: Untergetaucht
RAD Obwohl der Frauenradsport in Katar gefördert wird, treten keine katarischen Teams bei der WM an
aus Doha Tom Mustroph
Noura Alameeri rückt sich mit eleganter Geste ihren Schleier zurecht. Kein einzelnes Haar soll herausfallen, selbst bei sportlicher Anstrengung nicht. Die Kuwaiterin nimmt am Samstag am Straßenrennen der Frauen bei der WM in Doha teil. Sie fährt dabei im Hidschab, einer sportlichen Variante davon, die selbst bei Beschleunigung auf dem Rad noch die von der Religion vorgegebenen Regeln einhält.
„Radsport für Frauen ist eine ganz junge Entwicklung im arabischen Raum. Das hat erst vor ein paar Jahren angefangen. Aber es wächst. Jedes Jahr kommen mehr Frauen und Mädchen“, erzählt die 27-Jährige der taz. Seit zwei Jahren betreibt sie ernsthaft Radsport. Und jetzt ist sie schon bei der WM dabei – eine steile Entwicklungskurve. Sie ist auch der Exotik dieses Sports in dieser Weltgegend geschuldet. Wer konsequent dabei bleibt, dem steht die Welt offen.
Alameeri wundert sich daher, dass ihre Sportkameradinnen aus Katar bei der Heim-WM gar nicht gemeldet sind. Denn Katar ist ein Vorreiter in Sachen Frauenradsport. Seit 2009 richtet das Emirat die Ladies Tour of Qatar aus. „Katar ist immer ein super Saisonauftakt. Die Bedingungen stimmen“, sagt Trixi Worrack, in diesem Jahr Gewinnerin der Rundfahrt. Besonders freut es Worrack und ihre Kolleginnen, dass sie gleiche Bedingungen wie die Männer haben – die gleichen Hotels, die gleiche Organisation. Das geht sogar über europäische Verhältnisse hinaus.
Bei der Ladies Tour wurden auch die kulturellen Unterschiede ausgetestet. „Als wir uns in den ersten Jahren auf dem Parkplatz umzogen, ernteten wir schon erstaunte Blicke. Jetzt hat sich das normalisiert“, blickt Worrack zurück. Die kurze Lycra-Rennkleidung ist aber weiterhin nur Sportlerinnen aus dem Abendland vorbehalten. Eine sportbegeisterte Muslimin muss Textil über der eigentlichen Sportkleidung tragen. Dass muslimische Frauen gemeinsam mit Männern auf dem Rad unterwegs sind, ist ebenfalls sehr selten. Auf dem Kurs von Lusail nördlich von Doha gibt es – wie auch auf dem Formel 1-Ring von Abu Dhabi – immerhin einmal in der Woche einen Frauentag.
Damit sind diese Länder weiter als etwa der Iran oder Saudi-Arabien. Im Reich der Ajatollahs gilt eine Fatwa, die Frauen das Radfahren verbietet. In Saudi-Arabien ist es erst seit 2013 erlaubt. In Katar indes gehört der Frauenradsport zum Marketingportfolio. Das Land möchte Weltoffenheit demonstrieren. „Bei uns können sich Frauen frei bewegen, auch auf dem Rad. Wir haben eigene Frauenteams“, sagt Ahmed Al Hemaidi, Generalsekretär des katarischen Radsportverbands.
Das stimmt auch. Aber die Entwicklung geht nicht immer nur aufwärts. Vom Frauenteam war während der Heim-WM keine Spur. Die Athletinnen waren nicht nur nicht gemeldet, weder bei den Juniorinnen noch in der Erwachsenenkategorie – sie waren nicht einmal zu sprechen.
Auch Pia Sundstedt, Ex-Profifahrerin aus Finnland, die vor zwei Jahren als Nationaltrainerin mit großen Ambitionen berufen war, ist abgetaucht.
Und selbst die Veloettes, eine Facebook-Gruppe von Radenthusiastinnen, haben sich in alle Winde zerstreut, weil die Initiatorin, Mitbegründerin des einzigen Rennrad-Ladens in ganz Doha, in ihre Heimat Jordanien zurückgekehrt ist. Der Fortschritt steht und fällt mit einzelnen Aktivistinnen.
Einen neuen Schub könnte der Frauenradsport in Katar – und im ganzen arabischen Raum – aber durch eine Geschäftsinitiative der beiden Katarerinnen Haya Al Ghanim und Ahmina Ahmadi erhalten. Beide bekamen einen Spot in Dohas Start-up-Plattform Qatar Business Incubation Center, um dort ihre Kollektion an Sport-Hidschabs weiterzuentwickeln. Die beiden jungen Frauen waren frustriert darüber, dass Sportstudios für Frauen immer fensterlos sind, und planten daher Outdoor-Aktivitäten.
Die führten sie weit weg von Doha, zu Laufevents in Boston bis auf den Gipfel des Kilimandscharo. Auch Liebe zum Rad flammte in ihnen auf. Mit den in aller Welt gewonnenen Erfahrungen setzten sie sich an ihre Kollektion. „Wir leisten Pionierarbeit hier und wollen, dass Frauen sich Bewegungsfreiheit erobern.“ Pionierarbeit bedeutet aber auch, dass noch eine ganz schöne Wegstrecke zurückzulegen ist.
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