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Und sie spricht doch

RECHTSTERROR Im NSU-Prozess ergreift Beate Zschäpe erstmals selbst das Wort. Sie verurteilt die Mordtaten – klärt aber nichts auf

Zwei Minuten gesprochen – nach 312 Prozesstagen: Beate Zschäpe Foto: Matthias Schrader/dpa

Von Konrad Litschko und Tom Sundermann

MÜNCHEN/BERLIN taz | Am Morgen des 313. Verhandlungstags im NSU-Prozess sieht alles noch nach Routine aus. Im dunkelblauen Hosenanzug und grauen Schal erscheint Beate Zschäpe im Münchner Oberlandgericht. Dann aber nimmt neben ihr Wahlverteidiger Hermann Borchert Platz, der nur ins Gericht kommt, wenn in Zschäpes Namen eine neue Aussage verlesen werden muss.

Es ist früher Vormittag, als die Routine bricht. „Frau Zschä­pe möchte sich persönlich an den Senat wenden“, sagt Richter Manfred Götzl. Auf der Besuchertribüne bricht Staunen aus: Dreieinhalb Jahre hat Zschäpe den Prozess schweigend ausgesessen. Sie äußerte sich nicht, wenn Zeugen über sie sprachen, sie promiskuitiv oder verrückt nannten. Sie reagierte nicht, wenn Angehörige von Mordopfern sie anflehten, endlich zu sprechen. Nun, völlig überraschend, soll das Schweigen ein Ende haben.

Zschäpe zieht das Mikrofon auf ihrem Tisch an sich heran und drückt auf eine Taste, um es einzuschalten. Ein rotes Licht leuchtet auf. Dann rückt sie ein Stück Papier vor sich zurecht und beginnt vorzulesen. Ihr sei es „ein Anliegen“, vor Gericht eine Mitteilung zu machen.

Zschäpes Stimme ist die nächste Überraschung. Sie klingt hoch, beinahe fistelig. Schließt man die Augen, meint man, einem Zeichentrickfilm zuzuhören, in dem die Hauptfigur mit deutlichem Thüringer Dialekt spricht.

Zschäpe liest vor, in den Neunzigerjahren in Jena sich mit ihren Freunden „mit Teilen des nationalistischen Gedankenguts“ identifiziert zu haben. In der Zeit, in der sie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund lebte, sei sie davon jedoch wieder abgerückt. Themen wie die „Angst vor Überfremdung“ seien zunehmend unwichtiger geworden. „Heute hege ich keine Sympathien für nationalistisches Gedankengut“, sagt Zschäpe. Menschen beurteile sie „nicht nach ihrer Einstellung oder Herkunft, sondern nach ihrem Benehmen“. Am Ende folgen Worte, die für Zschäpe wohl eine Entschuldigung an die Opfer darstellen sollen: Sie verurteile die Taten ihrer Komplizen Mundlos und Böhnhardt. „Ich bedauere mein eigenes Fehlverhalten“, sagt Zschäpe, wie sie es schon in ihrer ersten Aussage vom Dezember 2015 zum Ausdruck gebracht habe.

Der Vortrag dauert rund zwei Minuten. Als sie fertig ist, lässt sich Zschäpe in ihren Stuhl zurückfallen und richtet ihren Rücken gerade an der Lehne auf. Dann faltet sie die Hände auf dem Schoß und blickt geradeaus. Es scheint, als sei sie innerlich wieder hinter einen Schutzwall gekrabbelt – nachdem sie für einen kurzen Moment aus der Deckung gekommen war, die sie 312 Prozesstage lang stoisch aufrechterhalten hatte.

Seit ihrer Festnahme im November 2011 hatte Zschäpe kein Wort zu den Ermittlern, kein Wort im Prozess gesagt. Nur einmal, im Juni 2015, rutschte Zschä­pe auf eine Frage Götzls ein „Ja“ heraus. Sonst: nur Schweigen.

Über ihren Anwalt hatte sie sich im Dezember 2015 dann doch zur Anklage eingelassen, die ihr die Mittäterschaft an den zehn Morden, zwei Anschlägen und 15 Überfällen des NSU vorwirft. Alles gehe auf das Konto von Mundlos und Böhnhardt, behauptete Zschäpe. Sie selbst habe davon immer erst im Nachhinein erfahren und die Taten verurteilt. Einzig von den 15 Überfällen habe sie gewusst.

Schon damals ließ Zschäpe ihren Anwalt verlesen: „Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Straftaten.“ Sie selbst fühle sich nur für die 15 Raubüberfälle „moralisch schuldig“.

Fragen ohne Antwort

Zschäpes Stimme klingt hoch, beinahe fistelig, wie eine Zeichentrick­figur, mit deutlichemThüringer Dialekt

Auch damals räumte sie frühere Kameradschaftsaktivitäten ein. Aber dass sie sich ideologisch mit den NSU-Mordtaten identifiziert habe, „weise ich zurück“.

Die Aussage vom Donnerstag bleibt damit auf Zschäpes Verteidigungslinie. „Mehr als mager“, nannte sie Opferanwalt Mehmet Daimagüler. „Da will jemand retten, was wohl nicht mehr zu retten ist. Wenn sie es ernst meinen würde, würde sie die vielen Fragen der Opferangehörigen beantworten.“

Mehr als 300 Fragen hatten die Opferanwälte zuletzt an Zschäpe gerichtet. Die lehnte eine Beantwortung ab: Nur auf Fragen der Richter werde sie eingehen. Darauf hatte Götzl 20 der Fragen übernommen.

Die wichtigste voran: Wie wählte der NSU seine Mordopfer aus? „Konkrete Kriterien sind mir nicht bekannt“, liest Zschäpes Anwalt Borchert nun am Donnerstag vor. Die Gründe für ihre Taten hätten die Uwes vor ihr „wohl verschleiert“. Sie habe sich jedoch „Gedanken gemacht“, dass es einen ausländerfeindlichen Hintergrund gegeben habe. Nachgefragt habe sie nicht – die Morde an sich seien für sie bereits „das Unfassbare“ gewesen. Auch über ihre Probleme mit dem verbrecherischen Leben der Uwes habe sie mit niemandem gesprochen, lässt Zschä­pe ihren Anwalt mitteilen: „Mit wem auch?“ Ihr selbst sei klar gewesen, dass man aus den Verhältnissen „auf eine Mittäterschaft hätte schließen können“ – wie es auch die Bundesanwaltschaft mit ihrer Anklage getan hat. Als Borchert diese Passage vorliest, schlägt Zschä­pes Altverteidiger Wolfgang Stahl die Hände vor den Kopf.

Der Prozess befindet sich nun auf der Zielgerade. Mitte Oktober will der Gerichtspsychiater Henning Saß sein vorläufiges Gutachten über Zschäpes Schuldfähigkeit vorlegen. Darin wird er auch sagen, ob er sie weiter für gefährlich und eine Sicherungsverwahrung für nötig hält. Das hatte Zschäpe mit ihrer jetzigen Aussage wohl im Blick.

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