sie die nächste Möglichkeit haben, eine Frau ins Weiße Haus zu wählen?
In zwölf Jahren, hoffe ich. Momentan sehe ich weit und breit niemanden der das Potential hätte, in vier oder acht Jahren soweit zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke